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Endor - Kapitel 2 - **** 23. Juni 2012
Warte bis es dunkel wird - **** 27. Mai 2012
Die Zärtlichkeit der Löwen - **** 19. September 2010
Endor - Kapitel 2 - **** 23. Juni 2012

 

 

 

Es gab viele Möglichkeiten, Charakterstärke zu beweisen. Einfach ganz ruhig dazustehen und ihn ohne jede sichtbare Gemütsbewegung anzusehen, gehörte durchaus dazu, wie Vader  fand. Er hatte nichts dagegen, dass man ihn fürchtete – manchmal fühlte er sich dadurch sogar geschmeichelt –, aber nichts reizte ihn  mehr oder verärgerte ihn schneller als Leute, die schon bei seinem bloßen Anblick komplett die Nerven verloren und es sich auch noch anmerken ließen. Schlotternde Knie, klappernde Zähne, zusammenhanglos herausgestotterte Mitteilungen, die erst nach mehrmaligen Rückfragen so etwas wie Sinn ergaben, und ähnlich ermüdende Anzeichen von völlig grundloser Nervosität waren Schwächen, die Vader höchstens bei wildfremden Personen duldete – und auch das nur für eine kleine Weile. Aber von seinen Untergebenen und speziell von den Offizieren, mit denen er sich jeden Tag abgeben musste, erwartete er ein gewisses Maß an emotionaler Stabilität.

 

Aus diesem Grund schätzte er zum Beispiel Commander Tyrell, der sich immerhin ernsthaft bemühte, seine Fassung zu bewahren und so etwas wie Gleichmut an den Tag zu legen, wann immer er es mit Vader zu tun hatte. (Ganz im Gegensatz zu diesem schwachsinnigen Lieutenant Wie–hieß–er–noch–gleich, der die abstoßende Angewohnheit besaß, sich sofort in einen wandelnden Wackelpudding zu verwandeln, was unweigerlich die dunkelste Seite Seiner Lordschaft ansprach.)

 

Doch am meisten hielt Vader von den sehr selten gesäten Zeitgenossen, die den Mut aufbrachten, ihm die Stirn zu bieten. Respektlosigkeit wirkte auf ihn wie ein rotes Tuch auf einen tuluusanischen Stier und echte Unverschämtheit hatte in seiner Gegenwart in neun von zehn Fällen letale Folgen, aber ein bisschen Opposition wusste er durchaus zu genießen, wenn sie nur mit der entsprechenden Standhaftigkeit kombiniert war.

 

Was ihn jedoch wirklich amüsierte und gleichzeitig den Eroberer ihn ihm weckte, war offener Trotz, eine Herausforderung, der er nie widerstehen konnte. Die alderaanische Prinzessin war geradezu ein Paradebeispiel dafür – eigentlich schade, dass die ausgesprochen anregenden Begegnungen mit ihr immer so schnell geendet hatten. Zum Glück gab es noch den einen oder anderen Präzedenzfall. Einer davon weilte  zur Zeit unfreiwillig auf Coruscant und verbreitete dort dank einem sehr pubertären Hang zur Aufsässigkeit einen Hauch von Aufruhr und Entrüstung,  was auf die normalerweise eher gedämpfte Atmosphäre in Vaders festungsartiger Residenz eine erstaunlich belebende Wirkung hatte. Und dann gab es da natürlich auch noch Luke, wie immer in letzter Zeit der Fokus von allen Eroberungsplänen …

 

Vader betrachtete seinen Sohn, während Tyrell seinen kurzen Report fortsetzte, und war fasziniert von der eindeutig mit Trotz durchzogenen Gelassenheit, mit der Luke zurückblickte.

 

„Er streitet es natürlich ab, aber die anderen Rebellen treiben sich mit Sicherheit ganz in der Nähe herum“, sagte Tyrell. „Sollen wir weiter nach ihnen suchen, Sir?“

 

„Ja. Und bringen Sie sie zu mir, wenn Sie sie gefunden haben, Commander“, erwiderte Vader.

  

Luke stöhnte innerlich auf, als er das hörte. Soviel zum Thema Ablenkung! dachte er bitter. Han bekommt einen Anfall, wenn er auf dem Weg hierher noch mehr herumschnüffelnde Patrouillen ausschalten muss. Und natürlich wird er denken, dass es meine Schuld ist …

 

Ist es wirklich meine Schuld? Warum haben mir die Imperialen nicht geglaubt, als ich ihnen erzählt habe, dass ich alleine bin? Ob sie die Tydirium auf Lebensformen gescannt haben, als wir an der Executor vorbeigeflogen sind? Oder liegt es an ihm? Wenn er auch nur ahnt,  dass wir   

 

Luke konnte den Gedanken nicht einmal zu Ende denken. Er versuchte seine wachsende Unruhe in den Griff zu bekommen. Ich kann es mir nicht leisten, jetzt den Kopf zu verlieren. Ganz ruhig! Es wird schon gut gehen. Alles wird gut. Alles. Wird. Gut.

 

„Ach übrigens, Mylord: Er hatte das hier bei sich. Nicht mal eine Waffe, nur das da.“ Tyrell überreichte Lukes Lichtschwert mit einer sorglosen Schlenkerbewegung, die Vader instinktiv zurückzucken ließ, bevor er dem Commander das allzu leichtsinnig abgefertigte Utensil bemerkenswert schnell aus der Hand nahm.

 

Der Kerl hat auch mehr Glück als Verstand, dachte Luke. Wenn er zufällig auf den Schaltknopf gekommen wäre … Nicht mal eine Waffe – also wirklich! Diese Imperialen haben ja keine Ahnung…

 

Vader wurde von ganz ähnlichen Gedankengängen bewegt, als er das neue Lichtschwert seines Sohnes in Augenschein nahm. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Palpatines Vertuschungsaktion so schnell für so große Bildungslücken in der Bevölkerung sorgen würde. Zwanzig Jahre und die Jedis sind schon so weit in Vergessenheit geraten, dass die Leute sich nicht einmal mehr an ihr berühmtes Markenzeichen erinnern können …

 

Ich sollte ein Seminar für meine Offiziere veranstalten: Antike Laserwaffen – das unbekannte Risiko. Vielleicht halte ich auch ein Referat bei meinem nächsten Besuch an irgendeiner von diesen so genannten Elite–Militärakademien: Tausend Möglichkeiten, durch Ignoranz vorzeitig aus dem Leben zu scheiden … Das wird wenigstens einigen  von unseren hoffnungsvollen Kadetten den Sternstaub aus den Ohren blasen – obwohl das wahrscheinlich auch keinen großen Unterschied mehr macht …

 

Sein Pessimismus in Bezug auf die künftige Offiziers–Elite des Imperiums wurde erst durch reine Neugier und schließlich durch Bewunderung ersetzt, als er das  Ergebnis von Lukes handwerklichem Geschick fachmännisch begutachtete. Die Konstruktion seines Sohnes unterschied sich sehr von Vaders eigenen Lichtschwertern. Der zylinderförmige Griff war ein wenig kürzer und sehr viel schlanker, was Lukes wesentlich kleineren Händen einen besseren Halt erlaubte. Darüber hinaus waren Heft und Knauf mit schlichten, aber anmutigen Gravuren verziert, in die Luke offensichtlich viel Liebe und Mühe investiert hatte.

  

Vader sah sich die verschlungenen Initialen genauer an und lächelte unwillkürlich, als er erkannte, dass die schleifigen Aufwärtsschwünge der L–Rune die verschnörkelten Hörner eines Banthas darstellten, während die sanft gekurvten Doppelbögen des Skywalker–S zwei Sonnen umschlossen. Lukes Lichtschwert war eine einzige Hommage an Tatooine … oder an sein Beharren auf die bescheidene Herkunft der Skywalkers, die im größtmöglichen Widerspruch zu den großen Ambitionen seines Vaters stand. Es war ein sehr individuelles Lichtschwert … oder ein Fehdehandschuh.

 

Vader zündete die Klinge und war ein wenig überrascht, als er nicht von dem vertrauten heißen Blau begrüßt wurde, das ihn immer an den Wüstenhimmel seiner Kindheit denken ließ, sondern ausgerechnet von demselben grellen Eisgrün, das für gewöhnlich in tödlichen Garben aus den Mündungen imperialer Laserkanonen schoss. Was Tyrell betraf, so war er mehr als nur ein wenig überrascht: Der Satz, den er beim Anblick dieses völlig unerwarteten Energiestrahls machte, war zwar nicht ganz so spektakulär wie der Luftsprung von PKK 1237, aber immer noch beachtlich. Vader ignorierte diesen sehr unprotokollmäßigen Reflex, doch Luke bedachte den Commander mit einem spöttischen Halbsalut, was mit allgemeiner Missbilligung registriert wurde – abgesehen von seinem Vater, dessen Aufmerksamkeit immer noch von viel wichtigeren Dingen in Anspruch genommen wurde.

 

„Du verwendest einen Kian–Chrysopras als Linse? Wie ungewöhnlich. Ich glaube, so ein Kristall ist noch nie zuvor in ein  Lichtschwert eingebaut  worden.“  

 

„Warum nicht? Die Farbe hat mir schon immer gefallen. Außerdem kann ein bisschen Abwechslung nie schaden.“

 

Vader ging nicht auf diese Anspielung ein. Lukes kleiner Wink mit dem Zaunpfahl erinnerte ihn wieder daran, dass sein Sohn  bei ihrem unglückseligen Treffen auf Bespin sehr viel mehr verloren hatte als nur das einzige Erbstück von Anakin Skywalker. Eine Erinnerung, die Vader entschieden unangenehm war …

 

„Wenn ich das gewusst hätte … Ich konnte ja nicht ahnen, was das ist, Mylord“, sagte Tyrell fahrig – er rechnete schon wieder mit einem Rüffel oder Schlimmerem.

 

Vader, der die Anwesenheit von viel zu vielen unliebsamen Augenzeugen vorübergehend vergessen hatte, blickte auf und sagte scharf: „Schon gut. Sie können  jetzt gehen.“

 

„Wir alle?“ fragte Tyrell mit einem ungläubigen Blick auf den Rebellen, der tatsächlich  die Frechheit besaß, ihm zuzuzwinkern.

 

„Ja, Sie alle. Also sammeln Sie Ihre Zinnsoldaten wieder ein und machen Sie sich an die Arbeit, Commander“, schnappte Vader.

 

Tyrell befolgte den Befehl seines Herrn und Meisters mit großer Hast und noch größerer Erleichterung.

 

„Immer so freundlich, Mylord“, murmelte Luke, als sich die Schleusentür hinter dem letzten Sturmtruppensoldaten geschlossen hatte.

 

Vader ging auch darauf nicht ein. Stattdessen sagte er: „Ich wusste, dass du zu mir kommst.“

 

„Schade, dass niemand sonst es wusste.“

 

Vader schenkte dem Lichtschwert einen letzten prüfenden Blick, bevor er es abschaltete und an seinen eigenen Gürtel hängte. „Ich wollte sehen, ob du es alleine schaffst“, sagte er sachlich.

 

„Also doch ein Test. Und? Habe ich bestanden?“

 

„Mit Auszeichnung.“ Vader zögerte einen Augenblick lang. „Was Bespin angeht, sollte ich vielleicht noch etwas klarstellen“,  fuhr er schließlich fort. „Ich wollte nicht, dass es so  zwischen uns endet.“

 

 „Aber du wolltest mir wehtun. Ich habe dir einen kleinen Treffer verpasst und du warst wütend auf  mich. Du wolltest mir eine Lektion erteilen – eine Lektion, die ich nie wieder vergesse.“

 

Dieser Vorwurf traf Vader ebenfalls, zumal er nicht ganz ungerechtfertigt war. „Du hast mich provoziert“, erklärte er kategorisch.

 

„Ich habe um mein Leben gekämpft!“ protestierte Luke. „Wenn das schon eine Provokation für dich ist …“

 

„Dein Leben war nie in Gefahr, Junge, nicht eine Sekunde lang. Übrigens bist du auf mich losgegangen, nicht ich auf dich.“

 

Auch das entsprach leider den Tatsachen. Trotz Yodas Lehren und Bens Ermahnungen hatte Luke im entscheidenden Augenblick einen der elementarsten Grundsätze der Jedis  missachtet und seinem Zorn nachgegeben – und seiner Rachsucht. Er hatte angegriffen, statt sich nur zu verteidigen, er hatte die Offensive ergriffen, statt in der Defensive zu bleiben.

 

„Es wäre nie so weit gekommen, wenn du mit mir geredet hättest“,  erwiderte er, aber sogar er konnte hören, dass es wie eine  Ausrede klang.

 

„Hättest du mir denn zugehört?“

 

„Nein, aber das ist nicht der Punkt.“

 

„Was ist dann der Punkt?!“

 

„Du hast es nicht einmal versucht!“

 

„Weil ich genau wusste, dass du mir sowieso nicht zuhören würdest“, konterte Vader.

 

„Du hättest es mir sofort sagen können, gleich als ich zur Tür hereingekommen bin“, beharrte Luke.

 

„Hättest du mir geglaubt?“

 

„Natürlich nicht!“

 

„Na also. Es hätte absolut nichts geändert, wenn ich dich gleich damit überfallen hätte. Es hätte sich alles ganz genau so abgespielt“,  gab Vader kühl zurück.

 

„Vielleicht auch nicht. Du hättest eben nicht versuchen sollen, mich in Carbonit einzufrieren.“

 

„Ich wollte dir nur eine Menge Stress ersparen – und mir auch.“

 

„Wie rücksichtsvoll!  Hast du eigentlich gewusst, dass man blind ist, wenn man wieder aufgetaut wird?“

 

Vader machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die paar Tage …“

 

„Nur zu deiner Information: Es soll schon Leute gegeben haben, die nach einer Carbonisierung wahnsinnig geworden sind. Unheilbar  wahnsinnig!“  betonte Luke.

 

„Irgendwelche überempfindlichen Schwächlinge vielleicht, aber doch kein Jedi. Du hättest  diese harmlosen Nebenwirkungen locker weggesteckt.“

 

„Vielen Dank, das ist wirklich ein großer Trost für mich. Man sieht doch gleich, wieviel Vertrauen du in mich hast – und dass du immer nur mein Bestes willst!“ erwiderte Luke spitz.

 

Vader verschränkte die Arme über der Brust. „Ich glaube nicht, dass diese Diskussion uns weiterbringt, Junge.“

 

„Oh, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich wollte nicht, dass es so zwischen uns endet.“

 

Vader empfand zum ersten Mal eine gewisse Irritation. Er war nicht daran gewöhnt, dass man ihm seine eigenen Worte ins Gesicht warf, obwohl das in letzter Zeit  gelegentlich vorkam – viel zu oft für seinen Geschmack. „Bist du nur hierhergekommen, um mit mir zu streiten?“

 

„Ich weiß gar nicht mehr, warum ich überhaupt hierhergekommen bin“, murmelte Luke.  

 

„Um mit mir über die Zukunft zu reden – falls du jemals damit fertig wirst, über die  Vergangenheit zu jammern“, erwiderte Vader kalt.

 

Luke  errötete, er konnte es fühlen, aber nicht verhindern. Er war einundzwanzig, ein erwachsener Mann und beinahe ein richtiger Jedi, aber irgendwie verwandelte Vaders eisige Überlegenheit ihn wenigstens vorübergehend in den störrischen Teenager zurück, von dem Owen Lars immer behauptet hatte, ein Streit mit ihm könnte sogar den sanftmütigsten  Onkel an den Rand der Raserei treiben.

 

„Okay, das war’s. Du hattest deine Chance. Ich gehe.“

 

„Und wenn ich dich nicht gehen lasse?“ Vaders Stimme war glatt wie Seide, aber die Drohung darunter hatte die stählerne Qualität eines Vibromessers.

 

Luke starrte ihn an, diesen großen, von Kopf bis Fuß in Schwarz  gehüllten Mann, der sein Vater war und doch ein Fremder, mit dem ihn nichts verband, gar nichts. Er wunderte sich selbst darüber, wie er auf die Idee gekommen war, dass es jemals irgendeine Verbindung zwischen ihnen geben mochte.

 

Was hatte das Licht mit der Dunkelheit zu tun? Es konnte sie nur vertreiben. Was hatte die Dunkelheit mit dem Licht zu tun? Sie konnte es nur zum Erlöschen bringen. Es war ein universelles Gesetz, so alt wie die Sterne,  so unerbittlich wie Ebbe und Flut …

 

„Was willst du eigentlich von mir?“ flüsterte er.

 

Vader trat einen Schritt auf ihn zu, nur einen einzigen Schritt, aber er schien unvorstellbare Entfernungen und Ewigkeiten  zu überwinden.  „Das weißt du doch ganz genau, mein Sohn“, sagte er erstaunlich sanft.

 

„Was weiß ich?“ begehrte Luke auf. „Dass du mich brauchst, um den Imperator loszuwerden? Dass du mich benutzen willst, um seine Tyrannei durch deine zu ersetzen?“

 

„Ich bin kein Tyrann, Junge. Ich bin einfach nur der Mann, der tut, was getan werden muss.“

 

„Genau das sagen alle Diktatoren, wenn es darum geht, ihre Diktatur zu rechtfertigen. Sag mir einmal etwas anderes, Vater, etwas ganz anderes, etwas Ehrliches: Was für einen Unterschied würde es für die Milliarden da draußen machen, wenn du auf dem Thron sitzt statt Palpatine?“

 

Für einen Moment war Vader aufrichtig verwirrt. „Du würdest neben mir sitzen. Wäre das nicht Unterschied genug?“

 

Luke schüttelte langsam den Kopf. „Du verstehst nicht, worauf ich hinaus will. Ich meine, was würde sich ganz konkret an deinem Imperium ändern, wenn du endlich ganz alleine am Ruder wärst?“

 

„Aber ich wäre ja gar nicht alleine am Ruder.  Da wäre ja auch noch mein idealistischer  und extrem großherziger Kronprinz, der  mir zweifellos Tag und Nacht auf die Finger sehen würde, damit so schnell wie möglich ein neues goldenes Zeitalter anbricht – Friede, Freude,  Eierkuchen für alle und jeden und das für immer und ewig“, erwiderte Vader mit mildem Spott.

 

Doch damit war ein Stichwort gefallen, auf das Luke schon die ganze Zeit gewartet hatte.  „Ich wäre also nur dazu da, um dir auf die Finger zu sehen? Das klingt aber gar nicht mehr nach diesem Gemeinsam–über–die–Galaxis–herrschen, das du mir auf Bespin angeboten hast.

 

Könnte ich denn überhaupt jemals wirklich tun, was ich will, was ich für richtig halte? Oder wäre es nicht eher so, dass du weiter machen würdest, was du willst, während du  mich für immer und ewig am Gängelband hältst?“

 

Vader seufzte ein wenig. „Du drehst mir das Wort im Mund herum, Junge, und du machst dir viel zu viele Sorgen. Teile und herrsche – das ist meine Devise.

 

Und das war auch der Köder, den Palpatine mir damals zugeworfen hat, als ich noch jung und naiv genug war, um darauf anzubeißen. Aber er hat mir nur etwas vorgemacht. Er hatte nie vor, irgendetwas wirklich mit mir zu teilen, weder seine Macht noch seine Herrschaft. Er hat mich benutzt, von Anfang an. Und er hat es so geschickt gemacht, dass es Jahre gedauert hat, bis ich es überhaupt gemerkt habe. Sein wahres Gesicht hat Palpatine erst gezeigt, als ich rettungslos an seinem Haken hing –  jedenfalls dachte er das.

 

Aber ich stehe zu meinem Wort, Luke. Also hör endlich damit auf, gegen dein Schicksal zu kämpfen. Nimm es einfach an und komm mit mir, damit du eines Tages herrschen kannst, wie es dir bestimmt ist.“

 

Luke runzelte die Stirn. „Du redest immer von Schicksal und Bestimmung, aber an so etwas habe ich nie geglaubt. Ich glaube an den freien Willen und an die Verantwortung, die wir alle für unsere Taten tragen.“

 

Vader verdrehte die Augen hinter seiner Maske. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ stöhnte er. „Du hörst dich an wie das Echo von  Kenobi …“

 

„Ich glaube daran, dass wir unsere Pflicht zu erfüllen haben und dass die Pflicht von allen, die die Macht haben, darin besteht, für die zu kämpfen, die nicht für sich selbst kämpfen können“, sagte Luke heftig.

 

„… und von zehntausend anderen hoffnungslos verstaubten Jedis noch dazu!“ Vader wandte sich mit einem gereizten Schwung ab, der seinen Umhang flattern ließ wie ein Sturmsegel. „Die Pflicht, die heilige Pflicht und nichts als die Pflicht – großer Sith!“ rief er angewidert.

 

Er begann hin und her zu wandern wie ein Tiger im Käfig, während er erregt weitersprach. „Generationen von vertrockneten Mönchen und Nonnen, die sich fanatisch an das trostloseste Dogma aller Zeiten geklammert und sich dafür auch noch ununterbrochen beweihräuchert haben: Edle Selbstaufopferung von morgens bis abends und sonst gar nichts!

 

Bloß keine Ablenkung, die das endlose Schweben in höheren Sphären ein bisschen schwieriger machen könnte. Bloß keine überflüssigen Gefühle, die all die durchgeistigten Seelen wieder in die Niederungen des irdischen Daseins zurückholen könnten! Weder Liebe noch Hass, weder Freude noch Traurigkeit … Keine Leidenschaft, keine Begeisterung, keine Abenteuer … Niemals lachen oder weinen, niemals Widerstand leisten, nie aktiv eingreifen, nein, passiv sein, alles hinnehmen, sich mit allem abfinden, immer nur still und friedlich vor sich hinvegetieren – unerträglich! Unmöglich!“

 

Er blieb abrupt vor seinem Sohn stehen. „Es mag sich zynisch anhören, Luke, aber eigentlich habe ich den Jedis einen Gefallen getan, als ich sie ins Jenseits befördert habe.  Man kann nicht einmal behaupten, dass ich sie wirklich getötet habe, denn im Grunde waren sie schon längst tot. Richtig gelebt haben sie jedenfalls nie.

 

Und was ist mit dir, Junge? Willst du richtig leben oder willst du dich mit dieser armseligen Halbexistenz zufriedengeben, die Obi–Wan dir zweifellos immer als das einzig Wahre eingeimpft hat? Mit einem Wort: Willst du deine Träume wahr machen oder willst du immer nur für die Träume anderer kämpfen?“

 

Er hielt einen Augenblick inne. „Komm mit mir, Luke, und ich mache alle deine Träume wahr“, sagte er beschwörend.

 

Luke wich dem Blick aus, der Vaders Maske mit beinahe körperlicher Intensität durchdrang, und starrte auf die Wälder jenseits der Barriere der Plastahlfenster. Er suchte dort unwillkürlich nach genau der stillen, friedlichen  Passivität, die sein Vater gerade eben so vehement verdammt hatte.

 

„Also das war es, was du damals wirklich wolltest. Ein ganz normales Leben außerhalb des Ordens.“

 

„Alles nur das nicht! Mit einem ganz normalen Leben wäre ich nie zufrieden gewesen. Ich wollte schon als Kind mehr als das, sehr viel mehr. Ich wusste immer, dass ich zu etwas  Großem berufen bin. Ich wusste immer, dass ich zum Herrschen geboren bin“, sagte Vader großspurig.

 

Luke hatte sich in den letzten Minuten vieles angehört, was ihn erschüttert hatte, aber wenn ihn irgendetwas aus der Fassung brachte, dann diese Selbstherrlichkeit, die all seine Toleranzgrenzen sprengte. „Mit welchem Recht, Vater? Wer gibt dir das Recht, einen Thron für dich zu beanspruchen, der niemandem zusteht?“

 

„Mit dem Recht des Stärkeren“, sagte Vader hart.  „Und das braucht mir niemand zu geben – ich nehme es mir einfach.“

 

Er warf einen zerstreuten Blick auf die sonnendurchflutete Szenerie draußen, bevor er leichthin eine Bemerkung fallen ließ, die auf  Luke ungefähr die gleiche Wirkung hatte wie eine Bombe. „Es wird spät. Wir sollten langsam gehen.“

 

Luke versuchte krampfhaft sein Gesicht, seine Stimme und seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, aber die Implikationen von Vaders Feststellung machten es ihm unmöglich, seine Betroffenheit  ganz und gar zu verbergen. „Was meinst du mit spät?“

  

Die schwarze Maske blieb natürlich so ausdruckslos wie immer, aber die kurz aufblitzende Erheiterung in Vaders Aura war für Luke so deutlich wie ein sichtbares Lächeln. „Für wie dumm hältst du mich eigentlich, Junge? Ich weiß längst Bescheid. Deine Freunde müssten jetzt bald hier sein – und eure Flotte natürlich auch.“

 

Luke hatte das deutliche Gefühl zu ersticken. Er versuchte etwas zu sagen, es zu leugnen, aber seine zugeschnürte Kehle ließ keine Dementis  zu.  

Vader war durchaus bewusst, wie niederschmetternd diese lapidare Ankündigung für seinen Sohn war.  

 

„Nimm es nicht so schwer, Junge“, sagte er mit mehr Wärme, als Luke ihm je zugetraut hätte. „Auch wenn du es nicht wahrhaben willst: Alles kommt, wie es kommen muss. Und jetzt lass uns von hier verschwinden. Wir müssen uns noch über so vieles aussprechen und ein Schlachtfeld ist dafür ganz bestimmt nicht der richtige Ort.“

 

Und wo soll unsere kleine Talkrunde stattfinden? Vielleicht auf dem Todesstern mit Palpatine als Moderator? dachte Luke, zwischen Zorn und Verzweiflung schwankend.

 

Doch schon eine Sekunde später schämte er sich für seine Weltuntergangsstimmung. Noch ist nichts entschieden. Noch ist alles offen. Wir können immer noch gewinnen.  Ich kann immer noch gewinnen …

 

Er beschloss alles in die Waagschale zu werfen, was er bis jetzt zurückgehalten hatte, und das war nicht wenig.

 

„Vorhin habe ich behauptet, dass ich gar nicht mehr weiß, warum ich eigentlich hier bin, aber das war natürlich Unsinn. Ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu streiten, und schon gar nicht, um auf dein Angebot einzugehen. Ich bin hier, um dir ein Angebot zu machen, Vater.“

 

Vader hatte die letzten Stunden damit zugebracht sich einzureden, dass er auf jede nur denkbare Entwicklung im schwierigsten und wichtigsten Dialog seines Lebens vorbereitet war, aber jetzt sah er, dass er es nicht war. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. „Ach ja?“

 

„Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, unsere Träume wahr zu machen und  gleichzeitig Seite an Seite für  die Träume von anderen zu kämpfen.“   

 

„Was für eine Möglichkeit?“

 

Bildete Luke sich das nur ein oder hatte Vaders Stimme gerade besonders brüsk und abweisend geklungen? Er bedauerte zutiefst, dass diese Maske zwischen ihnen stand. Nie hatte er sich mehr danach gesehnt, seinem Vater Auge in Auge gegenüberzustehen als hier und jetzt.

 

Er legte seine ganze Überzeugungskraft in seine eigenen Augen, er warb mit seinem Blick beinahe noch mehr als mit seiner eigenen Stimme, als er sagte: „Komm mit mir, Vater. Lass uns einfach fortgehen. Unsere Zukunft liegt überall, nur nicht bei deinem Imperium.  

Sogar wenn wir Palpatine relativ schnell aus dem Weg räumen könnten, würde es Jahre und Jahre dauern, das Imperium von innen heraus zu reformieren. Vielleicht kann man es nicht einmal reformieren, weil es schon im Kern grundverkehrt ist. Eine absolutistische Monarchie kann auf die Dauer gar nicht funktionieren, auch wenn sie von dem aufgeblasensten Militärapparat aller Zeiten beschützt wird. Nur eine Demokratie ist wirklich stabil. Überlass das Imperium sich selbst und schließ dich der Rebellion an, Vater. Komm mit mir und kämpfe mit uns für einen echten Neuanfang, für eine neue Republik.“

 

Vader schwieg. Er schien ernsthaft darüber nachzudenken. Luke hielt das für ein gutes Zeichen, schöpfte wieder Hoffnung.

 

„Ich weiß, dass ich sehr viel von dir verlange, Vater, aber es ist für uns beide der beste Ausweg, das musst du doch einsehen. Natürlich wird es am Anfang Probleme geben: Unsere Leute werden dich nicht gerade mit offenen Armen aufnehmen    das kannst du ihnen auch kaum verübeln.

 

Aber Mon Mothma wird mit Sicherheit sehr schnell erkennen, dass du der wertvollste Verbündete bist, den die Allianz sich nur wünschen kann. Und Mothma setzt sich immer durch, auch wenn alle anderen senkrecht an die Decke gehen.“

 

Vader schwieg immer noch. Er dachte offensichtlich sehr ernsthaft darüber nach. Luke fühlte sich inspiriert, beflügelt, beschwingt …

 

„Gemeinsam können wir dem Imperium auch jetzt noch einen Schlag versetzen, von dem es sich garantiert nie wieder erholt. Und dann … wer weiß, was dann alles möglich ist?“ sagte er begeistert. „Denn in einem Punkt hast du vollkommen Recht, Vater: Wenn wir uns zusammentun, dann kann uns niemand aufhalten. Wir können das Imperium aus den Angeln heben und alles, alles zum Guten wenden.“

 

Vader presste seine Fingerspitzen zusammen und studierte das schwarze Dreieck, das von seinen lederumhüllten Daumen und Zeigefingern geformt wurde. Es sah nach einer Entspannungsübung aus – Luke beobachtete es voller Interesse.

 

„Und? Was hältst du davon?“ drängte er schließlich, als sich die Schweigeminute allzusehr in die Länge zog.

 

Vader ließ seine behandschuhten Hände wieder sinken und sagte sehr langsam und gemessen: „Ich glaube … nein, ich bin vollkommen sicher, dass das mit Abstand der wahnwitzigste Vorschlag ist, den man mir je gemacht hat – und der beleidigendste noch dazu!“

 

Lukes Enthusiasmus implodierte zusammen mit seiner größten Hoffnung wie eine Seifenblase. Seine schmalen Schultern sanken herab wie unter der Last eines zentnerschweren Gewichtes.  

 

Vader sah es ohne Mitgefühl. Die Enttäuschung war einfach zu groß, war unermesslich. Zum zweiten Mal hatte er seinem Sohn alles, was sich ein junger Mann mit Lukes Potenzial nur wünschen konnte, auf einem Silbertablett präsentiert und zum zweiten Mal war er zurückgewiesen worden. Ablehnung war etwas, was Vader nicht einmal in seinen Sternstunden gut verkraften konnte und das hier war alles andere als eine Sternstunde. Es war ein Desaster! Und irgendwo unter seiner Enttäuschung flackerte schon Empörung auf wie ein erstes winziges Flämmchen, das erst einen Schwelbrand und dann ein Inferno entfachen mochte.

 

Was zum Teufel bildet sich dieser Bengel eigentlich ein? Eben erst aus dem Ei gekrochen und noch nicht mal trocken hinter den Ohren, aber hier steht er und tut so, als hätte er die Weisheit gepachtet!

 

„Ich habe mein ganzes Leben lang dafür gearbeitet, um genau  dahin zu kommen, wo ich jetzt stehe“, sagte Vader rau. „Ich bin aus einer Schlucht absoluter Bedeutungslosigkeit bis hierher geklettert und ich  habe dafür mehr geopfert und mehr gelitten, als du dir überhaupt vorstellen kannst, Junge. Ich bin nur noch einen einzigen Schritt vom Gipfel entfernt und du erwartest allen Ernstes von mir, dass ich jetzt aufgebe?“

 

Sein Sohn antwortete nicht. Er stand einfach nur da und sah ihn mit diesen großen himmelblauen Augen an – sah ihn anklagend an!

 

Vader wurde merklich lauter, als müsste er diese stumme Anklage übertönen. „Ich soll ein ganzes Imperium – mein Imperium! – einfach stehenlassen wie eine Ladung Sperrmüll, nur um mich mit dir wegzuschleichen wie ein Dieb in der Nacht? Ich soll mich auf Gedeih und Verderb einer Bande von kleingeistigen Anarchisten ausliefern, die  sowieso schon aus dem letzten Loch pfeifen? Und dann soll ich ihnen auch noch dabei helfen, alles zu zerstören, was ich mit meinen eigenen Händen aufgebaut  habe – immer vorausgesetzt, dass  sie mich  nicht vorher einfach lynchen!  UND DAS ALLES FÜR NICHTS?!“

 

Jetzt  sollte  Leia ihn mal sehen – von wegen „schreit nie“ und „kalt wie ein Gletscher“, dachte Luke betäubt. Tatsächlich war er derjenige, der sich momentan wie ein Gletscher fühlte, wie ein Felsen unter einer meterdicken Schicht aus glasklarem Eis und verharschtem Schnee. Vaders Ausbruch war wie einer dieser schrecklichen Blizzards auf Hoth – er kam plötzlich und unerwartet und mit viel Getöse und ließ unter seinem grausamen Frosthauch alles erstarren.

 

„Tja, wenn du es so siehst, Vater“, sagte er mühsam, denn sogar seine Lippen fühlten sich nach diesem emotionalen Temperatursturz irgendwie seltsam steif an. „Ich konnte ja nicht wissen, dass dein eigenes Fleisch und Blut  nichts für dich ist.“

 

„Komm mir nicht so, Luke! Versuch ja nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, indem du mir die Rabenvater–Rolle aufhängst!“  fauchte Vader. „Seit drei Jahren bin ich praktisch ununterbrochen auf der Suche nach dir und in dieser Zeit habe ich alles getan, was ich nur konnte, um dich zu beschützen.“

 

„Ach so, dann wolltest du mich auf Bespin also nur beschützen? Gut, dass du mir das jetzt endlich gesagt hast – von alleine wäre ich nämlich nie darauf gekommen!“

 

Durch Vaders rechte Hand lief ein deutliches Zucken, aber er griff nicht nach seinem  Lichtschwert, um seinem Sohn eine weitere Lektion zu erteilen. Noch nicht …

 

„Wenn es nach dem Imperator gegangen wäre, dann hättest du Bespin nicht überlebt, Luke“, sagte er  heiser. „Und wenn ich nicht gewesen wäre, dann hätte schon lange vor Bespin jeder Kopfgeldjäger von hier bis Ord Mantell deinen sturen Bauernjungen–Kürbis  als Zielscheibe benutzt.“

 

„Dann bist du sicher sehr froh, wenn ich dir jetzt sage, dass mein Bauernjungen–Kürbis nicht den geringsten Wert darauf legt, weiter von dem egoistischsten,  berechnendsten und gewissenlosesten Rabenvater seit Beginn der Menschheit beschützt zu werden!“

 

Der größte Teil von Luke krümmte sich gleich darauf vor Entsetzen über das, was er da gerade von sich gegeben hatte, aber ein anderer wesentlich kleinerer Teil von ihm war beunruhigend zufrieden mit dieser unglaublichen Antwort.

 

Was Vader anging, so legte er für seine Verhältnisse eine schier übermenschliche Selbstbeherrschung an den Tag. Er schleuderte seinen Sohn nicht quer durch den ganzen Gang, was sein allererster Impuls war, und er verpasste ihm auch keine schallende Ohrfeige, obwohl die Versuchung groß war. Er ging einfach nur zu dem Turbolift hinüber, der auf die Landeplattform führte, und drückte auf den eckigen Knopf, der neben der Aufzugs–Ruftaste in die Wand eingelassen war.

 

„Wache!“ sagte er tonlos, als aus der jetzt aktivierten Sprechanlage ein leises Knacken drang.

 

Sofort flammten die drei balkenförmigen roten Leuchtdioden auf, die anzeigten, dass der Lift sich in Bewegung gesetzt hatte. Nur Sekunden später öffneten sich die Aufzugstüren und ließen ein Quartett Sturmtruppensoldaten heraus.

 

„Bringen Sie den Gefangenen in meine Fähre.“

 

Die Soldaten marschierten sofort zu Luke hinüber und nahmen in ihre Mitte. Vader beobachtete gleichmütig, wie sein Sohn abgeführt wurde.  Als die kleine Gruppe den Lift betreten hatte, drehte sich Luke zu ihm um und öffnete den Mund, als ob er noch etwas sagen wollte, aber Vader winkte ab.

 

„Lass es gut sein, Junge. Ich schätze, wir brauchen jetzt beide eine kleine Pause.“

 

Lukes Mund schnappte sofort zu wie eine Mausefalle. Das Letzte, was Vader von ihm sah, waren fest zusammengepresste Lippen in einem sehr blassen Gesicht, das so  verschlossen war wie ein Tresor, dessen Codekarte verloren gegangen war.

 

Vader wartete, bis sich die Lifttüren wieder geschlossen hatten und er endlich genug Privatsphäre hatte, um für dringend benötigte zehn Minuten in aller Ruhe darüber nachzugrübeln, warum ausgerechnet er mit dem starrsinnigsten und rechthaberischsten Sohn geschlagen worden war, der je das Blut  eines Sithlords zum Kochen gebracht hatte.

 

„Großer Sith! Was für ein Reinfall!“ Er schlug mit der Faust gegen die Lifttür, um seinem Groll wenigstens ein kleines Ventil zu öffnen, bevor er überschäumte.

 

Doch es dauerte gar nicht lange, bis sich sein Blut wieder abgekühlt  hatte  … und schon kam die Reue.

 

Vader lehnte sich gegen die Plastahlfront, die ihn so unbarmherzig einschloss wie die Glasscheiben eines Aquariums einen klaustrophobischen Fisch.

 

„Ich hab es völlig vermasselt“, seufzte er vor sich hin.

 

Aber hatte er das wirklich?

 

Vielleicht habe ich einfach zu viel vorausgesetzt. Ich kann von Luke nicht erwarten, dass er im Handumdrehen alles vergisst, was Obi–Wan ihm wahrscheinlich schon von klein auf  eingetrichtert hat. Er ist jung, er ist ein Idealist …

 

Und ein hoffnungsloser Traumtänzer! murrte etwas tief in Vader.

 

und natürlich hat er den Kopf voller Rosinen, das ist ganz normal in seinem Alter. Mit der Zeit  wird er  einsehen, dass ich es nur gut mit ihm meine und dass ich viel besser weiß als er, was gut für ihn ist – dass ich alles besser weiß!

 

Und wenn nicht?

 

Jetzt waren es Vaders Lippen, die sich zu einem eigensinnigen Strich zusammenpressten. Wenn nicht … na ja … manche Menschen muss man eben einfach zu ihrem Glück zwingen!

 

Er wandte sich entschlossen wieder dem Lift zu …

 

 

*

 

 

Die schwarzen Lederpolster seines Sitzes waren samtweich und so bequem wie ein Daunenbett, aber Luke Skywalker saß so verkrampft darauf wie ein FakirLehrling auf seinem allerersten Nagelbrett. Er rutschte unruhig hin und her, er schlug erst das rechte Bein über das linke und dann das linke Bein über das rechte, um schließlich beide Füße wieder auf dem Boden abzustellen. Er legte seine gefesselten Hände vor sich auf den Schoß und dann auf die Lehne seines Sessels, was aber nur bewirkte, dass sich die Kanten der Handschellen schmerzhaft tief in seine Gelenke hineinpressten und beinahe seine Blutzirkulation unterbrachen, so dass Luke nichts anderes übrig blieb, als sie  wieder  auf seinen Oberschenkeln ruhen zu lassen.

 

Die vier Soldaten, die in der Sitzreihe gegenüber thronten wie ein zum Leben erwachtes Kriegerdenkmal, beobachteten jede seiner Bewegungen mit Argusaugen. Ihre auf Betäubung gestellten Blaster waren immer im Anschlag, aber keiner von ihnen ließ sich zu einer Bemerkung herab oder verstieg sich gar zu Drohungen. Die winkelförmigen Embleme auf ihren Helmen und Panzern waren rot statt schwarz – sie gehörten offensichtlich nicht zur Endor–Garnison. Wahrscheinlich waren sie auf dem Todesstern stationiert oder auf Vaders Flaggschiff. Vielleicht waren sie sogar Vaders persönliche Leibwache – das hätte dieses auffällige Plus an distanzierter Professionalität sofort erklärt. Aber egal woher sie kamen, sie waren auf jeden Fall  gut genug abgerichtet, um  sich  nicht  auf  die kleinste Plauderei mit ihrem Gefangenen einzulassen – auch wenn er noch so sehr herumzappelte.

 

Lukes Blick wanderte durch das Passagierabteil der Fähre, die sich genau so diskret, aber deutlich von der Tydirium unterschied wie seine Wächter von den Endor–Soldaten. Man konnte sofort sehen, dass dieses Schiff ein Luxusmodell war, das nicht für den Transport  gewöhnlicher Sterblicher bestimmt war.

 

In der Kabine der Tydirium waren die Rebellensoldaten auf sechzehn äußerst sparsam bemessenen Sitzplätzen zusammengepfercht gewesen wie die sprichwörtlichen Ölsardinen in der Büchse, Ellbogen an Ellbogen, Knie an Knie. Doch hier gab es lediglich acht große breite Sessel, die soviel Ellbogenfreiheit und Kniespielraum boten, wie man sich nur wünschen konnte. Das glatte feinporige Leder, mit dem sie bezogen waren, war echt, nicht synthetisch, und von erstklassiger Qualität. Der Bodenbelag bestand nicht aus den üblichen billigen Kunststoffplatten, sondern aus einem hochflorigen Textilgewebe, dessen streng symmetrisches Muster Luke erst bei genauerem Hinsehen als das imperiale Hoheitszeichen identifizieren konnte: Hunderte von stilisierten kleinen Sonnen, die sich in dezenten hellen Grauschattierungen von dem dunkelgrauen Grund abhoben.

 

Aber das Nonplusultra war natürlich die gut bestückte Bar aus schimmerndem dunklem Greelholz, die sich auf der Backbordseite befand. Hier konnten sich die Reisenden also sogar mit einem netten Drink stärken, sofern sie den Wunsch dazu verspürten oder überhaupt dazu in der Lage waren. Direkt daneben sah Luke eine geschickt mit Zierleisten getarnte Tür, die zweifellos zu einer Räumlichkeit führte, wo besagte Reisende die unvermeidliche Nebenwirkung ihrer Stärkung wieder loswerden konnten, bevor die Fähre zur Landung ansetzte. Alles hier schrie förmlich nach hochwichtigen Persönlichkeiten, bei denen unbedingt sichergestellt werden musste, dass sie selbst auf dem kürzesten Ausflug über den größtmöglichen Komfort verfügten.

 

Luke spähte nervös zum Einstieg hinüber, aber die einzige hochwichtige Persönlichkeit, die für ihn von  Interesse war, zog es vor, sich noch nicht blicken zu lassen.  Luke war keineswegs traurig darüber. Genau wie Vader musste er sich erst wieder ein wenig sammeln, bevor er in die nächste Runde starten konnte – falls es überhaupt eine nächste Runde gab.

 

Wie konnte ich mich nur so gehen lassen?  dachte er reumütig, als er die verschiedenen Phasen seines neuesten Familienstreites Revue passieren ließ. Ich hab es völlig vermasselt! Und alles nur, weil ich einfach nicht den Mund halten konnte ...  Ich hätte ihn bestimmt überzeugt, wenn ich mich ein bisschen mehr angestrengt hätte ... und wenn ich mich  ein bisschen mehr am Riemen gerissen hätte, statt mich gleich aufzuführen wie ein bockiger  Zwölfjähriger. Aber jetzt ... jetzt ist alles vorbei ...

 

Lukes Herz sank tiefer und tiefer, als er die Aussichtslosigkeit seiner Lage überdachte. Er wusste, dass er dieser depressiven Stimmung nicht nachgeben durfte – mit Verzagtheit war noch nie irgendetwas bewirkt worden, mit Unerschrockenheit dagegen alles –, aber im Moment sah er einfach keinen Ausweg aus dieser Sackgasse, in die er geraten war. Die ganze Situation schien rettungslos auf das ultimative Katastrophenszenario zuzusteuern. Han und Leia  würden hier auf Endor zusammen mit ihrem Einsatztrupp den Imperialen direkt in die Arme laufen, während die Flotte ... aber darüber wollte Luke gar nicht erst nachdenken. Und er selbst würde inzwischen ...  aber darüber wollte er erst recht nicht nachdenken.

 

Doch er musste unwillkürlich darüber nachdenken, er konnte seinen Verstand nicht einfach abschalten wie 3PO, wenn der Droide dank einer Rückkopplungsschleife in einem Programmablauf hängen geblieben war oder jedermann einen Tick mehr auf die Nerven ging als sonst. Nein, Luke konnte nicht damit aufhören, darüber nachzudenken, was bald, sehr, sehr bald mit ihm geschehen würde ...

 

Denn nachdem Vader seinen großen Plan, Luke als willigen Helfershelfer für einen kleinen Staatsstreich anzuheuern, wohl oder übel als gescheitert ansehen musste, hatte er eigentlich keinen Grund mehr, seinen Sohn vor irgendetwas oder irgendjemandem zu beschützen. Was sollte ihn also jetzt noch davon abhalten, dem Imperator Luke sozusagen als kleines Abschiedsgeschenk zu überreichen? Vielleicht war das sogar Vaders Plan B, vielleicht ging er davon aus, dass die Auslieferung an Palpatine das einzige Druckmittel war, das Luke dazu bringen würde, sich am Ende doch noch dem Willen seines Vaters zu beugen. Natürlich immer vorausgesetzt, dass der Imperator Luke vorher nicht umbrachte.

 

Der Imperator ... Luke schauderte unwillkürlich.

 

Angst war wie ein Nebel, der alles verschleierte und den Betroffenen blendete, bis er von dem einzig richtigen Pfad abirrte und  rettungslos im zähen Morast seiner eigenen Mutlosigkeit versank. Angst war unweigerlich ein zentraler Bestandteil der dunklen Seite, weil sie erst Hass, dann Aggression und schließlich Leid erzeugte. Das war es, was die Jedis lehrten und Luke erkannte durchaus die durch Erfahrung geprägte Weisheit, die darin lag. Aber er kam trotzdem nicht umhin, in dem unangenehmen Prickeln irgendwo am unteren Ende seiner Wirbelsäule eine Empfindung zu erkennen, die dem Begriff „Angst“ verdächtig nahe kam. 

 

Es war nicht der Tod, den er fürchtete – für einen Jedi war das Ende der physischen Existenz ohnehin nur ein Übergang in ein anderes größeres Sein. Nein, es waren diese Schlimmer-als-der-Tod-Dinge, die er fürchtete. Es waren die spirituellen und vielleicht auch nicht ganz so spirituellen Perversionen, die eine seelenlose Kreatur wie Palpatine Luke zufügen konnte und vermutlich auch mit dem größten Vergnügen zufügen würde, wenn er ihm erst völlig wehrlos ...

 

Schluss jetzt! Das hilft dir auch nicht weiter, also hör auf damit! ermahnte Luke sich selbst.  Dazu wird es sowieso nie kommen. Es muss doch irgendetwas geben, was ich tun kann ...

 

Er lauschte abwesend auf den Wind, der sich draußen erhoben hatte und in erstaunlich regelmäßigen Böen durch die offene Einstiegsluke fegte. Erst als die vier Sturmtruppensoldaten aufsprangen wie von einer Varantula gestochen und mit einem Schlag stramm standen, wurde ihm bewusst, dass er nicht den Wind gehört hatte, sondern die eigentlich  völlig unverwechselbaren Atemzüge seines Vaters ...

 

Vader glitt herein wie ein mitternächtliches Phantom. Aus sitzender Position betrachtet, wirkte er noch größer als sonst, überlebensgroß, übermenschlich ...

 

Kein Wunder, dass er so ein Alphatier ist, dass er immer und überall der Rudelführer sein muss. Vielleicht ist er wirklich  zum Herrschen geboren,  dachte Luke.

 

„Setzen!“ sagte Vader knapp. 

 

Die Soldaten fielen auf  ihre Sitze wie überreifes Fallobst auf eine Wiese. Luke sah es mit Geringschätzung – sogar Sturmtruppen konnten es mit ihrer eingedrillten Fügsamkeit ein wenig zu weit treiben,  wie er fand.

 

Vader dagegen sah es mit Zufriedenheit – absoluter Gehorsam hatte etwas  ungemein Beruhigendes, wie er fand. Und gerade jetzt war das Balsam auf seinem verwundeten Ego.

 

Er warf einen Blick in das Cockpit und stellte fest, dass auch seine Piloten immer noch wussten, was sie der Etikette im Allgemeinen und Lord Vader im Besonderen schuldig waren. Insbesondere der Copilot salutierte so eifrig, dass er sich beinahe selbst k.o. geschlagen hätte.

 

„Sind wir startklar?“

 

Natürlich waren sie startklar. Lord Vaders Fähre war immer startklar, rund um die Uhr. Die Piloten wussten schließlich, was ihnen blühte, wenn das einmal nicht der Fall war ...

 

Vader zog einen Aktenkoffer aus einem Wandsafe heraus und ließ sich auf dem Platz am Ende von Lukes Viererreihe nieder, so dass zwischen ihm und seinem Sohn zwei leere Sitze blieben, nicht nur ein räumlicher, sondern auch ein symbolischer Abstand, dessen tiefere Bedeutung Luke nicht entging.

 

Einen Augenblick lang erwog er aufzustehen und sich demonstrativ direkt neben Vader zu setzen, aber er verwarf die Idee sofort wieder. Sein Vater hätte diese Geste nicht als neuen Versuch, ihre Differenzen zu überbrücken, interpretiert, sondern als erstes Zeichen von Nachgiebigkeit und das wollte Luke unbedingt vermeiden. Vader war  offensichtlich tagein, tagaus nur von Leuten umgeben, die ihm viel zu schnell und viel zu leicht nachgaben.  Schon aus diesem Grund wollte Luke auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass von seiner Seite her jemals auch nur ein Bruchteil dieser totalen Unterwürfigkeit zu erwarten war. Sein Vater mochte es vielleicht als seinen verdienten Tribut ansehen, dass jedermann praktisch den Boden unter seinen Stiefelsohlen anbetete, aber er würde sich damit abfinden müssen, dass es wenigstens einen Menschen gab, der dazu nicht bereit war.

 

Vader hatte inzwischen seinen Aktenkoffer geöffnet, einen Datenblock herausgenommen und zu lesen begonnen.  Er ignorierte Luke vollkommen,  ganz so, als wäre sein Sohn nur irgendein Gefangener, ein x-beliebiger Rebell, der ihm persönlich nicht das Geringste bedeutete.  Und Luke musste zu seiner eigenen Verwunderung feststellen, dass es ihn trotz allem irgendwie störte, dass ihm so gar keine Beachtung geschenkt wurde. Auf irgendeiner Ebene, die er weder verstand noch verstehen wollte, verletzte ihn die zur Schau gestellte Gleichgültigkeit seines Vaters ein wenig. 

 

Die Triebwerke zündeten mit einem leisen Summen, das sich anhörte wie ein Erdwespenvolk in seinem unterirdischen Nest, bevor es sich zu einem machtvollen Brausen steigerte. Luke wurde in seinen Sitz hineingepresst und fühlte den vertrauten Druck in seinen Ohren, als die Fähre die Gravitation überwand und abhob. Durch eine Sichtluke genau gegenüber konnte er für eine flüchtige Sekunde eine Reihe von Baumkronen erkennen, die von dem startenden Schiff durchgeschüttelt wurden wie von der Faust eines unsichtbaren Riesen. Dann jagte die Fähre auch schon durch eine Formation von schneeigen Wattebauschwolken in das leuchtende Azurblau des Himmels hinein und von dort aus in die endlose glitzernde Dunkelheit des Alls. Einen Augenblick später war Endor nur noch eine jadegrüne Sichel am unteren Rand des Sichtfensters, dessen Zentrum nun von einem künstlichen stahlgrauen Trabanten beherrscht wurde, der alarmierend schnell näher rückte.

 

Luke starrte auf den Todesstern, der in Endors Umlaufbahn schwebte wie ein Alptraummond. Er war gigantisch, beinahe doppelt so groß wie sein Vorgänger, den Luke bei der Schlacht um Yavin mit einem einzigartigen Glückstreffer zerstört hatte. Dabei war er nicht einmal fertig. Noch war dieser von Menschenhand geschaffene Globus, der wie ein unvollendetes 3D-Puzzle im Orbit von Endor hing,  nicht mehr als eine einzige fliegende Baustelle imperialer Megalomanie. Noch ragten aus dem klaffenden Krater, der die perfekte Kugelform entstellte, Gerüste, Streben, Stützpfeiler und turmhohe Krane wie die todbringenden Fangarme von Polypen aus einer Meeresgrotte.  Noch war dieses Monstrum von einer mobilen Kampfstation völlig hilflos, sobald ihr Schutzschild ausfiel ... oder durch eine erfolgreiche Sabotageaktion ausgeschaltet wurde.

 

Der bloße Gedanke wirkte auf Luke so belebend wie ein Schluck Wasser auf einen Verdurstenden. Vielleicht schaffen sie  es ja doch noch, Han und Leia und all die anderen. Rein theoretisch könnten sie es schaffen, wenn sie nur ein bisschen Glück haben. Sie können immer noch gewinnen  auch wenn ich haushoch verliere. 

 

Denn natürlich würde Luke einen erfolgreichen Angriff auf den Todesstern aller Wahrscheinlichkeit nach genauso wenig überleben wie Vader und der Imperator. Doch für einen Sieg der Allianz hätte er sogar dieses Opfer bereitwillig gebracht. Es war nur die Vorstellung sinnlos und womöglich auch noch als Zielobjekt der sadistischen Launen eines bösartigen alten Mannes zu sterben, die ihn bedrückte. Aber vielleicht bleibt mir wenigstens das erspart ...

 

Inzwischen waren sie so nahe, dass der Todesstern das ganze Sichtfenster ausfüllte und Luke erste Einzelheiten erkennen konnte, darunter einen ganzen Schwarm von Arbeitern in Raumanzügen, die im Zeitlupentempo über einen Stahlträger krabbelten wie Blattläuse über einen Blumenstängel. Luke, völlig in diesen Anblick versunken, überlegte gerade träumerisch, wie es sich  wohl anfühlen mochte, nur durch ein paar Magnetklammern gesichert auf allen Vieren durch die funkelnde, lautlose, grandiose und schreckliche Leere des Weltraums zu kriechen, als die Fähre plötzlich  abschwenkte. Die unerwartete Kursänderung holte ihn mit einem Ruck in die Realität zurück, zumal die Fähre jetzt eindeutig auf den riesigen Sternzerstörer zuhielt, dessen majestätische Bugfront sich zentimeterweise in Lukes Sichtfeld hineinschob. Die Executor!

 

„Fliegen wir denn nicht zum Todesstern?“

 

Vader musterte seinen Sohn über den Rand seines Datenblocks hinweg mit spürbarer Kühle. „Warum sollten wir? Für eine Sightseeingtour ist es wirklich noch ein bisschen  früh. Damit wirst du wohl bis zur Einweihungsfeier warten müssen.“

 

„Aber ...“ Luke zögerte, unsicher, wie er seine Befürchtungen formulieren sollte, ohne sich dabei eine allzu große Blöße zu geben. „Ich dachte, du bringst mich sofort zum Imperator“, sagte er schließlich sehr leise.

 

Er hat mir gar nicht zugehört, dachte Vader erbittert. Ich habe mir  beinahe den Mund fusselig geredet und der Junge hat mir nicht einmal zugehört! Oder hat er mir nur kein Wort geglaubt? Vader hätte selbst nicht genau sagen können, welche Möglichkeit ihn mehr in Harnisch brachte.

 

Trotzdem musste er irgendwie auf Lukes viel sagende Bemerkung reagieren.  Tatsächlich hätte er am liebsten sofort alles getan, um die unangebrachten Zweifel seines unglaublich misstrauischen Sprösslings wenigstens ein bisschen zu zerstreuen, aber das war angesichts der gespitzten Ohren aller übrigen Anwesenden unmöglich, also begnügte  sich Vader mit einer kurzen, aber hoffentlich genau so viel sagenden Mitteilung.

 

„Der Imperator ist gar nicht hier.“

 

Erleichterung schwappte über Luke hinweg wie eine warme goldene Welle – bis zu dem ernüchternden Augenblick, in dem er begriff, was die für ihn selbst so erfreuliche Auskunft in letzter Konsequenz bedeutete.

 

Natürlich war die Vernichtung des neuen Todessterns das Primärziel der Allianz. Aber es war die einmalige Chance, den Imperator selbst zu treffen, „dem Drachen in seiner eigenen Höhle den Kopf abzuschlagen und damit die historische Gelegenheit zu schaffen, auf die wir alle gewartet haben“, wie Mon Mothma es in ihrem gewohnt blumigen Stil ausgedrückt hatte, die die Rebellen dazu bewogen hatte, ohne Rücksicht auf Verluste den großen Wurf zu wagen. Und jetzt saß Palpatine irgendwo so sicher und geborgen wie eine heimtückische Spinne in ihrem Netz und freute sich seines Lebens – falls eine Spinne jemals von einem so simplen menschlichen Gefühl wie Lebensfreude bewegt wurde ...

 

Das einzige Gefühl, das Luke Skywalker in diesem Moment bewegte, war hilfloser Zorn.

 

Viel schlimmer kann es jetzt nicht mehr werden! dachte er finster.

 

Doch diese Prognose sollte sich schon bald als Irrtum erweisen …

 

 

 

*

 

 

Lando Calrissian gab vor, unsichtbare Flusen von den makellosen Manschetten seines cremefarbenen Uniformhemdes herunterzuzupfen. Aber in Wirklichkeit sah er so unauffällig wie nur möglich auf das Zifferblatt seines antiken Armbandchronos, was er in den letzten anderthalb Stunden schon so oft getan hatte, dass Nien Nunb, der neben ihm saß wie auf glühenden Kohlen, bereits damit gedroht hatte, Lando das Chrono in den Mund zu stopfen und ihn dazu zu zwingen, es  hinunterzuschlucken, falls er sich noch einmal dabei erwischen ließ. Lando nahm seinem Copiloten diesen Ausbruch übrigens keineswegs übel. Sie waren alle ein klein wenig nervös ...

 

„Es ist gleich so weit“, verkündete er ungefähr zum vierzehnten Mal. (Im Grunde sagte er es nur, um das zermürbende Schweigen zu durchbrechen, dass im Cockpit der Millenium Falcon herrschte.)

 

Nien Nunb warf ihm aus flachen schwarzen Scheibenaugen einen waidwunden Blick zu, verzichtete aber darauf,  Calrissians linkes Handgelenk zu attackieren und auch sonst seinen Worten Taten folgen zu lassen. Stattdessen wandte sich der grauhäutige Sullustaner demonstrativ dem Nav-Computer zu, um seinen eigenen Kontrollzwang auszuleben, indem er die längst einprogrammierten Koordinaten für den bevorstehenden Hyperraumsprung wieder und wieder durchcheckte.

 

Landos sorgfältig manikürte Fingernägel tanzten in einem ruhelosen Trommelwirbel auf der Instrumententafel herum, während er durch das Cockpitfenster auf den kleinen Ausschnitt der Rebellenflotte starrte, den er von der Position der Millenium Falcon aus sehen konnte.

 

Aber er wusste auch so, dass die Allianz für die Endor−Kampagne wirklich alles aufgeboten hatte, was fliegen und schießen  konnte, wodurch eine ebenso bunte wie eindrucksvolle Armada entstanden war: Kreuzer von Corellia und Fregatten von Calamari, Zerstörer von Bestine und Blockadebrecher von Kessel,  Trägerschiffe von Sullust und Schlachtschiffe von Alderaan, dazu Bomber, Tanker, Transporter und ein wildes Sammelsurium von Jägern von hundert  Welten  mehr. Die Flotte der Allianz war ein Spiegelbild dieser Rebellion, die nicht nur die Menschen, sondern auch zahllose andere vom Imperium unterdrückten Spezies und Lebensformen erfasst hatte.

 

Was Calrissian anging, so war er heilfroh, dass Han ihm in einem unerwarteten Anfall von Großzügigkeit die Millenium Falcon überlassen hatte, wenn auch nur leihweise. Um keinen Preis hätte er in diesem Augenblick auf einem anderen Schiff sein wollen, denn nirgendwo hätte er sich auch nur annähernd so gut aufgehoben gefühlt wie auf diesem verbeulten, zusammengeflickten und jenseits aller technischen Sicherheitsbestimmungen aufgerüsteten Frachter, der Lando früher selbst gehört und ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte, bevor er ihn törichterweise bei einer Runde Sabacc als Einsatz missbraucht und ihn prompt an den mit allen Wassern gewaschenen Corellianer verloren hatte. Und obwohl Lando seit Monaten jedermann (aber vor allem einem leidgeprüften Wookie) praktisch ununterbrochen damit in den Ohren lag, dass Hans reichlich kreative Tuningmaßnahmen „sein“ Schiff völlig ruiniert hätten, musste er im Stillen doch zugeben, dass die gute alte Falcon nie schneller oder besser in Schuss gewesen war als hier und jetzt.

 

„Und immerhin war diese Kiste schon damals beim ersten Todesstern mit von der Partie und das ist gut, weißt du, das ist wirklich gut. Unsere Jungs da draußen sehen in ihr nämlich einen fliegenden Talisman, ein Maskottchen oder so was in der Art. Und genau das ist es, was unsere Jungs jetzt dringend brauchen: Ein Maskottchen!“ hatte Lando seinem Copiloten erklärt , als sie sich im Cockpit häuslich niedergelassen hatten.

 

Nien Nunb hatte nur weise genickt, obwohl er persönlich der Ansicht war, dass eine abergläubische Spielernatur wie Lando Calrissian noch viel dringender auf einen halbwegs überzeugenden Glücksbringer angewiesen war als „unsere Jungs da draußen“.

 

Er sah sich auch jetzt wieder in seiner Meinung bestätigt, als Lando einen elegischen Seufzer ausstieß, die Steuereinheit tätschelte und dabei vor sich hinmurmelte: „Du hast mich noch nie im Stich gelassen, altes Mädchen, und ich dich auch nicht. Du wirst schon sehen, ich bringe dich heil wieder nach Hause. Ohne einen einzigen Kratzer – genau wie ich es Han versprochen habe.“

 

Nien Nunb war ein überzeugter Pragmatiker und daher ohne jedes Verständnis für irgendwelchen Hokuspokus, einseitige Unterhaltungen mit Raumschiffen oder ähnlich neurotische Angewohnheiten (von seiner eigenen Besessenheit bezüglich der Sprungkoordinaten mal ganz abgesehen). Folglich litt er bereits unter erhöhter Temperatur, als Lando sich endlich wieder ein wenig fasste  – besonders als der Ersatz−Captain der Millenium Falcon ganz mechanisch und dieses Mal auch völlig ungeniert sein Chrono erneut zu Rate zog, um mit sorgenumwölkter Stirn mitzuteilen, was ohnehin schon allgemein bekannt war.

 

„Es ist gleich so w...“

 

„Shgonk  kodio! Mirkalenn hattakk!“ fauchte der Sullustaner, was grob übersetzt eine sehr unhöfliche Vermutung über diverse irreparable Mutationen im Genpool von Landos Großeltern bedeutete.

 

„Ich bin sicher, du hast vollkommen Recht, mein Freund“, erwiderte Lando in Unkenntnis des Sull´Con-Draal-Dialektes und der gerade geäußerten Verunglimpfung seiner Vorfahren friedfertig.

 

Nien Nunb stöhnte auf und kniff sich heftig in die mit Nervendruckpunkten versehenen Doppelfalten seiner Hängebacken, um seiner aufgewühlten Gefühle wieder Herr zu werden. Als auch das nicht half, wirbelte er seinen Drehsessel mit einem so aggressiven Schwung zur Nav−Konsole herum, dass das überbeanspruchte Gelenk protestierend knirschte, und stürzte sich mit fieberhaftem Eifer auf eine weitere Überprüfung der Koordinaten.

 

Lando hielt es für das Beste, die zwanghaft wiederholten Routinekontrollen seines Copiloten zu ignorieren. Es hatte eben jeder sein eigenes  Ritual, wenn es darum ging, Stress zu kompensieren ...

 

Er bedauerte es zutiefst, dass er  selbst im Augenblick nichts Sinnvolleres zu tun hatte, als abwechselnd auf sein Chrono oder aus dem Cockpitfenster hinaus zu starren. Aber was hätte er auch sonst tun sollen? Seine eigene Checkliste hatte er bereits doppelt und dreifach abgehakt. Und sein garantiert allerletzter Test−Rundruf über die Kampffrequenz hatte unerklärlicherweise für eine gewisse Verstimmung unter den Geschwaderführern gesorgt. (Wedge Antilles zum Beispiel hatte so laut geflucht, dass er für rund zwei Minuten alle anderen an die Millenium Falcon gefunkten Unmutsäußerungen fast völlig übertönt hatte. Lando nahm auch das mit Nachsicht hin − sie waren eben alle ein klein wenig nervös!) So gab es also nichts mehr,  was Calrissian die Zeit verkürzt und  ihn gleichzeitig von dem entschieden flauen Gefühl in seinem Magen abgelenkt hätte ...

 

Und genau das war das Problem, nicht wahr? Wie alle Hasardeure, Abenteurer und Glücksritter jeden Kalibers vertraute Lando bedingungslos auf sein Bauchgefühl, seinen Instinkt, sein Jhozz, wie es auf seinem Heimatplaneten genannt wurde. Und es ließ sich nun einmal nicht leugnen, dass sein Jhozz sich gerade jetzt besonders hartnäckig zu Wort meldete. Es war noch schlimmer als an diesem schaurigen Abend  in dem Kasino von Changhiij, als es Lando gerade noch gelungen war, in einem prasselnden Flittergoldregen aus ehrlich gewonnenen Chips unter seinem Tisch in Deckung zu gehen, bevor die Schläger der lokalen Unterweltgröße den Saal gestürmt hatten, um mit  Macheten und einem erstaunlichen Aufwand an  roher Gewalt über alle anderen Gäste herzufallen. Ein Abend, der Lando beinahe noch viel mehr gekostet hätte als den märchenhaften Komtraya–Jackpot, den er nur geknackt hatte, um ihn sofort in die beutegierigen Klauen eines anderen fallen zu sehen …

 

Es war sogar noch schlimmer als an diesem gruseligen Morgen vor ein paar Monaten, als Darth Vader mit einem handzahmen Kopfgeldjäger und einem größeren Kontingent an uniformierten Profi–Mördern im Kielwasser in Landos elegantes Büro hineingefegt war und sich dort mit unnachahmlicher Dreistigkeit einfach auf seiner Schreibtischkante niedergelassen hatte, um dem damaligen Baron−Administrator von Bespin sofort ein ganzes Bündel von Befehlen und Drohungen um die Ohren zu schlagen. Ein Morgen, der Lando sehr viel mehr gekostet hatte als nur seine Selbstachtung und einen teuren Ersatz für die  hoffnungslos zerkratzte Kryllglasplatte auf seinem Schreibtisch … Obwohl er natürlich schon dankbar dafür  sein musste, auch bei dieser  Gelegenheit mit dem Leben davongekommen zu sein, was nicht gerade selbstverständlich war, wenn man es mit einem echten Barbaren wie Vader zu tun hatte, der das Temperament eines angeschossenen Pardegs mit dem Feingefühl eines Verkehrsunfalls vereinte und dessen Ehrenwort ungefähr so viel wert war wie das Keuschheitsgelübde eines läufigen Huttweibchens …

 

Dabei hätte Lando nicht einmal den Finger darauf legen können, was genau sein Jhozz so in Aufruhr versetzte. Das konnte er nie. Er wusste nur, dass es eine eindeutige Warnung war, eine Flammenschrift an einer unsichtbaren Wand irgendwo in seinem Hinterkopf. Und heute musste er diese Warnung in den Wind schlagen, heute musste er zum allerersten Mal in seinem Leben seinen extrem stark entwickelten Selbsterhaltungstrieb einer neuen zwingenden Priorität völlig unterordnen. Denn der frischgebackene General Calrissian, der an Bord der Millenium Falcon vor sich hin brütete, konnte nicht einfach unter einen Komtraya−Spieltisch kriechen, wenn es brenzlig wurde, um seine eigene kostbare Haut zu retten. Er konnte nicht einmal den König der Barbaren an seiner gepanzerten und wahrscheinlich auch sonst wenig lieblichen Nase herumführen, um sich anschließend schnell aus dem Staub zu machen. Nein, der neue Calrissian war eine echte Respektsperson mit echter Verantwortung für einen echten Kampfeinsatz gegen einen echten Feind − ein Feind, der todsicher sehr viel mehr gezinkte Karten im Ärmel hatte als die Norulac−Piraten, denen  Lando seinerzeit so erfolgreich den Garaus gemacht hatte.

 

Und genau das war der Kern des ganzen Problems, nicht wahr? Vielleicht konnte Lando  ja wenigstens dieses eine Mal doch den Finger darauf legen, was sein nörgelndes Jhozz so in Wallung brachte. Vielleicht war es dieses eine Mal ja auch gar nicht sein Jhozz, das seine eingebaute Alarmsirene losschrillen ließ, sondern seine Intelligenz, seine Raffinesse, seine große Erfahrung bei Gaunereien und Husarenstückchen aller Art. Denn Tatsache war, dass Lando Calrissian nicht daran glauben konnte, was ihm bei der Einsatzbesprechung erzählt worden war, nicht wirklich. Es hatte sich alles so leicht und simpel angehört − ein bisschen zu leicht und simpel.  Es war alles einfach ein bisschen zu  schön, um wahr zu sein ...

 

Mon Mothma und Admiral Ackbar waren natürlich felsenfest davon überzeugt, dass die imperiale Flotte überall verstreut war, dass sie völlig davon in Anspruch genommen war, Hunderte von Sternensystemen auf der Suche nach den neuesten Rebellenstützpunkten zu durchkämmen. Doch Lando konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Imperialen leichtsinnig genug waren, den im Ernstfall nicht einmal verteidigungsfähigen Todesstern praktisch unbewacht über diesem kleinen Waldmond vor sich hinkreiseln zu lassen wie ein Jahrmarktsbudenbesitzer einen mit knallrotem Zuckerguss überzogenen Spießapfel vor den gierigen  Augen einer ausgehungerten Kinderschar. Umso unverständlicher war es, dass der Imperator ausgerechnet jetzt seine Hochsicherheitsgruft auf Coruscant verlassen haben sollte, um seinem künftigen Planetenkiller einen Besuch abzustatten. 

 

Wenn ich Palpatine wäre, würde ich dann meinen faltigen alten Stinkmorchelhintern aus meinem schnuckeligen kleinen 1000−Zimmer−Bunker raushieven, nur um auf dem Todesstern bis zu den Knien im Bauschutt zu stehen, bei jedem Atemzug eine Ladung Schweißrauch zu schlucken und mir von morgens bis abends den Lärm von Nietenbohrern und Presslufthämmern anzuhören? grübelte Lando.  Würde ich mir das wirklich antun − und das auch noch auf die Gefahr hin, womöglich mitten in meinem Fünf−Uhr−Tee  mit irgendeinem Lamettaträger von den Rebellen wie ein Stück Toast geröstet zu werden?

 

Höchstens wenn ich völlig senil wäre. Oder verrückt. Oder beides! Denn ansonsten würde ich mich lieber zu Hause in meinen Lieblings−Whirlpool werfen, mich bis zu meinem Schildkrötenkinn in rosarotem Schaum  einweichen und mich von ein paar niedlichen Hofdamen verwöhnen lassen.

 

Aber vielleicht war der Imperator tatsächlich völlig senil oder verrückt oder beides. Jedenfalls saß er laut dem Top−Secret−Bericht der Bothaner gerade auf dem Todesstern und trieb dort, was auch immer die vergreiste Geißel der Galaxis während einem langen inoffiziellen Arbeitstag treiben mochte.

 

Viele Bothaner mussten sterben um sicherzustellen, dass uns diese brisante Information noch rechtzeitig erreicht, hatte Mon Mothma bei der Einsatzbesprechung ernst gesagt. Prompt hatte sich eine andächtige Stille über die Versammlung gesenkt: Eine Schweigeminute für die toten Botha−Agenten und all die anderen namenlosen Spione, die hinter den Kulissen dieses Krieges ihr Leben gelassen hatten, damit die im Rampenlicht stehenden Helden kämpfen und ihre Lorbeeren einsammeln konnten.

 

Doch Lando war trotz einer spontanen sentimentalen Regung unmittelbar nach dieser Gedenkminute von einem ganz und gar unsentimentalen Gedanken überrascht worden: Hoffentlich sind sie nicht umsonst gestorben!

 

Denn auch wenn das bothanische Spionagenetz seit Jahrhunderten das Zünglein an der Waage der Geschichte war, so hieß das noch lange nicht, dass es unfehlbar war.

 

Sogar der ausgefuchsteste Spitzel kann am Ende nur das finden, was man ihn finden lässt, dachte Lando. Und wenn unsere kleinen Meisterschnüffler sich geirrt haben ... oder wenn irgend jemand sie ganz bewusst auf die falsche Fährte gelotst hat, dann können wir einpacken. Falls überhaupt noch genug von uns übrig bleibt, was eingepackt werden kann ...

 

Er zuckte unwillkürlich zusammen, als ein lautes Knistern aus den Lautsprechern der Kom–Konsole drang. Dann sagte Ackbars  gurgelnde Calamari−Stimme: “Statusbericht, Calrissian?“

 

Und plötzlich wurde alles seltsam kühl und klar und ruhig in Lando und um ihn herum ... Es war genau wie im Kasino, wenn er irgendeiner steinäugigen Schönheit, die über die Hausbank wachte wie eine Priesterin über ihren Altar, gerade mit seinem charmantesten Lächeln seine letzten Credits überreicht hatte, entschlossen, das Schicksal selbst herauszufordern, mit einem Schlag alles zu gewinnen oder alles zu verlieren − aber immer mit Stil!

 

„Wir sind in Position, Admiral“, meldete er. „Alle Geschwader sind in Gefechtsformation und startbereit.“ Und starten würden sie − und wenn der Teufel persönlich bei Endor auf sie wartete. Und kämpfen würden sie. Und siegen oder untergehen − aber immer mit Stil!

 

„Bestätigt, Calrissian. An alle Einheiten: Achtung! Countdown beginnt.  Zehn ... neun ...“

 

Landos Hand schloss sich um den Hebel an der Steuereinheit, ganz leicht jetzt, ganz locker und gelöst. Wirklich, im Grunde war es nur ein weiteres Spiel ... wenn auch eine andere Art von  Spiel ... das größte Spiel von allen ...

 

„... sieben … sechs ...“

 

Und schon rollte die Kugel durch das regenbogenbunte Zahlenlabyrinth im schimmernden Rund des Komtraya−Kessels. Jetzt gab es kein Zurück mehr ...

 

„... vier … drei ...“

 

.... kein Zurück ...

 

„LOOOS!“

 

Die winzigen Funken der Sterne schmolzen und zerflossen  zu langen Glutstreifen,  verwandelten sich erst in Brandpfeile und dann in Feuerspeere, die von einer unbekannten Macht aus dem Nichts des Hyperraums geschleudert zu werden schienen, um aufzuhalten, was nicht aufzuhalten war.

 

Die Millenium Falcon erschauerte und warf sich dem Lichtsturm entgegen wie ein geflügeltes Pferd aus dem Reich der Sagen ...

 

 

*

 

Chewie, der zusammen mit den beiden Ewok-Spähern die Vorhut übernommen hatte,  tauchte plötzlich mitten in einem Meer aus Farnkraut auf wie ein haariges U-Boot.  Er winkte ihnen vergnügt mit seiner großen Pfote zu und gab das sanfte Muhen von sich, das das Wookie–Äquivalent  zu einem menschlichen Flüstern war.

 

„Er hat unsere Männer gefunden. Sie sind direkt vor uns. Und bis zum Schutzschildgenerator ist es nur noch etwa eine halbe Meile. Schaffst du das?“ sagte Han mit einer Stimme, die genauso gedämpft war wie seine Stimmung.

 

„Natürlich schaffe ich das“, fauchte Leia.

 

Seit sie Han von ihren wundgescheuerten Fersen erzählt hatte – was sie inzwischen lebhaft bedauerte –, fragte er sie ungefähr alle zehn Meter, ob sie es noch schaffte, was nicht gerade zur Verbesserung von Leias Laune beitrug. Bildete Han sich etwa ein, dass sie sich von ein paar Blasen aufhalten ließ?

 

Trotzdem musste sie unwillkürlich an das reichlich melancholische Märchen von der Nixe denken, die für ihre hoffnungslose Liebe zu einem ausgesprochen undankbaren jungen Fischer alles  geopfert hatte, was sie besaß, nur damit eine Hexe ihren Fischschwanz in zwei halbwegs hübsche Mädchenbeine verwandelte –  eine magische Schönheitsoperation, die der armen kleinen Nixe nur eine Menge Schmerzen, ein gebrochenes Herz und sonst gar nichts eingebracht hatte.

 

Jeder Schritt ein Messerstich, dachte Leia grimmig und fühlte sich mit der leidenden Meerjungfrau vollkommen solidarisch, während sie Chewie, der wieder im Farn untergetaucht war, mit verbissenem Eifer hinterher humpelte. Aber das kommt eben davon, wenn sich Nixen in die falschen Männer verlieben – und wenn Mon Mothma am falschen Ende spart! Hauptsache, sie hat keinen Credit zuviel für unsere Ausrüstung ausgegeben …

 

Leia konnte es beinahe vor sich sehen, das selbstgefällige Vollmondgesicht des geschäftstüchtigen Vertreters der Firma Tramp & Camp, als er seine Waren in den höchsten Tönen angepriesen und die immer auf Sparsamkeit bedachte Hüterin der notorisch maroden Allianz-Finanzen mit viel Geschick um seinen plumpen kleinen Finger gewickelt hatte.

 

„Sie werden nirgendwo bessere oder preisgünstigere Outdoorkleidung für Ihre Leute finden, Lady!“ hatte er gegurrt. „Sehen Sie sich doch nur mal diesen Umhang an: Reines Gerotex, federleicht, atmungsaktiv, aber trotzdem hundertprozentig wasserdicht. Damit könnten Sie einen reißenden Fluss überqueren und Sie wären immer noch knochentrocken, wenn Sie am anderen Ufer wieder rauskraxeln – knochentrocken, Lady!“

 

Auch auf die Stiefel hatte er eine wahre Lobeshymne gesungen:

 

„Unser Spitzenmodell und so was von preiswert! Sehen Sie sich das Musterexemplar nur in aller Ruhe an, Lady – diese Qualität, diese Verarbeitung, alles allererste Sahne: Extraweiches Innenfutter, ein orthopädisches Gelbett, das sich der individuellen Fußform des Trägers automatisch anpasst, Elasthansohlen, auf denen Sie so leise gehen können, dass sogar eine Katze neben Ihnen trampeln würde wie ein durchgehendes Pferd. Und dabei mindestens so bequem wie Großmutters Filzpantoffeln!  Ich sage Ihnen, in diesen Stiefeln könnten Sie um eine ganze Welt herummarschieren wie auf Wolken und Sie wären immer noch taufrisch, wenn Sie ankommen – taufrisch, Lady!“

 

Mon Mothma hatte sich natürlich von diesem werbewirksamen, aber nicht unbedingt wahrheitsgetreuen Wortschwall einlullen lassen und ein paar hundert komplette Outdoor-Garnituren geordert. („Alles im Tarnfarben–Look und mit zehn Prozent Mengenrabatt wirklich spottbillig – spottbillig, Lady!“)

 

Was Leia anging, so hatte sie gerade eben beschlossen, dass sie den schwergewichtigen Tramp & Camp–Mann bei Gelegenheit zusammen mit einem seiner keineswegs wasserdichten Umhänge ertränken würde – im nächst besten reißenden Fluss oder noch besser in Mon Mothmas eigener Badewanne. Aber zuerst würde sie seine Plattfüße mindestens vierundzwanzig Stunden lang mit dem blasenerzeugenden, zehenfolternden und garantiert schweißfußträchtigen Spitzenmodell der firmeneigenen Produktpalette malträtieren. Und dann …

 

Leia war so tief in die ausgesprochen befriedigenden Details ihres Racheplans versunken, dass sie erschrak, als statt Chewies zottigem Rücken plötzlich ein anderer atmungsaktiver, aber trotzdem durchgeschwitzter Umhang im Tarnfarben–Look genau vor ihrer Nasenspitze erschien.

 

„Major Galen!“ stammelte sie, als sie das mit einem stacheldrahtartigen Zehn–Tage– Stoppelbart verzierte Gesicht hoch über ihrem eigenen Kopf entdeckt und identifiziert hatte.

 

„PSSST!!!“ zischten Han,  Galen und alle anderen Anwesenden im Chor.

 

„Oh … tut mir wirklich Leid. Entschuldigung“, wisperte Leia betroffen, denn für einen Augenblick hatte sie tatsächlich ganz vergessen, wie nahe sie jetzt  an den feindlichen Stellungen waren. Hier konnte jedes laute Geräusch unerwünschte Aufmerksamkeit erregen und verhängnisvolle Folgen haben.

 

Sie ließ sich so lautlos wie nur möglich neben den übrigen Rebellensoldaten nieder, die in kleinen Gruppen am Boden lagerten und trotz der stundenlangen Rast, die ihnen vergönnt gewesen war, alles andere als taufrisch aussahen. Zumindest machte keiner von ihnen den Eindruck, wie auf Wolken oder in Großmutters Filzpantoffeln hierher marschiert zu sein.

 

Leias Vermutungen wurden zur Gewissheit, als sie mit einer Grimasse ihre Stiefel auszog und ein mit Sommersprossen gesprenkelter junger Soldat, der im Schneidersitz neben ihr kauerte, sofort ein Medkit aus seinem Rucksack kramte, um ihr kommentarlos ein Päckchen Synthhautpflaster in die Hand zu drücken. So würde der Schutzschildgenerator nachher also von einer müden und fußwunden Rebelleneinheit gestürmt werden ...

 

Leia verarztete zornig ihre Fersen und wünschte dabei der gesamten Belegschaft von Tramp  & Camp die Pest an den Hals und die imperiale Steuerfahndung gleich hinterher.

 

Galen, der zunächst die beiden Ewoks bestaunt hatte und seinerseits bestaunt worden war, starrte nun forschend in das Farngestrüpp hinein. Als er begriff, dass der Nachzügler, den er erwartete, nicht mehr kommen würde, wandte er sich an Han. „Wo ist Commander Skywalker?“

 

Leia blickte rasch auf – was jetzt kam, versprach interessant zu werden.

 

Doch Han bewahrte das undurchdringliche Sabaccgesicht, das er aufreizenderweise seit Beginn ihrer letzten hitzigen nächtlichen Debatte aufgesetzt hatte, und sagte ruhig: „Er ist schon vorausgegangen.“

 

Galens nächste Frage war unvermeidlich. „Warum?“

 

Han zögerte ein wenig. (Ja, ja, es ist gar nicht so leicht, unseren Leute ins Gesicht zu lügen, was, General? dachte Leia giftig.) „Er … führt seinen eigenen Einsatz durch. Eine Ein-Mann-Sondermission. In meinem Auftrag.“

 

Galen runzelte prompt die Stirn. Er gehörte zu den Menschen, die praktisch schon als Rebellen geboren wurden, weil sie nichts, aber auch gar nichts widerstandslos oder widerspruchslos hinnehmen konnten. „Was für eine Sondermission?“

 

„Das ist geheim. Streng geheim“, erwiderte Han und sah dabei selbst alarmierend streng aus.

 

Das konnte Galen natürlich nicht einfach so auf sich sitzen lassen – es war eine Frage des Prinzips. „Das hätten Sie uns ruhig ein bisschen früher erzählen können, General.“

 

„Wenn ich jedem gleich von einer geheimen Mission erzählen würde, dann wäre sie ja nicht mehr geheim“, konterte Han geistesgegenwärtig. (Wenn er unter Druck gesetzt wurde, konnte er so kaltblütig und zungenfertig schwindeln wie ein abgebrühter  Senator vor einem Untersuchungsausschuss. Leia, die ihn schon früher in Hochform erlebt hatte, registrierte seine aalglatte Wendigkeit mit einer Mischung aus Ärger und widerwilliger Bewunderung.)

 

„Sie hätten uns trotzdem Bescheid sagen müssen, General“, beharrte Galen. „Immerhin hätte das ganz leicht ins Auge gehen können. Wenn Commander Skywalker heute Nacht an uns vorbeigekommen wäre, dann hätten wir ihn womöglich erledigt, bevor wir überhaupt gemerkt hätten, wen wir da erwischt haben.“ (Er schien es beinahe zu bedauern, dass Hans Geheimniskrämerei keine derart fatale Verwechslung  nach sich gezogen hatte.)

 

 „Aber er ist ja gar nicht an euch vorbeigekommen!“ trumpfte Han auf.  „Er ist in Richtung Norden gegangen, um … na ja … um zu erledigen, was er eben zu erledigen hat. Und wir machen jetzt noch zwanzig Minuten Pause und dann starten wir auch durch. Noch irgendwelche Fragen, Major?“

 

Die leichte Schärfe, mit der er das letzte Wort aussprach, ermutigte garantiert niemanden dazu, weitere Fragen zu stellen, und genau so war es auch beabsichtigt. (Sabaccgesicht hin oder her: Leia konnte an einem winzigen Zucken seiner Lider erkennen, dass die ständigen Anfechtungen seiner Autorität an Hans Nervenkostüm zu zerren begannen.)

 

Galen kniff eigensinnig seine stoppelumkränzten Lippen zusammen. Vor vielen Jahren, in einem früheren Leben, das er längst hinter sich gelassen, aber niemals ganz vergessen hatte, war er der wortgewaltige Anführer einer pazifistisch angehauchten Studentenbewegung mit einem unbezähmbaren Drang zu lautstarken und auch sonst risikoreichen Anti–Kriegs–Demonstrationen vor den Toren der örtlichen Sturmtruppen–Garnison gewesen. Doch jetzt war er selber Soldat genug, um Hans Tonfall richtig zu interpretieren und entsprechend darauf zu reagieren, obwohl es ihm nicht gefiel, kein bisschen. Sein vorwurfsvoller Blick glitt von Hans steinerner Miene zu Leia, die verlegen wegsah, und wieder zu Han zurück.

 

„Nein, General“, sagte er gerade hölzern genug um anzudeuten, dass er es eigentlich nicht nötig hatte, so mit sich umspringen zu lassen. (Immerhin war auch er innerhalb der Streitkräfte der Allianz zu Amt und Würden gelangt und überhaupt … Ach ja, man war schon tief gesunken, wenn man sich von einem dahergelaufenen Ex-Schmuggler so über den Mund fahren lassen musste.)

 

Leia musterte die ebenso steinernen Gesichter ringsum und stellte bedrückt fest, dass Hans Imponiergehabe genau das bewirkt hatte, was er hatte vermeiden wollen. Jetzt zerbrachen sich natürlich alle die Köpfe darüber, wo die erklärte Heldenikone der Allianz abgeblieben war und warum Solo, der sonst eigentlich ganz umgänglich und mitteilsam war, ein solches Mysterium daraus machte.

 

Für Han dagegen war die Angelegenheit offensichtlich erledigt. (Takt war ja noch nie seine Stärke, dachte Leia.) Er setzte sich neben sie und raunte ihr ins Ohr: „Und was machen diese anbetungswürdigen Fersen?“

 

Leia antwortete nur mit einem schnippischen Achselzucken, aber irgendwie fand sie seine Fürsorge jetzt doch ein klein wenig rührend. Han hatte durchaus so etwas wie Charme (die corellianische Waldschrat–Version von Charme, aber immerhin!) und er konnte einfach hinreißend sein, wenn er nicht gerade in einer seiner unerträglichen Ich-weiß-dass-ich-dein-Traummann-bin-Phasen war. Und es war wirklich nett von ihm,  sich so um sie zu kümmern –  und das nachdem sie ihm seit diesem Vorfall die kalte Schulter gezeigt und ihn auch sonst ganz abscheulich behandelt hatte. Aber das hatte er sich schließlich selbst zuzuschreiben. Nein, eigentlich hatte er es Luke zuzuschreiben. Luke, der …

 

Und plötzlich kam es mit der unwiderstehlichen Wucht eines Wasserfalls über Leia, dieses Gefühlschaos, das sie seit Stunden mühsam in Schach gehalten und unter einer Schutzschicht aus bissigem Groll versteckt hatte. Und jetzt musste sie doch tatsächlich mit den Tränen kämpfen … es war wirklich zu dumm und schrecklich peinlich noch dazu – was sollten denn die Leute von ihr denken? Und eigentlich hatte sie ja auch gar keinen Grund zum Weinen, nein, nicht den allergeringsten Grund.

 

Es war nur … sie war so schrecklich enttäuscht von Luke, ja, das war sie. Luke, der  einfach weggegangen war, der sie alle im Stich gelassen hatte, um irgendwelchen Hirngespinsten nachzulaufen, um einem Trugbild nachzujagen, einer Illusion, die ihn das Leben kosten konnte, nein, zweifellos kosten würde. Und deshalb hatte Leia natürlich auch Angst um ihn, schreckliche Angst sogar, denn er war trotz allem immer noch  ihr …

 

Bruder! Er ist mein BRUDER!

 

… engster Vertrauter gleich nach Han und sie hing wirklich an ihm wie eine Schwester …

 

Zwillingsschwester!  Ich bin seine ZWILLINGSSCHWESTER!

 

… obwohl sie das ja gar nicht war. Denn was Luke sich da zusammengereimt hatte, war schlicht und einfach …

 

Unerträglich!

 

  unmöglich, ja, so einfach war das.

 

Großer Gott, wir sehen uns ja nicht mal ähnlich! Wir haben nicht mal die gleiche  Haarfarbe, dachte Leia und bewies damit eigentlich nur, dass Wunschdenken sogar die Früchte einer privilegierten Schulbildung vergessen machen konnte – unter anderem zahlreiche Biologiestunden über das Thema Vererbungslehre, wobei es sicher auch einmal zur Sprache gekommen war, dass weder zwischen alltäglichen Geschwistern noch zwischen zweieiigen Zwillingen unbedingt eine sofort ins Auge springende Ähnlichkeit bestehen musste.

 

Übrigens gab es durchaus gewisse Ähnlichkeiten zwischen Luke und Leia, wenn man nur ein wenig danach suchte. Da waren zum Beispiel die  fehlenden Zentimeter an ihrer eher zierlichen Statur, die beiden in jüngeren Jahren viel Kummer bereitet hatte. Und was war mit ihrer an Gefräßigkeit grenzenden Begeisterung für Froxxbeerenmarmelade, eine Gemeinsamkeit, die spätestens seit Hoth so etwas wie ein Insiderwitz war? Doch Leia zog es momentan vor, diese verdächtigen Übereinstimmungen entschlossen zu ignorieren – und alle anderen auch, denn je länger sie darüber nachdachte, desto mehr geteilte Vorlieben und Wesensmerkmale fielen ihr ein beziehungsweise auf, was nun wirklich ein höchst sonderbarer Zufall war.

 

Nein, nein, es war viel besser, sich auf ihre und Lukes Gegensätze zu konzentrieren. (Viel besser und vor allem sehr viel sicherer!) Und es gab da eine ganze Menge Gegensätze, oh ja, es gab sehr viel mehr Unterschiede zwischen ihr und Luke als Gemeinsamkeiten. Seltsamerweise fielen Leia gerade jetzt gar nicht so besonders viele oder gravierende Unterschiede ein, aber das konnte ihr wohl niemand verdenken, denn sie war schließlich ziemlich durch den Wind nach der ganzen Aufregung.

 

Aber glücklicherweise war sie wenigstens nicht so durcheinander, dass sie nicht dazu in der Lage gewesen wäre, das vollkommen überflüssige Papiertaschentuch zu akzeptieren, das Han ihr aufdrängte. Auch den Schokoriegel, den dieser sommersprossige Junge – hieß er nicht Brix oder Blix oder so ähnlich? – ihr anbot, nahm sie mit einem freundlichen Dankeschön entgegen.

 

Natürlich hatte sie nicht die geringste Verwendung für das Taschentuch (Mir ist nur eine Wimper ins Auge geraten, das ist alles!), aber sie steckte das zerknautschte und nicht gerade porentief reine Zeichen von Hans Aufmerksamkeit trotzdem ein.

 

Sie hatte auch nicht den geringsten Appetit auf diesen Schokoriegel, dem man übrigens deutlich ansehen konnte, dass er mindestens einen sonnenheißen Tag auf dem Grund eines Rucksacks verbracht hatte, zwischen Sprengkapseln, Ersatz–Energiezellen und anderen nützlichen Gegenständen eingekeilt. Aber Leia schälte trotzdem tapfer die klebrige Folie von dem zerschmolzenen, formlosen Ding herunter und aß es auf, denn das war es, was eine Führungspersönlichkeit ausmachte: Teamgeist! Und davon konnte sich dieser verantwortungslose, rücksichtslose, herzlose Querkopf von einem Bruder … also davon konnte sich LUKE ruhig eine Scheibe abschneiden, wenn er wiederkam. Falls er wiederkam … 

 

„Fühlen Sie sich jetzt ein bisschen besser, Ma‘am?“ flüsterte Brix oder Blix teilnahmsvoll.

 

Leia nickte nur, denn irgendwie hatte sich schon wieder eine Wimper in ihr Auge verirrt oder eigentlich in beide Augen. Vielleicht waren es ja auch gar keine Wimpern, die ihr so zu schaffen machten, sondern irgendwelche einheimischen Pollen, denn ihre Nase drohte jetzt auch überzufließen und ihre  Kehle war ohnehin wie zugeschnürt. Also das hatte ihr gerade noch gefehlt – sie wollte gegen das Imperium kämpfen, nicht gegen einen Heuschnupfenanfall!

 

Aber dieses Mal funktionierte ihre Verleugnungstaktik nicht mehr und als Han wortlos ein weiteres Papiertaschentuch präsentierte, steckte Leia es nicht weg. Sie benutzte es und gleichzeitig Han und Brix / Blix als kombinierten Sichtschutz, denn schließlich mussten nicht gleich alle wissen, was mit ihr los war. Das hätte die Leute nur verunsichert und Leia hätte niemals etwas getan, was den Kampfgeist der Truppe untergrub. Oh nein, sie nicht! Denn sie war eben nicht wie Luke, auch wenn er ihr Zwilling war. Falls er ihr Zwilling war …

 

Es war übrigens nicht so, dass Leia etwas gegen diesen unerwarteten Familienzuwachs einzuwenden gehabt hätte. Ganz im Gegenteil: Wäre es nur um Luke allein gegangen, sie hätte ihn ohne jeden Vorbehalt willkommen geheißen, hätte ihn ohne  jedes Wenn und Aber als lange verlorenes Alter Ego in die Arme geschlossen, hätte sich über dieses  neue Band zwischen ihnen einfach nur gefreut. Doch es ging eben nicht nur um Luke. Es ging auch um IHN.

 

Darth Vader … Die bloße Möglichkeit, dass er ihr Erzeuger sein mochte – sie weigerte sich, das für sie kostbare  Wort „Vater“ auch nur durch den kleinsten Zusammenhang mit diesem Raubtier auf zwei Beinen für immer zu entweihen –, die bloße Möglichkeit also erweckte in Leia das von klammen Schweißausbrüchen und Schwindelattacken begleitete Ekelgefühl, das für gewöhnlich früher oder später in einem heftigen Brechreiz endete.

 

Jeder! dachte sie wild, ein durchweichtes Viereck aus Recycling-Zellulose gegen ihre Augen pressend. Jeder von Palpatines Schergen könnte mich auf die Welt gesetzt haben, jeder skrupellose Raffzahn von Gouverneur,  jeder Schlächter in Uniform. Mit jedem von ihnen könnte ich mich irgendwie und irgendwann abfinden – sogar mit Tarkin, diesem Bastard. Aber nicht mit IHM! Nicht mit Vader! Niemals!

 

Doch leider war es ausgerechnet Vaders mutmaßliche Vaterschaft, die eine vollkommen einleuchtende Erklärung für all die ungelösten kleinen Rätsel in Leias Leben offenbarte …

 

Wie alle Adoptivkinder, mochten sie auch noch so sehr geliebt, umsorgt und verwöhnt werden, hatte auch Leia ab einem gewissen Alter durchaus Interesse an ihren leiblichen Eltern bekundet. Es war nur normal, dass man wissen wollte, wer die Menschen waren, denen man sein eigenes Dasein verdankte, wo und wie sie gelebt hatten und warum man nicht in  ihrer Obhut aufwachsen konnte.

 

Doch Leia hatte schnell lernen müssen, dass die freimütige Offenheit, zu der sie erzogen wurde, sich nur in eng gesteckten Grenzen entfalten durfte. Denn wenn Bail und Solvejn Organa ihrer Adoptivtochter auch schon früh Dinge anvertraut hatten, die man für gewöhnlich nicht mit Kindern erörterte („Sehr, sehr wichtige Dinge, über die wir nur in Papas abhörsicherem Arbeitszimmer sprechen dürfen und nirgendwo sonst, mein Herz,  sehr, sehr gefährliche Dinge, die du auf gar keinen Fall jemals ausplaudern darfst!“), so war Leia doch bei jeder scheinbar noch so harmlosen Erkundigung über ihre richtigen Eltern auf eine Mauer des Schweigens gestoßen, die nie überwunden oder durchbrochen werden sollte.

 

Natürlich hatte man sie vertröstet: Später, wenn Leia ein großes Mädchen war, wenn sie alt genug dafür war, wenn sie erwachsen war, dann würde sie alles erfahren, was sie wissen wollte, und noch viel, viel mehr. Und dann würde sie auch verstehen, warum sie es nicht schon viel früher hatte erfahren dürfen.

 

Aber bis dahin waren alle Nachforschungen über Leias wahre Eltern verpönt. Weder öffentlich noch im privaten Rahmen, weder vor flüchtigen Bekannten noch im engsten Freundeskreis durften jemals Fragen über den Verbleib dieser Eltern gestellt werden – und schon gar nicht über den Verbleib von Tante Neela. Heiß und innig geliebte Tante Neela, die immer in Leias Nähe gewesen war, nur um in der Nacht vor ihrem siebten Geburtstag so spurlos aus dem Sommerpalast von Imris zu verschwinden wie ein Gespenst beim ersten Glockenschlag nach der Geisterstunde … Unsichtbare Tante Neela, die auf keinem einzigen der unzähligen Familienholos erschien … Anonyme Tante Neela, die offenbar nur einen abgekürzten Vornamen und überhaupt keinen Nachnamen ihr Eigen nannte, so dass es völlig hoffnungslos war, in dem weit verzweigten Stammbaum der Organas oder in irgendeiner Datenbank nach einem greifbaren Beweis für ihre Existenz zu suchen …

 

Und so waren die Jahre auf Alderaan verstrichen, glückliche Jahre und weniger glückliche, aber irgendwie war Leia zumindest in den Augen von Bail und Solvejn nie groß oder alt genug geworden, um endlich über ihre Eltern oder über Tante Neela aufgeklärt zu werden. Und als Leia schließlich ihre Volljährigkeit erreicht hatte und damit immerhin ganz offiziell in den Kreis der Erwachsenen eingerückt war, war sie sofort in einem niemals zur Ruhe kommenden Strudel aus Arbeit und gesellschaftlichen Verpflichtungen versunken. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, ihre Senatorenkarriere in Schwung zu bringen, für die verschiedensten Wohltätigkeitsprojekte die Werbetrommel zu rühren und gleichzeitig für die Allianz Informationen, Unterstützung und Geld zu sammeln, dass sie wahrhaftig Wichtigeres im Kopf gehabt hatte als ihre Adoptiveltern an die Einlösung eines alten Versprechens zu erinnern.

 

Zumindest war es das, was Leia sich seinerzeit eingeredet hatte, aber die Wahrheit sah ein klein wenig anders aus, wie sie sich jetzt eingestehen musste. Denn sogar wenn sie damals die Muße gefunden hätte, die Organas noch einmal darauf anzusprechen, so hätte sie wahrscheinlich freiwillig darauf verzichtet, dieses heikle Thema erneut anzuschneiden. Und dafür hatte sie auch einen guten Grund – den besten Grund von allen.

 

Denn obwohl ein ganzes Heer aus Gouvernanten, Lehrern, Höflingen und Dienstboten alles getan hatte, um Leia in die typische Rolle der sorgfältig behüteten Tochter aus gutem Hause hineinzuzwingen, so hatten sie es doch nie fertig gebracht, die heranwachsende Prinzessin so gründlich gegen die etwas raueren Realitäten des Lebens abzuschirmen, wie sie es wohl gehofft hatten. Dafür waren in erster Linie die Organas selbst verantwortlich gewesen: Von ihren Adoptiveltern war Leia von Anfang an darauf vorbereitet worden, dass unter der Fuchtel des Imperiums nicht einmal der klangvollste Adelstitel ein Bollwerk war, das für immer und ewig Sicherheit und Geborgenheit verhieß. Insbesondere Bail hatte dafür gesorgt, dass seine Tochter neben ihren Tanzstunden auch eine solide Ausbildung in verschiedenen Selbstverteidigungspraktiken erhielt, dass jeder gemütliche Campingausflug in die Berge unweigerlich in ein Survivaltraining ausartete und dass die königliche Garde durch einen Scharfschützen bereichert wurde, der der erst Dreizehnjährigen den Umgang mit jeder handelsüblichen Schusswaffe beigebracht hatte. Und das war nur die  Spitze des Eisbergs gewesen.

 

Ja, Leia war von klein auf dazu ermutigt worden, die Augen offen zu halten und wachsam über den Rand ihres schützenden Kokons hinauszuspähen. Und so war sie mit ihren achtzehn Jahren nicht nur wesentlich weltklüger gewesen, als man allgemein von ihr angenommen hatte, sondern hatte auch längst ihre eigene Theorie über die Verschwiegenheit der Organas entwickelt.

 

Es war doch so offensichtlich, wenn man die Sache einmal ganz nüchtern und objektiv betrachtete: Leias Herkunft war eindeutig von etwas Anrüchigem umwittert, von etwas Schmachvollem, von etwas, das so haarsträubend skandalös war, dass die Organas es lieber ganz und gar unter den Teppich kehrten, als mit ihr darüber zu sprechen.

 

Alles  hing irgendwie mit Tante Neela (Mutter?) zusammen, die scheinbar so etwas wie das schwarze Schaf der Familie war – ein schwarzes Schaf, das so sehr in Ungnade gefallen war, dass man es schließlich sogar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion weggeschafft hatte, um es seither buchstäblich totzuschweigen. Aber Leia war natürlich immer viel zu diskret und zu rücksichtsvoll gewesen, um die Organas mit diesem dunklen Kapitel der Familienhistorie zu konfrontieren. Sie hatte ihre Adoptiveltern viel zu sehr  geliebt, um ihnen wehzutun, was zwangsläufig der Fall gewesen wäre, wenn sie eine Auseinandersetzung erzwungen hätte, die für  Bail und Solvejn nur peinlich und schmerzvoll hätte sein können. Ja, Leia hatte die Organas sehr geliebt – und so hatte sie sich damals damit zufrieden gegeben, dass es schlafende Hunde gab, die man besser nicht weckte.

 

Nur ganz, ganz selten – vielleicht in einem  besinnlichen Augenblick nach der letzten hochwichtigen Komiteesitzung des Tages oder in einer schlaflosen Nacht vor ihrem nächsten Treffen mit ihrem Allianz-Kontaktmann –  nur ganz selten also hatte Leia darüber nachgegrübelt, was Tante Neela (Mutter!) wohl angestellt haben mochte. Was konnte so schrecklich, verwerflich oder ehrenrührig sein, dass niemand darüber reden wollte, dass alle den Mantel des Vergessens darüber ausbreiten wollten?

 

Immerhin waren die übrigen Angehörigen des Organa-Clans auch nicht gerade rein und unschuldig wie die Schneeglöckchen, nicht wenn man sich die  Klatschkolumnen der alderaanischen Zeitungen ansah: Angesäuselte Herzöge, die während feuchtfröhlichen Partys ihre Luxushotelsuiten kurz und klein schlugen und sich mit Securityleuten prügelten; von ihrem goldenen Käfig gelangweilte Gräfinnen, die mit glutäugigen Opernsängern oder athletisch gebauten Sportchampions und ähnlich dekorativen, aber unstandesgemäßen Liebhabern durchbrannten und für Aufsehen erregende Hochzeiten und Scheidungsprozesse sorgten; erzürnte Prinzen von Geblüt, die sich mitten in einem pompösen Staatsbegräbnis an die Kehle gingen und sich gegenseitig unter großem Geschrei der Erbschleicherei, der Fälschung von Testamenten und der Unterschlagung von Familienjuwelen bezichtigten; mondsüchtige Großfürstinnen, die nächtlicherweise splitterfasernackt über die Dachfirste ihrer Schlösser schlafwandelten – diese und ähnlich sensationelle Auftritte hatten immer wieder für pikante und detailreiche Artikel über die ziemlich schillernde Verwandtschaft des sehr viel nüchterner veranlagten Vizekönigs gesorgt.

 

Konnte vor diesem farbenfrohen und schlagzeilenträchtigen Hintergrund eine so banale Kleinigkeit wie zum Beispiel ein uneheliches Kind (oder die unehelichen Kinder) irgendeiner jungen Frau aus der Organa-Sippe wirklich so viel öffentliche Aufmerksamkeit oder sogar Empörung erregen, dass diese unter allen Umständen vermieden werden musste? Konnte dieses Kind (oder vielmehr dieses Zwillingspaar) tatsächlich zu einem solchen Schandfleck auf der Familienehre werden, dass man seine Herkunft mit einer Adoption tarnen und seine leiblichen Eltern unter allgemeinem Stillschweigen begraben musste? Kaum. Es sei denn…

 

Es sei denn, der VATER dieser Kinder wäre so kompromittierend, so absolut und vollkommen unmöglich, dass schon seine kleinste Verbindung mit dem Haus Organa unseren Ruf oder wenigstens unsere politische Glaubwürdigkeit für immer ruiniert hätte, dachte Leia. Wenn Vader wirklich mein … unser … also WENN er ES wirklich wäre … Papa hätte niemals zugelassen, dass das bekannt wird! Das hätte uns doch für alle Zeiten als überzeugte Palpatine-Anhänger gebrandmarkt. Keiner von unseren alten Freunden hätte uns jemals wieder über den Weg getraut. Die Allianz wäre nie dazu bereit gewesen, mit uns zusammenzuarbeiten. Alderaan wäre mit einem Schlag völlig isoliert gewesen und das nicht nur politisch … Was hast du nur getan, Mutter?!

 

Doch die zarte  Elfenbeinminiatur von einem Gesicht,  die nach all den Jahren immer noch durch Leias früheste Erinnerungen spukte, gab wie üblich nichts preis. Die traurigen dunklen Augen, die sich oft genug mitten in einem fröhlichen Spiel mit unbegreiflichen Tränen gefüllt hatten, boten keine Rechtfertigung für alte Vergehen, baten nicht um Verzeihung für jugendliche Fehltritte.

 

Aber vielleicht hatte die Frau, die Leia nur unter dem  Kosenamen „Neela“ kannte,  es ja auch gar nicht nötig, sich zu rechtfertigen oder um Verzeihung zu bitten. Vielleicht hatte sie ja gar nichts getan – vielleicht hatte man ihr etwas getan! Denn letzten Endes war es schlicht und einfach unvorstellbar, dass ein so sanftes zärtliches Geschöpf wie Neela … MUTTER  … sich freiwillig mit IHM eingelassen haben konnte, nicht wahr? Und war ER nicht zu allem fähig, wenn es darum ging, seine Ziele zu erreichen?

 

Dem Mann, der sich selbst Darth Vader nannte, war nichts an menschlicher Bösartigkeit fremd – das hatte Leia schließlich schon am eigenen Leib erlebt. Und genau deshalb wünschte sie sich für ihre nächste Begegnung mit diesem Zerrbild von einem Vater nur zwei Dinge: Den größten Blaster, den sie finden konnte, und ein freies Schussfeld!

 

Zerrbild von einem Vater? In dieser sinkenden Sekunde begriff Leia zu ihrem eigenen Entsetzen, dass das Undenkbare in dem verborgenen Garten ihrer Gedanken bereits Wurzeln geschlagen hatte wie ein schnell wachsendes Unkraut, dessen zähe Ranken alle anderen Pflanzen zu umschlingen und zu ersticken drohten. Auf irgendeiner Ebene hatte sie Vader schon in ihre Biografie integriert, obwohl sie ihn noch nicht anerkennen konnte und auch niemals anerkennen würde.

 

Und was bedeutete diese immerhin mögliche oder sogar wahrscheinlich Abstammung für sie? Nichts, absolut gar nichts? Oder doch eher alles, einfach alles? Bedeutete es vielleicht sogar, dass die Person, die sie ihr ganzes Leben lang zu sein geglaubt hatte, plötzlich nicht mehr existierte, niemals existiert hatte? Denn eines stand fest: Wenn Darth Vader tatsächlich ihr Vater war, dann war Leia Organa von Alderaan selber nur eine Illusion, ein Trugbild. So würden es jedenfalls all die anderen sehen, wenn sie es herausfanden.

 

Die anderen … Leia versuchte sich ihre Gesichter vorzustellen, die Gesichter all der Menschen, die immer zu ihr aufgesehen hatten, weil sie ihr leuchtendes Vorbild war, ihre makellose Heroine, ihr Idol: Die Prinzessin ohne Furcht und Tadel, so mutig, so edel, so selbstlos ...

 

Von Kindesbeinen an hatte Leia auf einem Sockel gestanden, immer in ein enges Korsett aus perfekten Manieren eingeschnürt, immer bemüht, die hohen Erwartungen, die an sie gestellt wurden, zu erfüllen. Und doch hatte sie  erst nach Alderaans Zerstörung wirklich begriffen, welchen Stellenwert sie in den Augen vieler Leute einnahm.

 

Es war ein großer Unterschied, ob man nur eine ganz gewöhnliche Prinzessin auf alltäglicher Tuchfühlung mit alltäglichen Untertanen war oder ob man die letzte Hoffnung für die wenigen Überlebenden einer einzigartigen Katastrophe war. Es war ein großer Unterschied, ob man dank einem hoffnungslos überfüllten Terminkalender nur für eine knappe Dreiviertelstunde an der feierlichen Eröffnung einer neuen Schule teilnehmen konnte, wo man mit Chorgesängen begrüßt und von niedlichen kleinen Mädchen in steif gestärkten weißen Kleidern mit Blumensträußen und auswendig gelernten Gedichten geehrt wurde,  oder ob man ebenso spontane wie  herzzerreißende Begegnungen mit Flüchtlingen überstehen musste,  wo man für endlose Stunden die eigenen Tränen zurückhalten und trösten und Mut zusprechen musste, während man von wildfremden schluchzenden  Menschen so heftig umarmt wurde, als wäre man eines ihrer getöteten Kinder. 

 

„Jetzt, wo wir wenigstens Sie zurückhaben, hat unser Leben wieder einen Sinn bekommen, Hoheit … Wir haben unsere Heimat verloren, aber wir werden immer dort zu Hause sein, wo Sie sind, Hoheit … Sie sind unsere Zukunft. Wir glauben an Sie, Hoheit …“,  hatten sie ihr wieder und wieder versichert, all diese armen entwurzelten Menschen, die es nur simplen Zufällen verdankten, dass sie an dem Tag, an dem ihre Welt untergegangen und ihr Volk ausgelöscht worden war, weit genug weg gewesen waren, um nicht zusammen mit ihren Familien in einem von imperialer Hand geschaffenen Kataklysmus umzukommen.

 

Wie viele von ihnen würden noch an mich glauben, wenn sie es wüssten? Keiner! dachte Leia bitter. Die Sünden der Väter fallen immer auf ihre Söhne zurück – oder auf ihre Töchter. 

 

Aber vielleicht würde es ja nie so weit kommen …

 

Bis jetzt wissen nur wir vier darüber Bescheid: Luke,  Han, Chewie und ich selbst.  Sonst niemand. Und dabei wird es auch bleiben! schwor sich Leia, während sie sich energisch die Nase putzte. Niemand wird je davon erfahren. Niemand! Ich BIN Leia Organa von Alderaan, Tochter von Bail und Solvejn,  und das werde ich auch immer sein, egal, wer mein Vater ist. Zum Teufel mit Vader!

 

Und plötzlich war es überstanden und sie war wieder ganz sie selbst.

 

Es war nur der Schock, beruhigte sie sich selbst. Kein Nervenzusammenbruch, keine Identitätskrise,  einfach nur der Schock. Ich habe nur einen Moment für mich gebraucht, um … um irgendwie damit klarzukommen. Aber jetzt bin ich wieder in Ordnung. Es geht mir gut. Es. Geht. Mir. Gut!

 

Und was den Rest angeht … Sie biss die Zähne zusammen. Darüber denke ich später nach. Sehr viel später.  Irgendwann wenn ich Zeit dafür habe. Und wenn ich keine Zeit dafür habe, wenn ich in meinem ganzen Leben nie wieder auch nur  fünf Minuten Zeit dafür habe, umso besser.

 

Sie hob den Kopf, ihre Schultern strafften sich, und kein verweintes Gesicht hatte je kämpferischer ausgesehen als ihres. Han und Brix / Blix (der übrigens mit dem beinahe unaussprechlichen oder jedenfalls schwer zu erfassenden Namen Bryllykzzyngyr  geschlagen war) sahen es mit Erleichterung.

 

„Wir müssen uns langsam wieder auf die Socken machen, Süße, sonst fängt die Party noch ohne uns an“, mahnte Han. 

 

Leia stand sofort auf. „Ja. Lass uns gehen. Jetzt gleich.“

 

„Äh … Ma’am? Wenn schon von Socken die Rede ist …“ Brix / Blix starrte bedeutungsvoll auf den Boden.

 

Leia folgte seiner Blickrichtung und entdeckte mit mildem Erstaunen, dass ihre Füße zwar fachmännisch verpflastert, aber ansonsten nackt waren, denn diese grässlichen Tramp & Camp-Knobelbecher standen immer noch einsam und verwaist zwischen zwei Grasbüscheln, gekrönt von lieblos hineingestopften Strümpfen, die so trübselig von den Stiefelschäften herunterhingen wie auf Halbmast gesetzte Fahnen bei einer Trauerfeier.

 

„Oh!“

 

Sie setzte sich hastig wieder hin, um ihre bedauernswerten Füße erneut in das unbequemste Schuhwerk hineinzuzwängen, das ihnen jemals zugemutet worden war.  (Natürlich abgesehen von den todschicken, aber mörderisch engen und hochhackigen Pumps, die Leias Debütantenball zu einem wahrhaft unvergesslichen Erlebnis gemacht hatten.) Doch immerhin hielten wenigstens die schmerzlindernden Synthhautpflaster, was ihre Hersteller versprochen hatten, wie Leia feststellte, als sie ein paar vorsichtige Probeschritte wagte.

 

„Alles in Ordnung“, sagte sie leichthin, als sie Hans prüfenden Blick bemerkte.

 

Han zog nur eine skeptische Augenbraue hoch. 

 

„Es geht mir gut. Siehst du nicht, wie gut es mir geht?“ sagte Leia schroff. (Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war Han, der um sie herumtanzte wie ein übereifriges Kindermädchen.)

 

„Also wenn ich ehrlich sein soll …“ Han zauderte.

 

„Ich fühle mich einfach fabelhaft“, behauptete Leia, was mehr als nur eine kleine Übertreibung war. „Und ich laufe wie … wie auf Wolken.

 

Doch Han war nicht überzeugt. Er beugte sich zu ihr vor und wisperte ihr zu: „Wir können uns jetzt keinen Fehler leisten, Süße, nicht den allerkleinsten. Glaubst du wirklich, dass du das durchhältst? Oder willst du vielleicht lieber zurückgehen? Du könntest mit einem der Ewoks…“

 

„Natürlich halte ich durch. Was soll das? Ich halte immer alles durch, oder?“

 

„Schon, aber …“ Was auch immer Han noch von sich geben wollte, es verdorrte unter ihrem flammenden Blick und zerfiel zu Staub.

 

Leia schäumte innerlich. So war das also: Ein paar Tränen und schon wurde man zum hysterischen Nervenbündel degradiert, das einen  unkalkulierbaren Risikofaktor darstellte. Männer!

 

„Das ist nicht fair, Han.“

 

„Nur keine Aufregung, ich habe es schließlich nur gut gemeint. Also schön, wenn du darauf bestehst, wenn du wirklich glaubst, dass du  …“

 

„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es!“ schnappte Leia.

 

Han kapitulierte, was hauptsächlich daran lag, dass Chewie gerade mit einer Miene näher rückte, die finster genug war, um die nächste handgreifliche Wookie-Intervention anzukündigen. „Ist ja gut“, sagte er verdrossen. Und sehr viel leiser: „Dass dieser wandelnde Bettvorleger sich aber auch immer und überall einmischen muss!“

 

Leias Empörung versickerte so schnell, dass sie beinahe gelächelt hätte – hätte nicht  Galens frostiger Blick ihr Lächeln im  Keimstadium erfrieren lassen …

 

Sie hätte unmöglich sagen können, wie lange der Major schon direkt hinter Han stand, wie viel er von ihrem Wortwechsel mitbekommen oder was er sonst noch gesehen und gehört hatte. Aber sie hätte ihre Hand dafür ins Feuer legen können, dass Galen alles missverstanden hatte, was nur misszuverstehen war. Da war etwas in seinen Augen … etwas Undefinierbares, das Leia weder mit Logik nachvollziehen noch nachfühlen konnte. Sie wusste es noch nicht, aber es war der erste Schatten eines Verdachtes, der nur allzu bald eine Sturmflut aus Beschuldigungen und Verleumdungen nach sich ziehen und damit eine Lawine aus Hass und Gewalt lostreten sollte, die nicht nur Leia in ihren Grundfesten erschüttern würde …

 

Sie wusste es noch nicht, aber eines wusste sie hier und jetzt ganz genau: Sie fand die Art und Weise, wie Galen sie musterte, nicht direkt impertinent, aber irgendwie … unangemessen. Sehr unangemessen.

 

„Was ist?!“ fragte sie irritiert.

 

„Nichts, Ma’am“, sagte der Mann steif.

 

„Dann ist es ja gut“, erwiderte Leia in einem Tonfall, der erkennen ließ, dass gar nichts gut war. Sie wandte sich an die übrigen Männer, die inzwischen aufgestanden waren und ihre Rucksäcke geschultert hatten – Männer, in deren Augen sie immer noch das Vertrauen und die Zuneigung lesen konnte, die sie mit jeder Faser ihres Seins verdient hatte. „Gehen wir“, sagte sie kurz.

 

Wenige Minuten später war die kleine Lichtung in dem hohen Farnkraut, die dem Stoßtrupp der Allianz als Unterschlupf gedient hatte, wieder menschenleer. Eine Purpurammer, die in der ungewohnten Geräuschkulisse der fremdartigen Zweibeiner vorübergehend verstummt war, nahm ihr unterbrochenes Lied wieder auf und sang mit sorgloser Süße in den goldflirrenden duftenden Sommertag hinein … 

 

 

 

*

 

Han ließ sein Fernglas sinken und flüsterte: „Das ist vielleicht ein verschlafenes Kleeblatt! Muss wohl an der Hitze liegen. Ich dachte immer, unsere Ritter von der schaurigen Gestalt hätten wenigstens eine Klimaanlage unterm Helmchen, aber die Burschen da unten schmoren eindeutig schon in ihrem eigenen Saft, so fertig wie die aussehen. Gib denen noch ein, zwei Stunden und die kippen um wie ein Rudel Wampas bei Tauwetter.

 

Na ja, sie haben vielleicht noch keinen Sonnenstich, aber sie sind inzwischen auf jeden Fall reif für eine kalte Dusche. Die denken nur noch an ihre Ablösung und ein paar Sechserpacks aus dem nächst besten Kühlschrank. Gut für uns. Das wird ein Kinderspiel, Süße!“ Zum ersten Mal seit ihrer Landung auf Endor strahlte sein breites Grinsen ebenso viel  Optimismus wie Tatendrang aus.

 

Leia, die neben ihm in der Deckung eines moosbewachsenen Baumstamms lag,  schüttelte langsam den Kopf. Sie justierte die Zoomeinstellung ihres eigenen Fernglases und starrte angespannt zu den vier gepanzerten Sturmtruppensoldaten hinunter, die vor dem Bunkereingang Wache hielten und dabei tatsächlich eine bemerkenswert schlaffe Haltung an den Tag legten.

 

„Ach, ich weiß nicht.  Warum sind es nur so wenige? Da vorne wimmelt es nur so von ihnen, aber hier…“

 

„Warum, warum! Das hab ich dir doch vorhin schon erklärt, oder? Wenn du dich irgendwo einschleichen willst, wo es zugeht wie in einem Ameisenhaufen, dann nimm die Hintertür, weil die Hintertür grundsätzlich nie auch nur halb so gut bewacht wird wie die Vordertür – alte Schmugglerweisheit! Du machst dir viel zu viele Sorgen, Süße. Chewie und ich haben so was schon hundertmal durchgezogen, das ist reine Routine für uns. Was sagst du dazu, Kumpel? Stimmt’s oder hab ich Recht?“

 

Der Wookie, der ein paar Meter hinter ihnen bei den übrigen Rebellen kauerte, gab nur ein viel sagendes Schnaufen von sich.

 

Das war nicht ganz die Antwort, die Han von seinem treuen Schatten erwartet hatte. „Fällst du mir jetzt auch noch in den Rücken oder was? Natürlich hab ich Recht! Ich hab immer Recht! Na gut, fast immer.“

 

Leia biss sich auf die Unterlippe. „Han, irgendwie …“

 

„… hast du ein ganz mieses Gefühl bei der Sache, ich weiß. Und was jetzt?  Was sollen wir  deiner Meinung nach machen, Hochwohlgeboren? Sollen wir hier schön brav sitzen bleiben und Däumchen drehen, bis die ersten Trümmer von unseren eigenen Schiffen auf uns herunterregnen?“

 

„Nein, natürlich nicht. Aber könnten wir nicht noch ein bisschen warten?“

 

„Worauf warten? Dass die Kerle da unten einen Striptease hinlegen? Ich will ja nicht drängeln, Euer Durchlaucht,  aber allmählich müssen wir wirklich einen Zahn zulegen.“

 

Leia zögerte. „Also gut“, sagte sie schließlich widerstrebend. „Bringen wir es endlich hinter uns.“

 

Han fuhr ihr sanft mit dem Daumen über die Wange. „Keine Angst, Chewie und ich kriegen das schon hin.  Wir zwei kriegen alles hin,  so lange die Überraschung  auf unserer Seite ist. Na los, Kumpel, machen wir es wie immer: Kurz und schmerzlos und mit viel Fingerspitzengefühl.“

 

Chewie feixte und schlug sich mit der geballten linken Faust kriegerisch an seine zottelige Brust, während er mit der rechten seine riesige Laserbolzenarmbrust schüttelte. Nachdem er so demonstriert hatte, was man in Wookiekreisen unter Fingerspitzengefühl verstand, robbte er zu Han hinüber. 

 

Die beiden schickten sich gerade an, die Sicherheit ihres Verstecks zu verlassen,  als 3PO, der bis dahin mit R2D2 und den beiden Ewoks in einem Dickicht weiter unten gewartet hatte, plötzlich auf sie zugestolpert kam, seine rechtwinkligen goldenen Arme in einer unmissverständlichen Verzweiflungsgeste steif von sich gestreckt und seine Photorezeptoren so grell, dass er unmittelbar vor einem Kurzschluss zu stehen schien.

 

„KÖNIGLICHE HOHEIT!!!“ blökte er.

 

In Wirklichkeit war sein Ausruf natürlich gar nicht so laut, aber in den Ohren von Leia und den anderen klang er trotzdem, als hätte er mindestens die Dezibelstärke einer Alarmsirene. Wie auch immer: Noch bevor 3PO dazu kam, weitere Fanfarenstöße von sich zu geben oder mit seiner spiegelblanken Hülle höchst verdächtige Lichtreflexe zu verursachen, die sogar den müdesten Wachposten im Handumdrehen wieder munter gemacht hätten, hatte Chewie den Droiden auch schon mit einem blitzschnellen Klammergriff um unnachgiebige metallene Knie niedergerungen und sich auf ihn geworfen, mit beiden Pranken den allzu geschwätzigen Vocoder umklammernd und ihn zur Stummheit verurteilend – oder jedenfalls beinahe zur Stummheit.

 

„Hmmmfff … nnnfff!“ protestierte 3PO, unter dem erdrückenden Gewicht des Wookies zappelnd  wie ein Fisch auf dem Trockenen.

 

„Noch so ein Auftritt und du bist fällig, Goldbein!“ zischte Han aufgebracht. „Ich weiß noch nicht, ob ich dich nur an einen Baum kette, damit du ganz langsam vor dich hin rostest, bis du in deine lausigen Einzelteile zerfällst, oder ob ich einfach so lange auf dich schieße, bis dein Prozessor schmilzt, aber eines weiß ich ganz genau: Ich tu’s und mit großer Freude noch dazu!“

 

„Lass ihn los, Chewie“, befahl Leia. „Was ist denn jetzt schon wieder, 3PO?“

 

„Ach du meine Güte!“ jammerte der Droide, sobald sich die Wookietatzen aus seinem Gesicht zurückgezogen hatten. „Womit habe ich das verdient? Ich wollte Sie doch nur darüber in Kenntnis setzen, dass unsere neuen Verbündeten gerade im Begriff sind,  etwas sehr Unüberlegtes zu tun.“

 

„Was?!“

 

„Bitte geben Sie nicht mir die Schuld, Hoheit. Ich habe alles getan, um es ihnen auszureden, aber diese Ewoks sind wirklich schrecklich eigensinnig, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben und …“

 

„WO SIND SIE?“

 

Ein goldener Zeigefinger deutete wortlos an ihr vorbei. Leia wirbelte herum und starrte erneut über den Baumstamm hinweg in die Senke.

 

„Oh nein …“ hauchte sie, als sie die gedrungenen kleinen Figuren im Unterholz entdeckte, nur wenige Schritte von den Sturmtruppensoldaten entfernt. „Was um Himmels willen haben die beiden nur vor?“

 

Wie auf Stichwort krabbelte einer der Ewoks auf allen Vieren aus dem Gebüsch heraus und nahm Kurs auf ein paar Speederbikes, die am Waldrand geparkt waren. Mit demselben lähmenden Gefühl absoluter Hilflosigkeit, das für gewöhnlich die Augenzeugen eines unabwendbaren Unfalls heimsuchte, beobachteten die Rebellen, wie der Ewok unbeholfen, aber  dafür wild entschlossen auf eines der Speederbikes kletterte. Kurze wuschelhaarige Beine umklammerten den breiten Sitz so energisch wie ein allzu zierlich geratener Jockey die muskulösen Flanken seines Rennpferdes. Kleine flaumbesetzte Finger, nur an den Umgang mit einfachsten Werkzeugen gewöhnt, befummelten unsicher, aber mit wachsendem Enthusiasmus unvertraute Schalter und Knöpfe. Es war ganz eindeutig, was dieser Ewok vorhatte …

 

„Bitte nicht!“ flüsterte Leia mit Inbrunst – es war nicht ganz klar, ob diese Beschwörungsformel dem Ewok oder den Soldaten galt oder ob es sich dabei einfach nur um ein Stoßgebet an hoffentlich wohlwollende übernatürliche Mächte handelte.

 

Doch schon im nächsten Augenblick erwachte das Speederbike mit dem sonoren Brüllen kraftvoller Motoren zum Leben, was auf die eben noch träge vor sich hindämmernden Sturmtruppensoldaten ungefähr dieselbe Wirkung hatte wie ein Donnerschlag auf eine Herde von verträumt wiederkäuenden Springböcken.

 

„So viel zum Thema Überraschung“, sagte Han resigniert.

 

Nun, die Soldaten waren überrascht, daran bestand kein Zweifel, aber sie erholten sich sehr schnell von diesem Zustand: Nach einer Schrecksekunde stürzten sie in einem  Durcheinander aus wütenden Kommandos und obszönen Schimpfworten zum Tatort hinüber. Blasterbewehrte Drohgebärden sollten den Störenfried lange genug einschüchtern, um ihn dingfest zu machen, doch der Ewok hatte nicht die Absicht, friedlich zu warten, bis man ihn von seinem mühsam eroberten Feuerstuhl herunterzerrte.

 

Ein schlecht gezielter, aber heftiger Tritt auf ein gerade noch erreichbares Pedal hatte sofort durchschlagenden Erfolg: Das Speederbike bäumte sich auf, röhrte, spuckte voller Verachtung eine Wolke aus Rauch und Funken aus seinem Vergaser und raste endlich wie eine Rakete auf und davon, seinen vom Geschwindigkeitsrausch übermannten Ewok-Piloten entführend, der sich mit aller Kraft am Lenker festkrallte und kreischte wie eine sirianische Todesfee – es war schwer zu sagen, ob vor Entsetzen oder vor Begeisterung.

 

Drei der Soldaten schwangen sich auf die übrigen Speederbikes und jagten unter großem Geschrei hinter dem unverschämten Dieb her, der vierte blieb einsam und alleine zurück, um die Stellung zu halten.

 

„Das glaube ich jetzt einfach nicht“, murmelte Galen bewundernd und sprach damit aus, was alle dachten.

 

Auch Hans Miene hatte sich wieder aufgehellt. „Gar nicht übel für so ein lebendes Wollknäuel, was?“ Und aus seinem Mund war das schon ein großes Lob – vor allem, wenn man die näheren Umstände seiner Bekanntschaft mit den Ewoks bedachte und die zwiespältigen  Gefühle, die sie ganz allgemein bei ihm auslösten.

 

„Ich hoffe nur, der Kleine überlebt das.“ Leia hatte genug Erfahrungen mit den Tücken von Speederbikes und der Erbarmungslosigkeit von Sturmtruppensoldaten gesammelt, um für den Ewok sofort das Schlimmste zu befürchten.

 

Han wischte ihre Bedenken mit einer ungeduldigen Handbewegung weg – sie hatten genug  andere Sorgen, nicht wahr?

 

„Wenn das hier gelaufen ist, ziehen wir Mon Mothma eine Medaille für außergewöhnliche Ewok-Tapferkeit aus der Nase, okay? Von mir aus kann das Wollknäuel sogar ein Denkmal haben. Und jetzt komm endlich!“

 

Gleich darauf pirschten sie alle lautlos wie Wilderer in die Senke hinunter. Keiner von ihnen verschwendete auch nur einen Gedanken an 3PO, der beleidigt zurückblieb und seinem Astromech-Kollegen verkündete: „Dieses Mal werden wir uns nicht einmischen. Ich habe beschlossen, dass wir genau hier bleiben. Wir rühren uns  nicht vom Fleck, hörst du?“

 

Auch der zweite Ewok, der im Gegensatz zu seinem waghalsigen Begleiter immer noch brav in seinem Gebüsch saß, wurde von den Rebellen ignoriert. Auf Zehenspitzen schlichen sie sich an ihm vorbei und an den frisch verwaisten Soldaten heran,  der immer noch so sehr damit beschäftigt war, seinen Kameraden hinterher zu gaffen, dass er die Rebellen erst bemerkte, als Han ihm ganz nonchalant auf die Schulter klopfte.

 

Zur allgemeinen Erleichterung waren achtzehn auf ihn zielende Blastermündungen plus eine ziemlich eindrucksvolle Laserarmbrust genug, um den Mann sofort erkennen zu lassen, dass der Feind in der Überzahl und Widerstand ebenso zweck- wie hoffnungslos war. Er akzeptierte seinen neuen Status als Kriegsgefangener mit einem beinahe ebenso nonchalanten Achselzucken und warf seine Waffe auf den Boden, noch bevor Han ihn dazu auffordern konnte.

 

Später behauptete Han, dass diese allzu gleichmütige Kapitulation ihm angeblich sofort suspekt vorgekommen war. Aber Tatsache ist, dass er in dem bewussten Augenblick einfach nur ziemlich verdutzt war, weil er es zum allerersten Mal mit einem Sturmtruppensoldaten zu tun hatte, der clever genug war, den Wert seines eigenen Lebens höher einzuschätzen als die zweifelhafte Ehre, für den vergänglichen Ruhm fanatischen imperialen Kanonenfutters zu sterben.

 

Doch im Endeffekt zählte in diesem Moment nur, dass der Mann sich ergeben hatte, und Han hätte trotz seiner zur Schau getragenen Kaltschnäuzigkeit nie jemanden getötet, der freiwillig die Waffen streckte. Galen sah die Sache leider etwas anders – er vertrat die bei einer etwas radikaleren Minderheit innerhalb der Allianz sehr beliebte Devise, dass nur ein toter Imperialer ein guter Imperialer war. Und so kam es erneut zu einem sehr kurzen und sehr scharfen Wortwechsel, der damit endete, dass Han sich wieder einmal durchsetzte. Der Soldat wurde seiner Uniform entledigt und in den Wald geschafft, wo er gefesselt und geknebelt, aber immerhin unverletzt unter der Aufsicht von Bryllykzzyngyr  (besser bekannt als Brix / Blix)  verblieb.

 

„Und was jetzt? Sollen wir das Zeug da etwa auch noch mitschleppen?“ Galen versetzte dem traurigen Uniformbündel auf dem Boden einen Tritt, der unmissverständlich signalisierte,  was er von einer derartigen Zumutung hielt.  „Oder lassen wir es einfach hier herumliegen, bis der nächste  Imp-Treiber anmarschiert und darüber stolpert?“  (Und spätestens jetzt war jedem klar, dass er General Solos Intelligenz ebenso anzweifelte wie seine Führungsqualitäten.)

 

Han schob das viereckige Marmorkinn vor, das ihm seit kurzem immer dann aus dem Unterkiefer zu wachsen schien, wenn er Auflehnung witterte,  entschied aber in letzter Sekunde, sich nicht provozieren zu lassen.

 

„Weder noch“, sagte er mit leicht gezwungener Ruhe. „Einer von uns muss hier draußen bleiben und die Augen offen halten, damit wir  rechtzeitig gewarnt werden, falls wir lieben Besuch bekommen. Ich habe keine Lust auf eine Schießerei mit unserer kleinen Jagdgesellschaft  oder mit Imp-Treibern oder mit wem auch immer. Deshalb muss jetzt irgendjemand für eine Weile das Schaf im Wolfspelz spielen.“

 

Hans Blick wanderte nur scheinbar beiläufig über Galen, der mit einer beachtlichen Länge und einer erfreulich breitschultrigen Statur gesegnet war, was ihn zweifellos zur  Idealbesetzung für die gerade vakant gewordene Rolle machte. „Das richtige Kostüm macht die halbe Vorstellung – alte Theaterweisheit! Aber nur der richtige Schauspieler sorgt für Applaus und volle Kassen. Sie geben bestimmt einen wundervollen Sturmtruppensoldaten ab, Major“, fügte er mit gut geheuchelter Herzlichkeit hinzu.

 

Galen wäre nicht Galen gewesen, wenn er das auf sich hätte sitzen lassen. „Ich?“ fragte er empört. „Warum ausgerechnet ich?“

 

„Wer sonst?“ sagte Han so salbungsvoll, dass die anderen zu schmunzeln begannen. (Galens endloses und zeitaufwändiges Genörgel ging auch dem Rest der Truppe allmählich auf die Nerven.)  „Wer von uns könnte das typische imperiale Frontschwein besser spielen als Sie? Wer von uns könnte diese angeborene Überlegenheit, diesen eingedrillten Testosteronstau, diese Ich-reiß-euch-gleich-den-Hintern-auf-Mentalität auch nur halb so überzeugend darstellen wie Sie? Nein, nein, Sie sind der perfekte Ersatzmann, Major – und außerdem sind Sie als Einziger groß genug dafür“, beendete er seine Tirade sehr viel nüchterner. 

 

Diesem einleuchtenden Argument konnte sich niemand entziehen – nicht einmal Galen. Mit spitzen Fingern hob er den schwarzen Bodysuit auf, der die Grundlage jeder Sturmtruppenuniform bildete, und betrachtete ihn mit so viel Ekel wie ein Arachnophobiker die abgestreifte tote Chitinhülle  einer frisch gehäuteten Amuunspinne.

 

„Es  stinkt nach Hass und Unterdrückung“, murrte er leise vor sich hin.

 

„Und wenn das Ding nach einem ganzen Container voller imperialer Schweißfußsocken stinkt – anziehen!“ kommandierte Han, dessen künstliche Gelassenheit inzwischen vibrierte wie eine allzu straff gespannte Bogensehne. Noch ein Mucks, Großmaul, und ich reiß dir den Hintern auf! dachte er mit zusammengebissenen Zähnen.

 

Galen schlüpfte mit großer Überwindung und schmallippig vor Abneigung in den Bodysuit, der ihm tatsächlich wie angegossen passte. Leia reichte ihm die verschiedenen Einzelteile der weißen Panzerung und schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln, das nicht erwidert wurde.

 

„Na, was  habe ich gesagt? Der perfekte Imperiale – da kriegt man ja richtig Angst“, frotzelte Han, als Galens aufsässiges Gesicht endlich unter dem Helm mit der charakteristischen Totenkopfmaske verschwunden war.

 

Der Major brummte etwas Unverständliches, aber definitiv Unfreundliches in sein Helmmikrophon hinein, hob jedoch fügsam das Blastergewehr auf, das seine Verkleidung wirkungsvoll abrundete, und nahm seinerseits vor dem Bunkereingang Aufstellung. Er sah vollkommen echt aus – zumindest auf den ersten Blick.

 

Und mehr als einen ersten Blick wird kein echter Imperialer jemals auf ihn werfen – nicht, wenn alles nach Plan geht, dachte Han. 

 

Er zog einen Datenblock aus seiner Jackentasche, schaltete ihn ein und trat neben Galen, um kritisch das alphanumerische Tastenfeld der Schalttafel zu beäugen, die in einer Wandnische neben der massiven Metalltür des Bunkers untergebracht war.

 

„Jetzt werden wir gleich sehen, wie gut deine Botha-Spione wirklich sind“, sagte er zu Leia, die zusammen mit den anderen nachgerückt war.

 

„Ganz vorsichtig“, mahnte Leia.  „Wenn du auch nur einmal daneben tippst …“

 

„Ich bin immer vorsichtig“, erwiderte Han gekränkt.

 

Trotzdem hielt auch er unwillkürlich den Atem an, als er damit begann, die nervenzermürbend lange und komplizierte Folge aus Buchstaben und Zahlen in die Schalttafel einzugeben, die der winzige Lautsprecher seines  Datenblocks ihm mit einer geschlechtslosen, eintönig leiernden Computerstimme diktierte.

 

„Sooo …“ Han vollendete den gestohlenen Code mit einem energischen Druck auf die Enter-Taste. „Fertig!“

 

Er starrte erwartungsvoll auf das einzige wirkliche Hindernis, das jetzt noch zwischen ihm und dem Erfolg seiner Mission stand, aber die Bunkertür bewegte sich nicht. Nicht einen Millimeter.

 

„Verdammt!“

 

„Han, bist du ganz sicher, dass du nicht die letzte Sequenz vergessen hast?“

 

„Wenn ich irgendeinen Teil von diesem Code vergessen oder doppelt eingegeben oder sonst was damit gemacht hätte, dann würden jetzt schon viele böse Buben durch die Gegend springen und uns mit  vielen hässlichen Blastern guten Tag sagen,  Süße!“

 

„Nur zu Ihrer Information, Solo: Wir haben noch genau zwölf Minuten und achtzehn Sekunden, bevor unsere ganze Flotte da oben gegen den Schutzschild knallt, weil wir es nicht einmal geschafft haben, die verfluchte Tür aufzubekommen!“ Dieser hilfreiche Hinweis kam natürlich von Galen –  von wem auch sonst?

 

„Was sollen wir denn jetzt bloß machen, General?“ fragte einer der anderen Rebellensoldaten nervös.

 

Han wollte gerade antworten, dass sie von ihm aus gerne versuchen konnten, die Tür mit Galens Kopf einzuschlagen, als die Schalttafel erst ein leises Klicken und dann einen lang gezogenen Summton von sich gab. Im nächsten Augenblick glitt das große metallene Rechteck, das beinahe zum Siegel ihres Untergangs geworden wäre, so leicht und geräuschlos auf, als wollte es die eben noch hoffnungslos ausgesperrten Rebellen verhöhnen.

 

„Was zum Teufel …?!“

 

„Vielleicht hat das Ding ja nur einen Wackelkontakt“, vermutete der Rebell, der Han angesprochen hatte.

 

Han starrte auf die schwere Panzertür, die ihnen nach einer verdächtig langen Pause doch noch Einlass gewährt hatte. Die wie eine Wunde aufklaffende Öffnung schien eher in die archaische, mit unbekannten Gefahren gesättigte Fledermausdunkelheit einer Höhle zu führen als in einen mit hochmodernem technischen Schnickschnack überfüllten imperialen Bunker.

 

„Elf Minuten, fünfunddreißig Sekunden, General!“ Galen hörte sich an wie ein schlechtgelauntes Orakel, das schon aus Prinzip Tod und Vernichtung prophezeite.

 

Han sah Leia an. Ihre schmale rechte Hand umklammerte den Griff ihrer Waffe so fest, dass sich ihre Fingerknöchel weiß unter der Haut abzeichneten, aber sie nickte ihm auffordernd zu. Sie hatten keine andere Wahl 

 

Seite an Seite betraten sie den Bunker und winkten den anderen, ihnen zu folgen.

 

 

 

 

*

 

Leia rechnete jeden Augenblick mit Feindkontakt. Behutsam streckte sie den Kopf vor und spähte um die Ecke, auf alles gefasst, kampfbereit. Aber der niedrige, von einem trüben rötlichen Licht eher verdunkelte als erhellte Korridor, den sie jetzt einsehen konnte, war genauso leer wie der Eingangstunnel, den sie gerade hinter sich gelassen hatte. Keine Wachen, keine Techniker, nicht einmal Droiden – der Bunker machte einen völlig verlassenen Eindruck.

 

„Wo stecken die denn alle?“ wisperte sie.

 

„Wahrscheinlich genau da, wo wir auch hinmüssen: In der Schaltzentrale. Aber viele werden es sowieso nicht sein, diese Bunkercrews bestehen immer nur aus ein paar Leuten: Ein Kerl, der die ganzen Kontrollmonitore im Auge behält, und eine Handvoll Wichtigtuer, die ihn im Auge behalten.“ Han riss seine eigenen Augen so weit wie möglich auf und mimte konzentrierte imperiale Wachsamkeit. „Also überhaupt kein Problem für unseren Spezial-Brutal-Trupp mit der Lizenz zum K.O. in null Runden!“

 

„Witzig. Wirklich witzig“, murmelte Leia, die in Anbetracht der Umstände gar nichts witzig fand.

 

Zwischen ihrem unverbesserlichen Sprücheklopfer und seinem Wookie eingekeilt,  den Rest der Rebelleneinheit dicht auf den Fersen, rückte sie weiter vor, bis sie alle an eine Gabelung kamen, von der drei Gänge abzweigten.

 

„Welche Richtung?“

 

Han deute mit einem aufreizenden Zwinkern auf eine neongelbe, sorgfältig beschriftete  Pfeilmarkierung, die nur eine Handbreite über Leias Kopf deutlich sichtbar an der Wand prangte, und raunte: „Immer schön der Nase nach, Euer Duldsamkeit.“

 

Noch vor wenigen Monaten hätte Leia ihn spätestens jetzt in der Luft zerrissen (nichts brachte sie schneller in Rage als das Talent dieser corellianischen Spottdrossel, immer wieder neue lächerliche Titel für sie zu erfinden!), aber inzwischen wusste sie es besser. Hans Possenreißerei war nichts anderes als seine ganz persönliche Strategie, um die unerträgliche Anspannung aufzulockern, die sie alle fühlten. Also kein Grund zur Aufregung, entschied Leia (tatsächlich mit ungewohnter Duldsamkeit), als sie weitergingen.

 

Nur ein paar Meter weiter beschrieb der Gang einen scharfen Rechtsknick und endete direkt vor einer Tür, die beinahe genauso massiv aussah wie der Bunkereingang. Erfreulicherweise wies sie statt der codesüchtigen und auch sonst komplikationsträchtigen Schalttafel nur ein ausgesprochen besucherfreundliches Sensorfeld auf.

 

Chewie hatte es innerhalb von drei Schritten zweimal fertig gebracht, seinen Schädel an einem der niedrigen Deckenträger anzustoßen und war schon deshalb so angriffslustig wie ein gereizter Hornissenschwarm. Er drängte sich ungeduldig an Leia vorbei, schubste Han, der gerade den Öffnungsmechanismus inspizierte, kurzerhand aus dem Weg und verpasste dem Sensorfeld einen Fausthieb mit einer frustgeballten Riesenpranke.

 

So viel Aggression war einfach zu viel für die empfindliche Elektronik: Die Tür sprang mit einem protestierenden PLONK! auf und Chewie  stürmte die feindliche Stellung im Alleingang, aber dafür mit einem markerschütternden Gebrüll, das nicht nur die Bunkermauern zum Erzittern brachte.

 

Ein paar ziellos abgefeuerte Schüsse, die außer einem harmlosen Funkenregen hier und da keinen nennenswerten Schaden anrichteten, taten ein Übriges: Die Bunkerbesatzung – zwei behelmte Controller, die klugerweise sofort hinter ihren Konsolen auf Tauchstation gingen, und drei erbleichende Offiziere, die mit hastig erhobenen Händen vor dem tobenden haarigen Monster zurückwichen – dachte offensichtlich nicht im Traum daran, die Schaltzentrale zu verteidigen.

 

Nur der einzige anwesende Sturmtruppensoldat traf eine einsame Entscheidung und versuchte es mit einem Gegenangriff, womit er mehr Mut als Urteilsfähigkeit bewies. Chewie machte kurzen Prozess mit dem Unruhestifter:  Er schnappte sich den Mann, klemmte ihn sich unter den Arm, wirbelte mit ihm ein paar Mal um seine eigene Achse wie ein Diskuswerfer und schleuderte ihn schließlich mit viel Schwung quer durch den Raum und an die nächst beste Wand – eine grobe, aber wirkungsvolle Verfahrensweise, die nicht nur in den Kunststoffpaneelen der Wand, sondern auch bei allen übrigen Imperialen einen tiefen Eindruck hinterließ.

 

Als Han endlich hereinsprintete, um der erstbesten grau uniformierten Figur in Reichweite seinen Blaster unter die Nase zu halten und überflüssigerweise zu schreien: „Ganz ruhig! Keiner von euch Schlaubergern rührt sich hier vom Fleck oder ich brenne ihm höchstpersönlich ein Loch in die Mütze, verstanden?“, herrschte längst Ruhe. Nach Chewies kleiner Demonstration hätte niemand freiwillig auch nur einen Finger gerührt, zumal seine Laserarmbrust sie alle in Schach hielt.

 

Han betrachtete den leise vor sich hin stöhnenden Soldaten, der immer noch in der Ecke lag, wo er nach einer handgreiflichen Wookie-Lektion in Sachen Manieren gelandet war, und sagte vorwurfsvoll zu Chewie: „Hast du schon wieder Sturmtruppen-Kegeln gespielt?“

 

Eine  Rechtfertigung blieb dem Wookie erspart, denn jetzt  äugte Leia durch die Tür und als sie sah, dass die Situation unter Kontrolle war, scheuchte sie sofort die anderen Rebellen herein.

 

„Los, los, an die Arbeit! Du auch“, fügte sie mit einem strengen Blick auf Han hinzu.

 

„Immer mit der Ruhe, Süße. Wir sind hier ruckzuck fertig.“

 

Han fing die Sprengkapsel auf, die ihm einer der Rebellensoldaten zuwarf, und klatschte das trügerisch klein und harmlos aussehende Teil gegen einen der Stahlträger, wo es dank seiner magnetischen Haftklammern gehorsam kleben blieb. Er aktivierte mit einem gefühlvollen Daumendruck den Zeitzünder, kontrollierte das Display, auf dem die Sekunden mit alarmierender Schnelligkeit rückwärts tickten, und sagte lässig: „Weißt du, alles im Leben hängt vom richtigen Timing ab …“

 

Er ignorierte entschlossen die rote Leuchtdiode an seinem Armbandchrono, die warnend zu blinken begonnen hatte, und tätschelte die nächste Sprengladung zärtlich, bevor er sie mitten auf einer der Computerkonsolen platzierte. Der Controller, der direkt dahinter auf allen Vieren am Boden kauerte, sah mit herausquellenden Augen zu ihm auf. Han bedachte ihn mit seinem breitesten Grinsen. 

 

„… und ob du es glaubst oder nicht, Allerhochwürdigste: Mein Timing ist perfekt“, fuhr er strahlend fort.

 

Leia verdrehte angesichts dieser leichtherzigen Prahlerei nur andeutungsweise die Augen,  dann drehte sie sich zu den Gefangenen um, die inzwischen ebenfalls mit wachsender Unruhe die Vorbereitungen der Rebellen beobachteten.

 

„Sie werden den Bunker jetzt gleich zusammen mit uns verlassen“,  verkündete sie. Sie hielt inne und musterte die fünf ihr zugewandten Gesichter, die alle möglichen Gefühlsregungen  zeigten, aber nicht eine Spur von Erleichterung – von Dankbarkeit  ganz zu schweigen.

 

„Danach müssen Sie sich leider noch für ein paar Stunden mit unserer Gesellschaft  abfinden. Wir  können Sie natürlich nicht gleich wieder laufen lassen, weil Sie dann unsere Position verraten würden. Aber Sie können gehen, sobald wir sicher unser Schiff erreicht haben, das verspreche ich Ihnen.“

 

Ein junger Lieutenant mit raspelkurzen blonden Haaren rümpfte mit einem verächtlichen Schnüffeln seine lange dünne Nase. Er hielt offensichtlich nicht besonders viel von ihren Versprechungen. Leia fand, dass die Undankbarkeit der Gefangenen nur noch von ihrer Unhöflichkeit übertroffen wurde.  Nicht dass sie von Imperialen so etwas wie Höflichkeit erwartet hätte …

 

„Seien Sie vernünftig und niemandem wird etwas geschehen“, vollendete sie ihre kleine Ansprache kurz angebunden. 

 

Doch jetzt meldete sich einer der anderen Offiziere zu Wort – entweder war er ein wenig menschlicher oder einfach nur ängstlicher als seine Kollegen.

 

„Mein Gott, wie viel von dem Zeug wollt ihr hier eigentlich noch verteilen? Wollt ihr halb Endor in die Luft jagen? Sind das Zeitzünder? Auf wie viele Minuten sind die Dinger eingestellt? Schaffen wir das überhaupt noch?“  fragte er fahrig. 

 

„Nur keine Panik. Wir sind hier blitzschnell wieder raus“, sagte Han, der sich angesprochen  fühlte, sonnig.

 

„Da wäre ich mir nicht so sicher.“

 

Han fuhr herum und starrte ungläubig auf den schimmernden Lauf der  Waffe, die auf seine Brust zielte. Der hoch aufgeschossene imperiale Commander, der plötzlich wie aus dem Boden gewachsen hinter ihm stand, lächelte sehr kühl und sehr überlegen und dazu hatte er auch allen Grund: Hinter seiner Schulter drängte sich nämlich bereits eine halbe Schwadron Sturmtruppensoldaten und die andere Hälfte schob sich gerade Mann für Mann aus einer bis jetzt unsichtbaren Luke in einer bewusst dunkel gehaltenen Nische des Kontrollraums heraus, eine schier endlose weiße Schlange, zähflüssig, aber unaufhaltsam wie Zahnpasta, die aus einer schadhaften Tube quoll.

 

Innerhalb von  wenigen Augenblicken waren die völlig überraschten Rebellen eingekreist und entwaffnet.  Han sah sehnsüchtig zu der Tür hinüber, aber der einzige Fluchtweg war  natürlich längst durch eine lebende Mauer blockiert. Es war aussichtslos …

 

„Schach und matt“, sagte der imperiale Commander und nahm Han in aller Ruhe den Blaster aus der Hand. „Nach allem, was man so von Ihnen hört, sind Sie ein verflucht guter Spieler, Solo. Sind Sie auch ein guter Verlierer?“

 

Er quittierte Hans verbissenes Schweigen mit einem Achselzucken und sah sich nach seinen Soldaten um, die bereits eifrig damit beschäftigt waren, die von den Rebellen angebrachten Sprengladungen einzusammeln, nachdem sie sie mit einem einzigen vorsichtigen Knopfdruck mühelos entschärft hatten.

 

Hätte ich doch nur auf Madine gehört und einen Universalzünder mit Totmannschaltung verwendet, dachte Han. Dann hätte ich jetzt eine niedliche kleine Fernbedienung in der Jackentasche und die ganze Zeit meinen Finger auf dem großen roten Knopf. Ich müsste einfach nur loslassen – und BUMM!

 

Nein, Han Solo war kein guter Verlierer, der Geschmack der Niederlage füllte seinen Mund mit Bitterkeit. Doch dann sah er zu Leia hinüber, die mitten in einer ganzen Traube von Sturmtruppensoldaten eingekesselt war wie eine Bienenkönigin von einem Drohnenschwarm, ihr Gesicht weiß und starr und so leblos wie eine durchscheinende Maske aus hauchdünnem Alabaster. Und plötzlich wusste er, dass es völlig belanglos war, dass er aus reinem Widerspruchsgeist nicht auf Madines ewige Besserwisserei gehört hatte, denn er hätte es ohnehin niemals über sich gebracht, den roten Knopf loszulassen – nicht so lange auch Leia im Zentrum der Explosion stand. Die Liebe seines Lebens zusammen mit den Imperialen in einem verzweifelten Selbstmordanschlag zu töten, nein, das hätte er einfach nicht fertig gebracht – nicht einmal für den Sieg von zehn Rebellionen…

 

Das ist es also, was die Liebe uns antut, dachte Han verwundert, als er zusammen mit den übrigen Rebellen aus dem Kontrollraum heraus und durch die engen Korridore ins Freie getrieben wurde. Sie verändert uns. Sie lässt uns alles vergessen, was uns wichtig ist: Wer wir sind, woher wir kommen, wohin wir gehen, was wir eigentlich wollen … Am Ende können wir nur noch an den einzigen Menschen denken, der unserem Leben einen Sinn gibt  und alles andere ist so egal …

 

Er fragte sich, ob Leia dasselbe empfand, seine Prinzessin, der es früher leichter gefallen war, ganze Kolonnen von Flüchtlingen zu umarmen als den einen Mann, der sich durch ihren Schutzwall aus leidenschaftlicher Selbstverleugnung hindurch gegraben hatte …

 

Doch Leias Gedanken rotierten nur mit der Unerbittlichkeit eines Mahlsteins um die eine Frage, die die ganze zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit der letzten vierundzwanzig  Stunden in einem einzigen Wort zusammenfasste: WARUM?!

 

Es war wie ein Alptraum. Sie konnte einfach nicht glauben, dass es wirklich geschah. Die  Gänge im Bunker, die Lichtung vor dem Eingang, noch vor wenigen Minuten wie ausgestorben, wimmelten inzwischen nur so von Imperialen. Es waren Hunderte, es waren ganze Bataillone: Weißgepanzerte Soldaten und schwarzgepanzerte, Offiziere in Grau und Olivgrün, die meisten von ihnen zu Fuß,  einige  wenige auf  Speederbikes,  aber  jeder einzelne bis an die Zähne bewaffnet und sichtlich in der Stimmung, zumindest diesem Teil der Rebellion höchstpersönlich den Gnadenstoß zu versetzen.

 

Im Hintergrund ragten fünf AT–ATs in den Himmel wie ein Rudel von hungrigen Urzeitungeheuern; ihre Geschütztürme waren auf das jetzt ziemlich kläglich und verloren  wirkende Allianz–Team ausgerichtet – Kanonen, die auf Spatzen schossen. Zwischen den Laufpylonen der Gehkolosse drängten sich zehn AT–STs wie wesentlich kleinere, aber deshalb nicht weniger blutdürstige Jungtiere. Aus den Einstiegsluken dieser zweibeinigen Panzer beobachteten neugierige Piloten die Szenerie, während Scharfschützen aus den Schießscharten spähten, jederzeit feuerbereit. 

 

Es war unfassbar, wie viele Männer und Maschinen auf dieser kleinen Lichtung zusammengepfercht worden waren, nur um eine Handvoll vergleichsweise schlecht ausgerüstete Rebellen einzufangen oder ihnen am besten gleich den Garaus zu machen. Es war der klassische imperiale Overkill. Es wäre schmeichelhaft gewesen, wenn es nicht so entsetzlich gewesen wäre …

 

Leia hielt nach Galen Ausschau, aber wenn der Major ebenfalls gefangen genommen worden war, dann hatte man ihn  bereits weggeschafft. Doch auch wenn es ihm gelungen sein sollte, in der gesichtslosen Masse des Feindes unterzutauchen, befand er sich in einer ausgesprochen prekären Lage: Als vermeintlicher Sturmtruppensoldat konnte Galen nichts für seine Freunde tun, ohne seine Tarnung sofort auffliegen zu lassen. Darüber hinaus bestand jeden Augenblick die Gefahr, dass er in dem sorgfältig kontrollierten Mikrokosmos des imperialen Militärs als Fremdkörper entlarvt wurde. Es musste ihn nur irgendjemand ansprechen, der den Soldaten, dessen Uniform sie gestohlen hatten, persönlich kannte (irgendein unmittelbarer Vorgesetzter vielleicht oder – noch schlimmer! – einer seiner  Kasernenkameraden) und es war aus und vorbei.

 

Auf jeden Fall war die Wahrscheinlichkeit, dass der Major entkommen war oder noch entkommen würde, verschwindend gering. Immer vorausgesetzt, dass er überhaupt noch am Leben war … 

 

Aber sprach nicht alles dafür, dass Galen tot war? Warum hatte er nicht einmal versucht, sie zu warnen? Von dem Überfallkommando in der Bunkerzentrale hatte er natürlich nichts mitbekommen. Doch waren all die Imperialen hier draußen wirklich so schnell angerückt, dass dem Major keine Zeit mehr geblieben war, Alarm zu schlagen? Hatte ihn vielleicht einer der Scharfschützen aus dem Hinterhalt erschossen? War er hier ganz alleine in dem Bewusstsein gestorben, dass er versagt hatte, so wie sie alle versagt hatten?

 

Was mochte aus diesem netten Jungen (Brix oder Blix?!) und den beiden Ewoks geworden sein? Und wohin hatte es eigentlich  3PO und R2-D2 verschlagen? 

 

Genau in diesem Augenblick rief eine wohlbekannte affektierte Stimme unsicher: „Hallo? Hallo da unten! Suchen Sie vielleicht nach mir?“

 

Leia blieb unwillkürlich stehen und reckte den Hals, um die undeutliche goldschimmernde Gestalt, die gerade steifbeinig durch das Unterholz jenseits der Lichtung stakste, besser sehen zu können.

 

Ihr  Wächter missverstand ihr plötzlich erwachtes Interesse oder wollte es missverstehen, jedenfalls versetzte er Leia einen harten Schlag zwischen die Schulterblätter und knurrte: „Beweg dich, du halbe Portion, oder ich mach dir Beine!“

 

Von einem baumlangen, vor trainierter Muskelkraft nur so strotzenden Rohling durch die Gegend geschubst zu werden, war immer eine demütigende Erfahrung, besonders wenn man selbst mit einer Statur geschlagen war, die von höflichen Zeitgenossen als „grazil“ und von weniger höflichen als „winzig“ bezeichnet wurde. Aber wenn man dabei auch noch die Hände im Nacken verschränkt hatte, was beim Laufen ohnehin schon eine äußerst unbequeme Zwangshaltung war, dann war diese Erfahrung nicht nur demütigend, sondern buchstäblich niederschmetternd. Leia verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach hin und dabei spielte es ausnahmsweise einmal keine Rolle, dass ihre Länge nicht besonders eindrucksvoll war.

 

Als sie sich wieder aufgerappelt und den Schaden gesichtet hatte (ein zerrissenes Hosenbein plus ein zerschundenes Knie), war sie schon dazu entschlossen, diesem imperialen Flegel zu zeigen, was sogar eine halbe Portion mit bloßen Händen ausrichten konnte, wenn es sein musste. Aber dazu sollte es nicht mehr kommen, denn der Flegel verzierte inzwischen seltsamerweise ebenfalls die Landschaft, was möglicherweise an dem langschäftigen buntgefiederten Pfeil lag, der schräg aus seinem Hals herausragte wie ein exotischer Blitzableiter.

 

Die EWOKS!  dachte Leia, zwischen Verblüffung und neu aufkeimender Hoffnung hin und  her gerissen. Ein Katalog von Möglichkeiten rollte vor ihrem geistigem Auge ab, eine phantastischer als die andere ...

 

Sie sah sich verstohlen um. Noch schien niemand den Vorfall bemerkt zu haben. Es war viel zu schnell über die Bühne gegangen und vollkommen lautlos. Und alle Blicke ruhten  jetzt wie hypnotisiert auf 3PO, der sich ungefähr so leise und unauffällig wie ein wütender Gamorreaner durch das dornenreiche Gestrüpp kämpfte und dabei unaufhörlich vor sich hin zeterte.

 

 „Ach du meine Güte! Dieses grässliche Grünzeug … Jetzt sieh mich doch nur mal an, R2: Zerkratzt von oben bis unten … meine Politur ist ja völlig hin … Was wird Master Luke dazu sagen? Oje, oje!  Ich habe es ja gleich gewusst: Dieser Mond ist noch mein Untergang – und du auch, du schäbiger rostiger kleiner Mülleimer auf Rädern! Man sollte dich wirklich verschrotten. Du machst nur Ärger. Und immer bringst du mich in Schwierigkeiten. Womit habe ich das nur verdient?

 

Oh nein, jetzt habe ich mich auch noch verheddert … R2–D2!!! Wirst du wohl endlich kommen und mir helfen, du virenverseuchte Fehlkonstruktion?!“

 

„Holt sofort diesen Droiden da raus!“ schrie der imperiale Commander, der den Einsatz leitete.

 

Eine halbe Kompanie stürzte sich auf das Gebüsch, aufmerksam beobachtet von allen anderen. Niemand achtete darauf, was hinter seinem Rücken vor sich ging. Niemand achtete auf Leia.

 

Jetzt oder nie! dachte sie. Sie ging neben dem toten Sturmtruppensoldaten in die Hocke und griff hastig nach seinem Blastergewehr, das neben ihm auf dem lehmigen Boden lag.  Es war ein Standardmodell, wie man es häufig bei der imperialen Infanterie fand, ein schwerer kurzläufiger Karabiner, der bei Maximalleistung auf kurze Entfernungen eine eindrucksvolle Feuerkraft entwickelte. Eigentlich war er viel zu groß und zu unhandlich für Leia. Trotzdem fühlte sich der klobige Hartplastikgriff in ihrer Hand gut an. Wirklich gut.

 

Langsam stand sie wieder auf. Ganz vorsichtig! ermahnte sie sich selbst, als sie ihr erstes Ziel anvisierte, den wandelnden Kleiderschrank, der Han bewachte.

 

3POs Lamento hatte inzwischen einen neuen Höhepunkt erreicht. „R2, ich muss schon sagen: Das war sogar für deine Verhältnisse eine wirklich alberne Idee. Was habe ich nur verbrochen, dass mich das Schicksal ausgerechnet an einen hoffnungslos veralteten Astromech mit dem intellektuellen Niveau einer Türklingel gekettet hat?

 

Oh nein! Da kommen sie auch schon anmarschiert … Bitte nicht gleich wieder schießen, meine Herren – ich ergebe mich!“

 

Doch als der erste Imperiale nach dem Droiden griff, erwachte das Gebüsch rings um 3PO plötzlich zum Leben. Scharen von Ewoks, mit ihren gescheckten und getigerten Pelzen in dem dichten Unterholz besser getarnt als der raffinierteste Camouflagespezialist, sprangen auf wie ein Mann und fielen sofort mit Knüppeln und Steinäxten über die Soldaten her.

 

Aus den undurchdringlichen Tiefen des Waldes ertönte ein helles Hornsignal, dem ein vielstimmiger jubelnder Kriegsschrei antwortete. Im nächsten Augenblick war das Schwirren vieler gleichzeitig losgelassener Bogensehnen zu hören.  Und schon ging über der Lichtung ein Pfeilregen nieder, dicht wie ein Gewitterschauer.

 

Leia riss ihren Karabiner hoch und schoss auf Hans Wächter. Als der Mann zusammenbrach, schrie irgendwo hinter ihr eine elektronisch verzerrte Stimme, die vage nach Galen klang, dass sie  gefälligst in Deckung gehen sollte oder wollte sie vielleicht von diesen verrückten Ewoks mit Pfeilen gespickt werden bis sie aussah wie ein Nadelkissen?

 

Doch Leia hatte jetzt nur noch Augen und Ohren für ihren geliebten Schmuggler,  der die allgemeine Verwirrung sofort nutzte und dem blonden Lieutenant, der zufällig neben ihm stand, kurz entschlossen seinen Ellbogen ins Gesicht rammte. Noch ein Kniestoß in die empfindsamste Stelle der männlichen Anatomie und der Lieutenant kippte um wie ein gefällter Baum – was ihm auch niemand verdenken konnte. Han krähte seinen Triumph hinaus und eröffnete unter einem Schwall von corellianischen Flüchen mit der erbeuteten Waffe seines Gegners das Feuer.

 

Und dann brach die Hölle los …

 

*

 

Der grauschwarze Metallboden unter seinen Füßen war so blank, dass Luke Skywalker sein stark verwischtes Spiegelbild darin sehen konnte. Er starrte auf die verschwommene Reflexion hinunter, unwillkürlich betroffen von der leuchtenden Blässe seines Gesichtes, das sich geisterhaft von der noch vageren schwarzen Form darunter abhob. Nur mit Mühe löste er seinen Blick von diesem beunruhigend substanzlosen Schattenzwilling und sah sich in der  grell beleuchteten hallenden Kaverne des riesigen Hangars um.

 

Aber auch hier fanden seine müßig umherwandernden Augen nichts, was nicht vor Sauberkeit geblitzt und geblinkt hätte. Die Dockbucht der Executor präsentierte sich in einem Zustand steriler Makellosigkeit, die man an Bord eines Rebellenkreuzers höchstens im OP-Bereich des Lazarettes vorgefunden hätte. Nirgendwo ein Schmierölfleck oder ein verstreutes Sammelsurium von Ersatzteilen, nicht einmal eine vergessene Werkzeugtasche oder ein liegen gebliebener Tankschlauch. Alles schrie förmlich nach imperialer Gründlichkeit und Effizienz. Luke fand so viel Perfektion eher deprimierend als beeindruckend.

 

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem zackigen kleinen Admiral zu, der immer noch in stocksteifer Habtachtstellung vor seinem Vater stand und einen schier endlosen Rapport herunterspulte. Es sah ganz so aus, als müsste Vader über jedes  einzelne Vorkommnis in jeder einzelnen Minute seiner Abwesenheit von seinem Flaggschiff genauestens informiert werden, mochte es auch noch so trivial sein. 

 

Und jemand mit so messerscharfen Bügelfalten ist bestimmt in seinem Element, wenn es um Genauigkeit geht, dachte Luke, als er die Uniformjacke des Admirals einer näheren Betrachtung unterzog.

 

Ja, jemand wie dieser Admiral war zweifellos der geeignete Kandidat, wenn ein Schiff von der Größe der Executor kommandiert, beaufsichtigt, verwaltet und betreut werden musste. Er war sichtlich ein Mann, der mit einer Hand eine riesige Besatzung dirigieren und mit der anderen stapelweise Formulare ausfüllen konnte, ohne dabei jemals den Überblick oder den Kopf zu verlieren. Um seinen Hals schien ein unsichtbares Schild mit der Aufschrift „UNBEDINGT ZUVERLÄSSIG!“ zu hängen. Er wirkte kompetent und selbstsicher. Aber war er tatsächlich selbstsicher genug, um einen Sithlord im Chefsessel zu verkraften?

 

Genau in diesem Moment schweifte der schwerlidrige Blick des Admirals von seinem anspruchsvollen Vorgesetzten ab und streifte Luke mit der behutsamen Neugier einer Katze,  die zum ersten Mal mit einem unberechenbaren Fremden auf Tuchfühlung ging.

 

„Soll ich den Gefangenen abführen lassen, Mylord?“

 

Für einen Außenstehenden mochte diese Frage genauso kühl und geschäftsmäßig klingen wie der endlich vollendete Statusbericht, aber Luke hätte jeden Eid darauf schwören können, dass der Imperiale nur eine Show abzog. Der Admiral wusste längst, dass dieser junge Mann neben Lord Vader kein Durchschnittsgefangener auf dem Weg in die nächst beste Arrestzelle war. Aber wusste er auch, wer Lord Vaders Begleiter war?

 

Offenbar nicht, denn im nächsten Augenblick zog Vader in aller Ruhe einen Schlussstrich unter ziemlich viele Kapitel seines Lebens und legte die Karten ganz ungeniert offen auf den Tisch.

 

„Ich glaube, darauf können wir verzichten. Darf ich vorstellen? Admiral Piett – Luke Skywalker ... mein Sohn!“

 

Es sprach für Pietts Qualität, dass er seine Züge sogar jetzt vollkommen in  der Gewalt behielt. Nichts in seinem beherrschten Gesicht verriet auch nur die geringste Überraschung, während die anderen Offiziere des kleinen Empfangskomitees nach Luft schnappten wie Fische auf dem Trockenen. Es war aber auch eine unerhörte Sensation: Lord Vader hatte einen Sohn! Und sein Sprössling war niemand anderer als die unbestrittene Nummer Eins auf der imperialen Fahndungsliste – der Todessternkiller höchstpersönlich. Es war unglaublich!

 

Und es war peinlich, weil niemand genau wusste, welche Reaktion jetzt von ihm erwartet wurde. Sollte man nun gute Miene zum bösen Spiel machen oder sich sein Befremden anmerken lassen oder sicherheitshalber einfach nur Gleichgültigkeit heucheln? Natürlich hing alles von Lord Vaders eigener Meinung über seinen Filius ab, aber die war für alle Anwesenden vorläufig noch ein Buch mit sieben Siegeln.

 

War der Chef stolz auf seinen gelungenen Ableger, der sich bei der Allianz immerhin seine Sporen verdient und nicht nur dort den Glorienschein militärischen Ruhms erobert hatte? Oder schämte er sich für  sein missratenes Balg, das so hoffnungslos vom rechten Weg abgeirrt war? Wollte er als Erzeuger von so viel fehlgeleiteter Verwegenheit beglückwünscht oder bedauert werden? Oder wollte er einfach nur sachdienliche Informationen wie zum Beispiel eine Statistik über die Erfolgsquote der Umerziehungslager für High-Society-Rebellen oder am besten gleich für die Resozialisierung krimineller Jugendlicher? Woher sollte man eigentlich wissen, was Lord Vader überhaupt wollte?! Ach ja, es war schon ein starkes Stück, was einem hier so alles zugemutet wurde … und das auch noch ohne jede Vorwarnung!

 

Die meisten waren bereits davon überzeugt, dass Lord Vader besser daran getan hätte, das fragwürdige Resultat seiner Vaterfreuden in einem diskreten Memo vorzustellen, statt ihnen den subversiven Junior einfach so um die Ohren zu knallen. Doch die kollektive Verwirrung war trotzdem groß und die daraus resultierende Unruhe noch größer. Hätte jetzt ein Med-Tech mit einem Blutdruckmessgerät die Runde gemacht, er hätte bei der ganzen Versammlung einen alarmierend steilen Anstieg der Pulsfrequenz registriert.

 

Luke brauchte kein Blutdruckmessgerät oder ähnliche technische Hilfsmittel – er  konnte die allgemeine Bestürzung und Unsicherheit beinahe riechen. Und auch sein Vater hatte den stummen emotionalen Aufruhr ringsum sofort bemerkt, denn Vaders Aura strömte jetzt eindeutig eine dunkle Belustigung aus, die ihren Ursprung einem ziemlich finsteren Sinn für Humor verdankte. Es bestand jedenfalls kein Zweifel daran, dass er das Dilemma seiner Untergebenen von ganzem Herzen genoss.

 

„Wenn das so ist: Willkommen zu Hause, Mylord“, sagte Piett der Unerschütterliche gelassen.

 

Die Begrüßung kam so prompt, so schnell und glatt, dass es einen Augenblick dauerte, bis Luke begriff, dass der Admiral tatsächlich ihn angesprochen hatte und nicht Vader. Und dieses Mal war die Verwirrung auf seiner Seite. Wie antwortete ein Rebell und Jedi-Anwärter, wenn er von einem hochrangigen imperialen Offizier in aller Form begrüßt und dabei auch noch mit einem gänzlich unverdienten Titel angesprochen wurde? Sollte er sich für Pietts Höflichkeitsfloskel bedanken oder sich einfach nur in ein viel sagendes Schweigen hüllen?

 

Wie so oft wünschte sich Luke auch jetzt wieder, er hätte Leias  Begabung in diesen Dingen.  Seine Schwester tanzte auf dem gefährlich rutschigen Parkett gesellschaftlicher Umgangsformen mit der selbstverständlichen Anmut einer Ballerina.  Sie wusste jederzeit  haargenau, wie sie sich zu benehmen hatte. Sogar wenn sie Han die Flügel stutzte oder an irgendeine andere verdiente Adresse handfeste Beleidigungen austeilte, tat sie es immer mit einer Grandezza, die unbestreitbar die harte glänzende Lackschicht einer erstklassigen Kinderstube  aufwies. Luke beneidete sie ein klein wenig darum.

 

 „Ich … äh …“  Er verstummte verlegen und war beinahe froh, als sich Vaders Hand wie eine Stahlklammer um seinen Ellbogen schloss. Beinahe froh!

 

„Ich glaube, wir können auch darauf verzichten. Sie haben Ihre Anweisungen, Piett. Komm, Junge!“

 

Und damit wurde Luke nun doch noch abgeführt. Als Vader ihn quer durch einen Pulk von mehr oder weniger konsternierten Imperialen lotste und ihn aus dem Hangar hinausmanövrierte wie ein erfahrener Testpilot ein widerspenstiges neues Schiff, schoss Luke der Gedanke durch den Kopf, wie paradox der Anblick sein musste, den sie den Zurückbleibenden boten, was für ein tragisches und zugleich unweigerlich komisches Paar sie in ihren Augen abgeben mussten: Vater und Sohn, voneinander so verschieden wie nur  irgend möglich und trotz aller persönlichen und politischen Querelen nach einer halben Ewigkeit und unvorstellbaren Schicksalsschlägen endlich vereint. Wenn auch keineswegs Arm in Arm – immerhin trug Luke nach wie vor Handschellen und wurde gerade auf und davon geschleift wie ein ungezogenes Gör.

 

„Nicht so schnell!“ protestierte er, als Vader ihn im Sturmschritt, aber zielsicher durch ein wahres Labyrinth aus dicht bevölkerten Schiffskorridoren navigierte.

 

„Ich kann es eben kaum noch erwarten, mit meinem eigenen Fleisch und Blut endlich wieder unter vier Augen zu sein, damit wir uns in trauter Zweisamkeit weiter zanken können“, klang es trocken zurück.

 

„Witzig. Wirklich witzig“,  murmelte Luke in einem unbewussten Echo seiner Schwester.

 

„Kannst du nicht einmal für fünf Minuten Ruhe geben?!“ Vader bugsierte seinen Sohn unsanft in einen sich öffnenden Turbolift hinein und stellte mit Missvergnügen  fest, dass der Aufzug bereits besetzt war. 

 

„RAUS!“ schnappte er. (Ihm stand jetzt wirklich nicht der Sinn nach noch mehr überflüssiger Gesellschaft!)

 

Die beiden eingeschüchterten Techniker, denen diese schroffe Aufforderung galt, sprangen sofort aus dem Lift hinaus, als wäre Feuer darin ausgebrochen.

 

„Ich wette, jedes einzelne Mitglied deiner Crew würde jederzeit seinen rechten Arm für dich hergeben“, sagte Luke sarkastisch, als der Lift sich in Bewegung setzte.

 

„Nur seinen rechten Arm? Das will ich doch nicht hoffen.“ 

 

„Du bist wirklich unmöglich!“

 

„Das hast du dann wohl von mir“, konterte Vader.

  

 

Luke brütete immer noch über einer angemessen bissigen Replik, als der Lift auch schon wieder anhielt und er in den ersten menschenleeren Bereich hinausgeschoben wurde, den er seit seiner Ankunft auf der Executor zu Gesicht bekam.

 

„Wo bringst du mich eigentlich hin?“

 

„Wart’s einfach ab.“

 

Vader blieb vor einer Wand stehen, die ihren Weg abrupt in eine Sackgasse verwandelt hatte, und hob gebieterisch die rechte Hand. Gleich darauf zeichneten sich in der Wand die haarfeinen Umrisslinien einer bis dahin unsichtbaren Tür ab.

 

„Netter kleiner Zaubertrick“, sagte Luke, als die Tür lautlos aufglitt.

„Tatsächlich reagiert die Tür einfach nur auf den Resonator in meinem Handschuh.“

 

„Soll das heißen, dass ohne dieses Ding niemand hier rein oder rauskommt?“

 

„Nein, was für einen cleveren Sohn ich doch habe! Jetzt geh schon rein“, fügte Vader ein wenig milder hinzu.

 

Luke trat nur widerstrebend durch die geheimnisvolle Tür, die ihn allzu sehr an den Zugang zu einer Luftschleuse erinnerte, denn jenseits der unergründlichen Dunkelheit, die ihn plötzlich umgab, konnte er nichts anderes erkennen als das kalte gleichgültige Glitzern von zahllosen Sternen.

 

„Was ist das hier? Wo sind wir?“

 

„Um es mit Pietts unsterblichen Worten zu sagen: Willkommen zu Hause!“ erwiderte Vader. „Aber sieh es dir selbst an. Licht!“

 

Doch sein kryptisches Kommando erweckte nur eine einzelne Leuchtspirale zum Leben, die weniger Licht als ein angenehm dämmriges Halbdunkel verbreitete. Im Hintergrund war eine mehrteilige Sitzlandschaft eher zu erahnen als wirklich zu sehen. Und genau im Zentrum des hohen weiten Raumes, in dem sie sich nun befanden, schien eine riesige schwarze Kugel schwerelos über dem Boden zu schweben.

 

Luke achtete zunächst nicht weiter darauf – das gigantische Panoramafenster, das die gesamte Rückwand vom Boden bis zur Decke einnahm, bot vorläufig die größere Attraktion. Magisch angezogen schritt er darauf zu und genoss den fantastischen Ausblick, der sich seinen staunenden Augen bot. Nicht einmal auf einem der Calamari-Kreuzer, die für ihre eindrucksvollen Observationsdecks berühmt waren, hatte er je etwas Vergleichbares gesehen.

 

„Wie ich sehe, bist du für eine Weile beschäftigt. Genieß die schöne Aussicht ruhig, ich bin gleich wieder da. Und Luke … fass  nichts an, ja?“

 

Luke riss sich nur mit Mühe von dem faszinierenden Anblick los. „Was?!“ sagte er gereizt, aber er bekam keine Antwort.  Sein Vater war spurlos verschwunden.

 

Luke sah sich um, konnte aber weder einen Hinweis auf Vaders Verbleib noch sonst viel Bemerkenswertes erkennen.

 

„Fass nichts an – von wegen!” murmelte er vor sich hin. „Hier gibt es doch gar nichts, was ich anfassen könnte, oder?“

 

Diese Feststellung war natürlich ein klein wenig übertrieben, aber sehr viel Mobiliar oder andere Dinge, die zu einer eingehenden Untersuchung einluden, gab es hier tatsächlich nicht. Luke beäugte wehmütig die Sitzgruppe, widerstand jedoch entschlossen der Versuchung, sich auf der voluminösen Couch oder auf einem der kaum weniger voluminösen Sessel, die alle ausgesprochen behaglich wirkten, niederzulassen und seine Beine ein wenig hochzulegen. Sogar die legendäre Ausdauer eines Jedis hatte irgendwo ihre Grenzen, aber er hätte es sich niemals  verziehen, wenn er  dieser prekären Situation womöglich einfach eingeschlafen wäre wie ein übermüdetes Kind.

 

Um diesem Risiko vorzubeugen, machte er sich lieber daran die rätselhafte Kugel zu inspizieren, deren Sinn und Zweck er nicht deuten konnte. Moderne Kunst vielleicht? Luke umkreiste das seltsame Artefakt zweimal, ohne zu einer Erleuchtung zu kommen, aber bei seiner dritten Runde entdeckte er etwas, das nach einem im Boden versenkten Kontrollpult  aussah. Ob er nicht doch  wenigstens  einen  ganz kurzen Blick ...?

 

 „Denk nicht mal daran!“

 

Die tiefe Stimme klang nicht mehr ganz so sonor und volltönend wie sonst, verfügte aber immer noch über ihren gewohnten Kommandoton. Luke drehte sich auf dem Absatz um … und erstarrte.

 

„Enttäuscht?“ sagte Vader ruhig.

 

„Ja … Nein! Auf keinen Fall! Es kommt nur so …  plötzlich. Ich … bin ein bisschen überrascht, das ist alles“, stammelte Luke.

 

Tatsächlich war er wesentlich mehr als nur überrascht, er war schlicht und einfach überwältigt. Und  dazu hatte er auch allen Grund ...

 

In seinen Jahren bei der Allianz hatte Luke die verschiedensten Vermutungen darüber zu hören bekommen, was sich wohl hinter der prominentesten und zugleich verhasstesten Maske der Galaxis verbergen mochte. Wer oder was Darth Vader „in Wirklichkeit“ war beziehungsweise was genau der Grund für seine reichlich melodramatische Verpackung war, hatte immer wieder ein hochinteressantes Thema abgegeben, das in den zweckmäßig-eleganten Lounges, in denen Mon Mothma mit Vorliebe ihre Konferenzen abhielt, für mindestens genauso viele hitzige Diskussionen gesorgt hatte wie an den verschrammten Tischen in den schäbigen Mannschaftsmessen.

 

Die wildesten Theorien waren über Vaders „wahre“ Identität aufgestellt worden und es muss an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt werden, dass die klugen und kultivierten Köpfe des Oberkommandos der eher schlicht gestrickten, aber dafür blühenden Phantasie des einfachen Fußvolkes in nichts nachstanden, wenn es darum ging, eine abstruse Hypothese nach der anderen auszubrüten.

 

Man hatte Luke schon weiszumachen versucht, dass Vader angeblich der Sohn des Imperators war oder  der Imperator selbst in Verkleidung oder vielleicht sogar ein Klon, der das alte Scheusal möglichst unauffällig ersetzen sollte, falls Palpatine irgendwann doch noch ganz von selbst das Zeitliche segnete.

 

Falls Vader aber zufällig doch so etwas wie eine eigenständige Person war, dann war er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein von Minderwertigkeitskomplexen geplagter Zwerg, der seine Autorität unbedingt als künstlicher Riese geltend machen musste, weil er sich nur in dieser Aufmachung Respekt verschaffen konnte. Vielleicht kam Vader aber auch von einer Welt mit einer extrem niedrigen Gravitation, so dass sein Skelett der Beanspruchung durch die normale Schwerkraft nicht gewachsen war und durch eine Art Ganzkörperkorsett gestützt werden musste. Oder er war einfach nur ein ganz normaler Mann (falls man Vader überhaupt als normal bezeichnen konnte!), der an einer unbekannten unheilbaren Seuche litt, die eine galaxisweite Pandemie auslösen konnte, weshalb er für immer und ewig unter strikter Quarantäne gehalten werden musste.

 

Vielleicht gehörte er aber auch einer humanoiden Insektenspezies an oder war sogar ein Alien aus einem Paralleluniversum, möglicherweise auch eine Kreuzung aus beidem. Auf  jeden Fall atmete er Methan oder Tibannagas oder irgendein noch exotischeres Luftgemisch, weshalb jeder Kontakt mit Sauerstoff seinen sicheren Tod bedeutet hätte, daher die Maske und der ganze Rest.  

 

Dann gab es natürlich auch noch die streng wissenschaftlich veranlagte Fraktion, die energisch dafür plädierte, dass Vader überhaupt kein Lebewesen war. Er war offensichtlich ein Cyborg, eine ganz neue Art von Droide, eine unglaublich komplexe und raffinierte Maschine, die dank ihrer hohen künstlichen Intelligenz völlig selbstständig agieren konnte – es sei denn, dass sie von irgendeinem Imperialen, der nur scheinbar zufällig in der Nähe herumlungerte, ferngesteuert wurde.

 

Diese technikgläubigen Zeitgenossen ernteten für gewöhnlich nur höhnisches Gelächter, wenn andere, noch radikalere Skeptiker anwesend waren, die ihrerseits felsenfest davon überzeugt waren, dass Vader gar nicht existierte. Ja, ja, Vader war einfach nur ein Phantom, das in Palpatines Auftrag vom imperialen Geheimdienst ersonnen worden war und jetzt regelmäßig von irgendeinem Schauspieler oder einer ähnlich jämmerlichen Figur öffentlich in Szene gesetzt wurde, um die Galaxis das Fürchten zu lehren. Er war nicht mehr als das klassische Schreckgespenst aus einem drittklassigen Horrorholo von der nicht jugendfreien Sorte. Also wirklich! War etwa irgendjemand aus dieser Runde von Warmduschern diesem Fabelwesen überhaupt schon einmal persönlich begegnet? Hatte irgendeines der hier anwesenden Muttersöhnchen dem ultimativen bösen schwarzen Mann schon einmal Auge in Auge gegenüberstanden? Nein? Na also! Und genau das war DER Beweis! Es gab gar keinen Vader, es hatte nie einen Vader gegeben und es würde auch nie einen geben! (Luke war übrigens auch der Meinung, dass keiner von diesen Besserwissern Vader jemals Auge in Auge gegenübergestanden hatte, behielt diese Schlussfolgerung aber aus Gründen der Diskretion für sich – vor allem seit Bespin.)

 

Doch die absolute Krönung all dieser Mutmaßungen hatte sich Luke erst kürzlich von einer stark religiös angehauchten Seele anhören müssen, die über die beinahe schon ketzerische Verblendung ringsum nur milde den Kopf geschüttelt hatte, um schließlich im Flüsterton, aber mit großem Ernst darauf zu beharren, dass Vader nichts anderes war als ein waschechter Dämon aus den tiefsten Abgründen der Hölle, von Palpatine unter blutrünstigen Ritualen heraufbeschworen, um totale Verdammnis über die zweifellos kurz vor der Apokalypse stehende Zivilisation zu bringen.

 

Und deshalb konnte man diese Ausgeburt des Bösen natürlich auch nicht mit so primitiven weltlichen Waffen wie einem ganz normalen Blaster töten, dafür brauchte man dann schon mindestens ein geweihtes Messer aus purem Gold plus einen Unschuldigen, dessen grundsätzlich reines Wesen durch viele Gebete, möglichst schmerzhafte Bußübungen und gründliche rituelle Waschungen zusätzlich geläutert werden musste, auf dass er ausreichend gewappnet war, wenn er gegen diesen Sendboten der Unterwelt in den Kampf zog. (Übrigens hatte Luke den leicht angejahrten Mechaniker, der ihn mit diesen ausgesprochen aufschlussreichen Auskünften verblüfft hatte, gleich anschließend mit viel Geduld und sanftem Nachdruck dazu überredet, unter seiner Aufsicht das Lazarett aufzusuchen, wo eine durch akute Erschöpfung und Aufputschmittel ausgelöste Psychose diagnostiziert worden war. Inzwischen hatte der Mann seinen Entzug durchgestanden und befand sich laut Auskunft des zuständigen Arztes bereits auf dem Weg der Besserung.)

 

Die widersprüchlichen Ansichten und Einsichten, die all diesen abenteuerlichen Behauptungen zugrunde lagen, hatten Luke im Lauf der Zeit also mit einer Menge Stoff zum Nachdenken versorgt – vor allem seit Bespin. Aber nichts davon hatte ihn auf das vorbereitet, was jetzt vor ihm stand: Vader demaskiert – buchstäblich demaskiert! Vader im Naturzustand! Naturzustand?!

 

Luke rief sich die sparsamen Informationsschnipsel ins Gedächtnis zurück, die Ben ihm anlässlich ihrer Konfrontation auf Dagobah nur widerwillig überlassen hatte. Von einem Duell war da die Rede gewesen, von einem Duell mit verheerenden Folgen. Folgen, von denen Luke hier und jetzt aber  nicht einmal Spuren entdecken konnte. Der Mann, der vor ihm stand, schien nicht nur völlig unversehrt zu sein, nein, er war auf seine ureigene Art und Weise … vollkommen.

 

Könnte ein Sandlöwe menschliche Gestalt annehmen, er würde genau so aussehen, genau so! dachte Luke hingerissen.

 

Er hätte selbst nicht erklären können, was diese Assoziation in ihm hervorrief. War es die üppige lohfarbene Mähne, die das gebieterische Gesicht zusammen mit einem kurzen Vollbart nahtlos einrahmte? Oder war es dieses Gesicht selbst, das mit seiner breiten Stirn, seinen aristokratischen Backenknochen und dem herrischen Mund unter der langen geraden Nase diese unverwechselbare Mischung aus Arroganz und Selbstsicherheit ausstrahlte, die man nur mit dem königlichsten aller Raubtiere in Verbindung bringen konnte?

 

Luke war wie gebannt von Vaders Augen, weit auseinander stehenden klaren blauen Augen, die seinen eigenen in Farbe und Form durchaus glichen, sich aber im Ausdruck völlig von ihnen unterschieden; Augen, die seinen Blick jetzt kühl abschätzend erwiderten.

 

Seine Gedanken schlugen Purzelbäume, aber alles, was er herausbrachte, war: „Warum?“

 

In den vertrauten und doch so fremden Augen blitzte es auf. “Warum was?” fragte Vader herausfordernd zurück.

 

Luke dachte an die groteske totenkopfartige schwarze Larve, die dieses bemerkenswerte Gesicht vor den Augen der Welt verbarg, ihm jede Menschlichkeit nahm. „Warum diese absurde Maskerade? Warum versteckst du dich hinter diesem … Ding?“

 

Wieder dieses kurze Wetterleuchten in den tiefblauen Augen, eine eindeutige Sturmwarnung. Aber dieses Mal blieb der Sturm aus. Vader wandte sich ab und für einen Augenblick, in dem Schweigen zwischen ihnen hing wie ein eiserner Vorhang, sah es beinahe so aus, als würde er erneut hinausgehen, um nie wieder zurückzukehren. Doch stattdessen sagte er einfach nur: „Es war nicht immer eine Maskerade.“

 

Und da schwang eine mit Müdigkeit gepaarte Bitterkeit in seinem Tonfall mit, die ganz unerwartet eine Saite in Luke anschlug, eine Saite, die bisher völlig unberührt geblieben war, wann immer er über seinen Vater nachgegrübelt hatte: Mitleid.

 

Er erinnerte sich daran, mit welcher Heftigkeit Vader seinen Vorschlag (und damit den einzigen Ausweg, das einzige Schlupfloch, das ihnen beiden noch offen stand) abgelehnt hatte, mit welcher Leidenschaftlichkeit sein Vater sich geweigert hatte, das Imperium einfach sich selbst zu überlassen. Was hatte er Luke auf Endor entgegengeschleudert? „Ich  habe dafür mehr geopfert und mehr gelitten, als du dir überhaupt vorstellen kannst, Junge!“

 

Und plötzlich wurde Luke klar, dass er tatsächlich nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was Vader für das Imperium geopfert und gelitten hatte. Er hatte keine Ahnung, was für eine Art von Leben dieser Mann geführt hatte und noch führte, welche Erfahrungen  ihn geformt und geprägt hatten, was ihn auf seinen Weg gebracht hatte und ihn jetzt dort hielt. Er kannte die Geschichten und Geschicke wildfremder Menschen besser als die seines eigenen Vaters – vom Rest der Familie ganz zu schweigen.

 

„Ich weiß nichts von dir, gar nichts.“

 

„Dann wird es Zeit, dass wir das ändern. Übrigens: Wie wäre es mit einem Frühstück?“

 

Frühstück? JETZT?!“ 

 

Um Vaders Mundwinkel erschien ein ironischer Zug, der schon beinahe ein Lächeln war, nicht ganz, aber immerhin.

 

„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Um diese Tageszeit frühstückt man doch für gewöhnlich, oder  nicht? Aber wenn es dir den Appetit verschlagen hat oder wenn du es in Anbetracht der Umstände einfach für pietätlos hältst, dich ausgerechnet heute zum allerersten Mal mit mir an einen Tisch zu setzen, dann können wir unsere Unterhaltung natürlich auch so fortsetzen, nüchtern wie ein Bischofskonklave.

 

Ich persönlich glaube allerdings nicht, dass ein Fastentag von Luke Skywalker die Überlebenschancen der Allianz wesentlich erhöht. Und ich bin ganz sicher, dass ein Fastentag von mir die Überlebenschancen der Allianz ganz entscheidend verringert. Außerdem habe ich irgendwie den Eindruck, dass dir ein kleiner Imbiss ganz gut tun würde.“

 

Noch bevor Luke sich danach erkundigen konnte, wie Vader zu diesem Eindruck kam, gab sein Magen ein leises, aber durchdringendes Gurgeln von sich. Denn sogar Jedis mussten ab und zu etwas zu sich nehmen und Lukes letzte Mahlzeit lag nicht nur schon Stunden zurück, sondern war darüber hinaus nicht gerade befriedigend gewesen. Seine zunehmend vegetarische Lebensweise ging mit der Standardverpflegung der Ewoks, die zu neunzig Prozent  aus tierischen Proteinen bestand,  nicht unbedingt konform – zumal ihm niemand garantieren  konnte, dass besagte Proteine tatsächlich nur tierischen Ursprungs waren! (Der ernsthafte Versuch der Ewoks, Han Solo in einen Festtagsbraten zu verwandeln, hatte Lukes ohnehin nur mäßig entwickelte Begeisterung für exotische kulinarische Experimente noch mehr abgekühlt.)

 

„Ich könnte wirklich eine Kleinigkeit vertragen“, gestand er.  „Obwohl ich ganz sicher bin, dass es sehr pietätlos ist, in so einem Augenblick ans Essen zu denken.“

 

Jetzt lächelte  Vader wirklich. Aber alles, was er sagte, war:  „Na, dann komm.“

 

Und Luke kam …

 

*

 

Das Frühstück, das ihnen kurz darauf in einem Esszimmer gleich nebenan von einem Servicedroiden serviert wurde, übertraf Lukes kühnste Erwartungen. In seiner Vorstellung speisten höchstens gekrönte Häupter, Millionäre, berühmte Filmstars oder ähnlich exaltierte Leute auf diese verschwenderische Art und Weise. Aber bestimmt nicht jemand, der so spartanisch lebte wie Luke Skywalker oder irgendein x-beliebiger anderer Rebell.

 

Da gab es eine ganze Batterie von silbernen Thermoskannen, aus denen die  aromatischen Düfte von verschiedenen edlen Cofecea- und Teesorten stiegen. Eine schimmernde Reihe von Kristallschalen enthielt alle nur denkbaren Ingredienzien für das ultimative Luxus-Müsli und zwei Körbchen ungefähr jede Sorte Brot, die dem Einfallsreichtum und Ofen eines Bäckers nur entspringen konnte. Früchte in allen Farben und Formen – die meisten davon konnte Luke nicht einmal identifizieren – waren zu einer verlockenden Pyramide aufgehäuft und durchscheinende Karaffen lockten mit frisch gepressten Säften.

 

Neben diesen eher gesunden Genüssen fanden sich auch verführerische Kalorienbomben in Form von Kuchen und Konfitüren. Und wer eher das Deftige liebte, auf den wartete eine riesige siedendheißen Wärmeplatte,  auf der sich  hauchfeine Keramikpfannen stapelten, die mit Eiergerichten, kross gebratenen Würstchen, gebratenen Schinkenscheiben und kleinen goldfarbenen Fischen gefüllt waren. Und noch viele andere Dinge mehr …

 

Beinahe ehrfürchtig starrte Luke auf die üppig beladene Anrichte:  Was hier für eine einzige Mahlzeit aufgefahren wurde, hätte sämtliche Piloten seiner Staffel einen ganzen Tag lang pappsatt und sehr, sehr glücklich gemacht. Und dieser Aufwand nur für zwei Personen!  Oder vielleicht sogar nur für eine Person, wenn sein Vater sich so etwas jeden Morgen auftischen ließ ...

 

 „Wow!“ sagte Luke, als er sich von dem Anblick erholt hatte. „Ist das die Vader-Spezial-Version oder bekommt hier die ganze Crew so ein Wahnsinnsmenü vorgesetzt?“

 

Falls ja, kann ich wenigstens ein bisschen verstehen, warum nicht jeder halbwegs menschliche Imp gleich bei seinem allerersten Landurlaub  desertiert, setzte er in Gedanken hinzu.

 

Vielleicht hatte Vader diesen Gedanken aufgefangen, denn er erwiderte prompt: „Im Gegensatz zur Allianz sind wir eben der Meinung, dass man Soldaten gut füttern muss, um sie bei Laune zu halten. Unsere Männer müssen nicht jeden Tag auf irgendwelchen geschmacksneutralen Nährstoffkonzentraten herumkauen, nur damit wir eine Handvoll Credits sparen. Es gibt bessere Gründe, um eine Meuterei zu riskieren …“

 

Er  lächelte ein wenig, als er Lukes Gesichtsausdruck sah.

 

„Aber keine Sorge, so verwöhnt werden unsere Besatzungen natürlich auch nicht. Ich fürchte, Gourmetküche wirst du tatsächlich eher in den Offiziersmessen finden als in den Mannschaftskantinen.“

 

„Ha!“ sagte Luke in dem befriedigenden Bewusstsein, dass er gerade wieder einen Beweis für die moralische Überlegenheit der Allianz entdeckt hatte. „Bei uns wird alles brüderlich geteilt – unabhängig von Rang und Namen.“

 

Das bezweifelte Vader, aber er verkniff sich einen entsprechenden Kommentar.

 

 „Setz dich endlich hin und iss.“

 

Doch das war leichter gesagt als getan, wie Luke feststellte. Bis er sich ein paar appetitliche Häppchen aus dieser verwirrenden Vielfalt ausgesucht hatte, war sein erster Hunger bereits verflogen.  Und nur ein paar Minuten, nachdem er sich an Vaders  Tafel niedergelassen hatte (als Tisch konnte man dieses metallfüßige Monstrum aus mattiertem Glas, das für gut zehn weitere Gäste Platz geboten hätte, nicht mehr bezeichnen!), schob Luke seinen Teller schon wieder von sich.

 

„Zu schade, aber ich kriege einfach keinen Bissen mehr runter.“

 

„Du hast doch kaum etwas angerührt.“

 

 „Ja, aber ich fühle mich trotzdem, als hätte ich gerade einen Rolle Stacheldraht verschluckt.“

 

„Du bist nur nervös. Du bist so angespannt, dass sogar der Imperator in deiner Nähe Kopfschmerzen bekommen würde.“

 

„Wirklich?“ fragte Luke mit halbherzigem Interesse. „Kann ich ihm auch ein bisschen mehr verpassen, wenn ich mich so richtig aufrege? Einen  Schlaganfall? Einen Herzinfarkt?“

 

Er grinste müde, um zu zeigen, dass er es nicht ernst meinte. Nicht wirklich.

 

„Ich wünschte, es wäre so einfach“, erwiderte Vader trocken.

 

„Zu schade“, wiederholte Luke. „Was ist mit Gift?“ (Und dieses Mal meinte er es ernst.)

 

„Keine Chance. Leider. Er analysiert alles höchstpersönlich mit einem topmodernen Scanner, den er immer und überall mit sich herumträgt“, sagte Vader.

 

„Dann vielleicht eine klitzekleine Giftschlange in seinem großen imperialen Bett? Ein einziger Biss – und zack! Schon wären wir ihn los. Oder vielleicht etwas noch Kleineres und noch Giftigeres: Ein  winziger Käfer … eine Spinne … eine Ameise?“

 

„Zwecklos. Keine Lebensform überlebt länger als ein paar Sekunden in DIESEM imperialen Bett – egal wie klein, giftig oder bissig sie auch sein mag.“

 

„Okay. Ich sehe, worauf du hinaus willst. Natürlich würde er jede Lebensform  schon lange bemerken, bevor sie überhaupt Gelegenheit dazu hätte, über sein großes imperiales Kopfkissen zu krabbeln. Na schön … Was hältst du von Giftgas?

 

Vader, der gerade im Begriff gewesen war, seine Cofeceatasse nachzufüllen, hielt inne und starrte seinen Sohn an.

 

„Wie kommst du nur auf solche Ideen? Wieso bist du plötzlich so besessen davon, den Imperator zu vergiften?“

 

„Ach, ich weiß auch nicht. In den Holodramen werden böse tyrannische Könige eben immer vergiftet. Meistens sogar von ihren eigenen Königinnen. Woran das bloß liegt?“ sagte Luke versonnen.

 

 „Palpatine hat nicht einmal eine ganz normale Ehefrau, geschweige denn eine mordlustige Giftmischerin, die von einem glücklichen Witwendasein träumt. Also vergiss das lieber ganz schnell wieder, Junge. Und merk dir eins für die Zukunft: Ein Vader vergiftet seine Feinde nicht. Ein Vader tötet auf zivilisierte Weise!“

 

„Erzähl das den Leuten auf Ragnaroc“, murmelte Luke, der an die schaurigen Einzelheiten von diversen  imperialen Angriffen aus der jüngsten Zeit denken musste. „Oder den Überlebenden von Hadezz. Oder den Orcinen …“

 

Die Cofeceakanne landete mit einem aggressiven Klirren auf der Tischplatte.

 

 „Krieg ist immer grausam. Und ob du es glaubst oder nicht: Nicht einmal ich kann überall gleichzeitig anwesend sein und jeden einzelnen Einsatz meiner Truppen persönlich überwachen“, sagte Vader scharf.

„Und wenn wir hier schon von Ethik reden, mein tugendhafter kleiner Jedi: Hast du eigentlich jemals darüber nachgedacht, wie viele Menschen du zusammen mit dem Todesstern in die Luft gejagt hast?“

 

 „Also das war reine Selbstverteidigung!“ widersprach Luke. 

 

Tatsächlich war der glanzvolle, aber blutige Start in sein Rebellendasein ein wunder Punkt, auf den er nicht gerne angesprochen wurde. Der Orden, den Leia ihm damals bei ihrer Siegesfeier verliehen hatte, ruhte seit jenem Tag unberührt in einer hübschen kleinen Samtschatulle auf dem Grund irgendeines Spinds oder einer Reisetasche. Und jedes Mal, wenn Commander Skywalker von höchster Stelle dazu aufgefordert wurde, bei einem ähnlichen Festakt der Allianz  zusammen mit seiner Paradeuniform gefälligst auch seine Medaille zu tragen, fand er irgendeine Ausrede, um es nicht zu tun.

 

Trotzdem wurde er immer wieder von dem Schatten seiner glorreichen Tat verfolgt. Manchmal wollten die Leute Autogramme von ihm oder sogar noch peinlichere Dinge. Voller Unbehagen erinnerte sich Luke an seine letzte Woche auf der Hoth-Basis. Lieutenant Isidory, ein Pilot aus einer anderen Einheit, hatte ihn um ein persönliches Holovideo gebeten, das er als sehnsüchtig erwartetes Neujahrsgeschenk an  seine Geschwister schicken wollte. Die begeisterten jungen Fans des „Helden von Yavin“ wünschten sich nicht nur gemeinsame Bilder von besagtem Helden mit ihrem großen Bruder, sondern auch ein paar schneidige Worte des berühmten Luke Skywalker.

 

Luke hatte sich vor Verlegenheit gewunden und sich schließlich unter dem Vorwand einer dringenden Besprechung mit General Rieekan vor der Aufnahme gedrückt. Er hatte Isidory aber so gut wie versprochen, die Aufnahme später nachzuholen. Doch dazu war es nicht mehr gekommen, denn der junge Pilot war wenige Tage später bei dem imperialen Überfall auf Hoth abgeschossen worden, was Lukes chronisch schlechtem Gewissen prompt einen neuen Highscore verpasst hatte …

 

 „Ich hatte damals gar keine andere Wahl“, sagte er hitzig. „Entweder ein paar Tausend fanatische Imperiale...“

 

„Also das nenne ich eine klassische Untertreibung! Nur zu deiner Information, Junge: Es waren fast eine Million!“

 

„Entweder ein paar fanatische Imperiale mehr oder weniger oder die ganze Allianz … und danach wahrscheinlich jeder bewohnte Planet der Galaxis!“ trumpfte Luke auf.

 

„Jeder bewohnte Planet der Galaxis – wenn ich das schon höre! Wenn sich deine Rebellenfreunde auf irgendetwas verstehen, dann auf maßlose ÜBERtreibungen.“

 

 „Ganz Alderaan mit einem Superlaser zu verdampfen – das nenne ICH eine maßlose Übertreibung!“

 

„Oh nein, nicht das schon wieder!“ stöhnte Vader auf. „Tatsächlich hatte ich mit dieser Sache gar nichts zu tun – absolut gar nichts! Das war Wilhulf Tarkin – frag deine Prinzessin, wenn du mir nicht glaubst!“

 

„Ich glaube nicht, dass Leia einen großen Unterschied zwischen dir und einem völlig durchgedrehten Moff sieht, aber ich werde sie bei Gelegenheit fragen.“

 

„Außerdem war Alderaan nicht halb so pazifistisch, wie immer behauptet wird“, sagte Vader energisch. „Also gut, Tarkin war wirklich ein Fanatiker UND völlig durchgedreht. Und hättest du ihn nicht rein zufällig zusammen mit dem Todesstern erledigt, dann hätte ich ihn irgendwann aus dem Verkehr ziehen müssen, aber … Großer Sith! Wie selbstgerecht ihr Rebellen doch seid!“

 

„Genau dasselbe kann man doch auch von euch Imperialen sagen: Selbstgerecht! Und selbstgefällig. Selbstherrlich. Selbstsüchtig. Selbst …“

 

„Beeindruckend! Geht das jetzt immer so weiter? Ich meine, hast du ein Wörterbuch auswendig gelernt oder  was?“

 

„Ich finde, es ist höchste Zeit für einen Themawechsel“, sagte Luke kühl.

 

 „Gut“, erwiderte Vader schroff. „Reden wir über etwas anderes.“

 

Eine lange, lange Pause trat ein. Vader rührte seinen längst erkalteten Cofecea so stürmisch um, als wollte er ihn durch Reibungshitze wieder aufwärmen. Luke beobachtete ihn dabei. Das Schweigen dauerte an …

 

 „Vorhin hast du gesagt, dass du praktisch nichts von mir weißt. Ich kann mir vorstellen, dass du eine Menge Fragen an  mich hast. Warum fängst du nicht einfach mit irgendetwas an?“ schlug Vader schließlich vor.

 

Jetzt starrte Luke intensiv auf seine eigene Tasse, als ob der ebenfalls ausgekühlte türkisfarbene Tee darin die beste erste Frage aller Zeiten inspirierte.

 

„Nun frag schon, Junge. Irgendetwas wird dir doch wohl einfallen.“

 

„Ehefrau“, platzte Luke heraus.

 

„Wie bitte?“

 

„Du hast gesagt, Palpatine hat keine Ehefrau. Was ist mit dir? Hast du … Hattest du je …?“

 

Luke ließ den Satz ausdriften und hypnotisierte weiterhin seine Teetasse.

 

Vader seufzte innerlich. Natürlich! Von allen nur denkbaren unangenehmen Themen musste sein Sohn ganz spontan auf das Unangenehmste verfallen …

 

 „Nein, es gibt keine Lady Vader und es hat auch nie eine gegeben. Auch keine Mrs. Skywalker,  wenn du es genau wissen willst.“

 

Luke verlor sofort jedes Interesse an dem teuren Porzellan ringsum und heftete einen anklagenden Blick auf das Gesicht gegenüber.

 

 „Was ist mit Mutter?“

 

Und schon geht es los, dachte Vader resigniert.

 

Aber irgendwann mussten sie ohnehin darüber reden, also warum nicht gleich hier und jetzt? Es hatte keinen Sinn, das Unvermeidliche hinauszuzögern …

 

„Ich hätte deine Mutter geheiratet, wenn es nach mir gegangen wäre, aber sie wollte ja nicht. Glücklicherweise, wie ich heute sagen muss, denn ich halte nicht viel von Scheidungen. Und zu einer Scheidung wäre es zweifellos gekommen. Wir haben uns mit der Zeit immer mehr auseinander gelebt … Irgendwann hatten wir uns einfach nichts mehr zu sagen …

 

Das kommt vor, weißt du? So etwas kann jedem passieren, also sieh mich gefälligst nicht so an!“ sagte Vader. „Es war nicht meine Schuld. Nicht wirklich …“

 

Die Antwort seines Sohnes überraschte ihn.

 

„Woher soll ich wissen, wessen Schuld es war? Von Mutter weiß ich ja noch weniger als von dir. Ich kenne nicht einmal ihren Namen“, sagte Luke traurig.

 

„Was?! Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ rief Vader. „Obi-Wan war ja nie sehr  mitteilsam, aber wenn das stimmt, dann muss er in seinen letzten Jahren so verschlossen gewesen sein wie eine lispanische Auster!“

 

Luke runzelte die Stirn.

 

„Was hat das mit Ben zu tun? Ich bin sicher, er hätte mir irgendwann alles erzählt, wenn er nur die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber Onkel Owen und Tante Beru wollten ihn ja nicht in meine Nähe lassen. Sie konnten ihn nicht ausstehen. Das heißt, Onkel Owen konnte ihn nicht ausstehen. Tante Beru hatte eher Angst vor ihm, glaube ich.

 

Und als wir uns endlich richtig kennen gelernt haben, Ben und ich, da war es für solche Gespräche einfach  schon zu spät. Es ging damals alles so schrecklich schnell …“

 

Doch Vader hatte längst den Faden verloren.

 

„Owen? Beru? Wer ist das? Und was meinst du mit richtig kennen lernen? Soll das etwa heißen, du bist gar nicht bei Kenobi aufgewachsen?“

 

Luke hatte dafür gerade einen Augenblick der Erleuchtung.

 

„Mein Gott, du hast keine Ahnung, wovon ich rede, nicht wahr? Und ich dachte immer, euer genialer Geheimdienst kriegt einfach alles raus. Ich habe wirklich geglaubt, du weißt inzwischen jede Kleinigkeit über mich: Meine Schulnoten, meine Schuhgröße, meine Lieblingszahnpasta…“

 

Vaders Unheil verkündender Gesichtsausdruck besagte ganz deutlich, dass verschiedene nicht ganz so geniale Mitarbeiter des imperialen Geheimdienstes ziemlich bald in akute Erklärungsnöte geraten würden. Und gleich anschließend in akute Existenznöte – und das garantiert nicht wegen fehlender Erkenntnisse über Luke Skywalkers bevorzugte Zahnpastamarke!

 

Er richtete seinen Zeigefinger auf seinen Sohn wie eine Blastermündung und sagte mit absoluter Autorität: „Junge, ich will alles wissen, was es da zu wissen gibt. Sofort!“

 

Doch Luke, der die Machtsuggestion hinter diesem Befehl so deutlich sehen konnte wie einen Blasterstrahl, lehnte sich mit aufreizender Lässigkeit in seinem bequemen Lehnstuhl zurück und verschränkte die Arme über der Brust.

 

„Oh nein“, sagte er. „Jetzt bist du an der Reihe. Und wir fangen mit dem Anfang an. Also: Wie heißt sie?“

 

Vader unterdrückte nur mit Mühe eine etwas aggressivere Machtdemonstration. Es war einfach zu irritierend, wie dieser Junge sich seinen Wünschen widersetzte. Aber manchmal lag buchstäblich  in der Ruhe die Kraft. Nicht immer, aber immerhin …

 

„Neela. Taneela Whitesun“, sagte er gepresst.

 

„Whitesun? Aber das war der Mädchenname von Tante Beru!“ rief Luke. „Sie müssen also irgendwie miteinander verwandt gewesen sein. Waren sie Schwestern? Cousinen?“

 

Vader dachte angestrengt nach, aber es war fast ein Vierteljahrhundert her, seit er sich zum letzten Mal ernsthaft mit Tatooine und seiner hoffnungslos banalen Bevölkerung beschäftigt hatte. Er konnte sich beim besten Willen  an keine Beru Whitesun erinnern.

 

Aber das konnte auch daran liegen, dass Neela diese Frau ihm gegenüber niemals erwähnt hatte. Taneelas Beziehungen zu ihrer Verwandtschaft waren immer äußerst flüchtiger Natur gewesen    und dasselbe konnte man auch von  Anakin Skywalker sagen. Sie beide waren nur durch extrem oberflächliche Wurzeln mit dem glühenden Wüstensand unter dem gnadenlosen Gleißen von Tatooines Doppelstern verbunden gewesen. Das hatte damals zu ihren wenigen Gemeinsamkeiten gehört. Das und ihr starkes Verlagen, der unerträglichen Enge ihrer kleinen Welt zu entkommen. Und tatsächlich hatten sie in den kurzen Jahren  ihrer Beziehung kaum jemals von den Familien gesprochen, die sie auf Tatooine zurückgelassen hatten. Dieses Kapitel war für sie beide abgeschlossen gewesen …

 

„Ich kann dazu leider gar nichts sagen, außer dass es mir unbegreiflich ist, wie du überhaupt bei diesen Leuten landen konntest. Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter damit einverstanden war“, behauptete Vader.

 

Aber so sicher war er sich gar nicht, was diesen Punkt anging. War es nicht gerade Neelas Abneigung gegen die Whitesuns und Tatooine generell, was diese trostlose Staubkugel und ihre geradezu lächerlich perspektivlosen Bewohner zu einem idealen Versteck für ihren Sohn machten? Das galt übrigens auch für ihn selbst. Niemals wäre Anakin Skywalker … nein, VADER! … auf die Idee verfallen, ausgerechnet dort nach seinem verschollenen Nachwuchs zu suchen. 

 

Wirklich clever, Obi-Wan! dachte er. Aber vielleicht doch nicht clever genug …

 

Denn offensichtlich hatte Kenobi nicht vorausgesehen, dass Neelas Familie versuchen würde, ihn von seinem Schützling fernzuhalten.

 

„Warum?“ fragte Luke.

 

„Was?“ fragte Vader zerstreut zurück.

 

„Warum hätte Mutter nicht damit einverstanden sein sollen?“

 

„Ah! Nun  … sie hielt nicht viel von Tatooine und den Leuten dort“, sagte Vader.

 

Lukes Gesicht wurde lang und länger.

 

„Was natürlich nicht bedeuten soll, dass sie dich dort einfach abgeladen und  im Stich gelassen hätte“, fuhr Vader fort, obwohl er völlig im Dunkeln tappte, was die wahre Motivation seiner ehemaligen Lebensgefährtin anging.

 

Denn Neela hätte durchaus einen guten Grund dafür gehabt, Luke einfach irgendwo abzuladen und ihn im Stich zu lassen. Manche Mütter machten so etwas mit ihren Kindern. Vor allem mit unerwünschten Kindern …  Oder mit Kindern, die auf unerwünschte Art und Weise  empfangen worden waren …

 

Aber dies war  kaum der richtige Augenblick, um Luke damit zu konfrontieren, dass er seine Existenz aller Wahrscheinlichkeit nach der allerletzten Nacht verdankte, die seine Eltern  miteinander verbracht hatten … Eine Nacht, die sogar sein Vater über viele Jahre hinweg völlig verdrängt hatte … Eine Nacht, die insbesondere seiner Mutter in äußerst unangenehmer Erinnerung verblieben sein musste …

 

Nein, manche Dinge musste der Junge wirklich nicht wissen. Ihre Vater-Sohn-Beziehung war auch so schon kompliziert genug ...

 

Aber trotzdem war Neelas Verhalten im Großen und Ganzen ein Rätsel für Vader. Ein Rätsel, das er so schnell wie möglich zu lösen gedachte …

 

„Erzähl mir mehr von deinem Leben mit den Whitesuns“, forderte er.

 

„Lars“, korrigierte Luke. „Nach Berus Heirat mit Onkel Owen hieß sie Lars. Und von anderen Whitesuns war bei uns nie die Rede. Ich glaube nicht, dass es damals überhaupt noch  irgendwelche Angehörigen gab – nicht einmal auf Onkel Owens Seite. Und über uns drei gibt  es auch nicht viel zu erzählen. Wir haben eben so vor uns hin gelebt … wie Farmer auf Tatooine eben so leben … Du kommst doch selber von dort. Du musst doch am besten wissen, wie es da  so ist.“

 

Vader nahm die Anspielung auf seine verleugnete Skywalker-Persona widerspruchslos hin, was nicht oft der Fall war. Er nickte seinem Sohn in stummem Einverständnis zu. Natürlich erinnerte er sich an das öde ereignislose Leben auf Tatooine, ein Leben, das genug Mauern und Zäune enthielt, um einen ehrgeizigen begabten jungen Mann wie Anakin …  oder Luke Skywalker  fast in den Wahnsinn zu treiben.

 

Ja, er erinnerte sich nur allzu gut daran. Diese sengende Hitze, der allgegenwärtige Sand, die tödliche Langeweile, die Hoffnungslosigkeit, sobald einem klar wurde, dass man auf einem Planeten lebte, der nicht mehr war als ein Furunkel auf dem Hintern der Galaxis ...

 

Auf Tatooine lebte man nicht einmal vor sich hin, man vegetierte dort vor sich hin! All das konnte einen jungen Menschen erst zur Verzweiflung bringen  und ihn schließlich in die Flucht schlagen. Bei Anakin Skywalker war es zumindest so gewesen. Und bei Taneela Whitesun auch…

 

„Was ist eigentlich aus diesen Lars-Leuten geworden?“ fragte er schließlich, nur um irgendetwas zu sagen.

 

Doch jetzt war  plötzlich Luke so verschlossen wie eine lispanische Auster. Er  stand auf und ging zu dem durchgehenden Panoramafenster hinüber, das die ganze Steuerbordwand von Vaders Quartier beherrschte. Und dort stand er nun. Stand einfach da und starrte in die glitzernden Sterne hinaus, in finsteres Schweigen gehüllt. Eine eindrucksvolle Pose, wenn man ein zwei Meter großer Sith-Lord in Maske und wallendem Umhang war. Aber nicht ganz so  eindrucksvoll, wenn man eigentlich nur ein Junge war und auch danach aussah …

 

Vader betrachtete seinen Ableger mit wachsender Ungeduld. Er wollte Antworten haben und das schnell. Es war zum Auswachsen mit diesem Jungen! Musste man ihm wirklich jede noch so kleine Auskunft  aus der Nase ziehen wie einem widerspenstigen Rebell  bei einem Verhör?

 

„Vertrauen gegen Vertrauen, Luke. Wenn du von mir erwartest, dass ich meine ganze Biographie vor dir ausbreite, dann erwarte ich dasselbe auch von dir. Also, was ist jetzt mit diesen Lars-Leuten? Sind sie wütend auf dich, weil du deinen eigenen Weg gegangen bist? Das wäre ja so typisch …“

 

Denn nach Vaders eigenen Erfahrungen mit lästiger Verwandtschaft konnte sich die ältere Generation einfach unmöglich aufführen, sobald sie begriff, dass die jüngere Generation gewillt und auch wild entschlossen war, von längst ausgetretenen Pfaden so weit wie nur möglich abzuweichen …

 

Sein Sohn, der ihm unhöflicherweise immer noch den Rücken zukehrte, schüttelte langsam den Kopf.

 

„Nein, sie sind nicht wütend auf  mich. Sie sind tot.“

 

„Oh!“ sagte Vader gedehnt. „Wie bedauerlich. Ein Gleiter-Unfall?“

 

„Nein“, klang es abweisend zurück.

 

„Ein Tusken-Überfall?“

 

„Nein!“

 

Vader kam ein ebenso außergewöhnlicher wie anregender Gedanke.

„Oder hat Obi-Wan sie aus dem Weg geräumt, weil sie ihm den Kontakt mit dir verboten haben?“

 

Luke wirbelte  zu ihm herum, jetzt sichtlich entflammt.

„NEIN!“ fauchte er. „Natürlich nicht! So etwas Schreckliches hätte er niemals tun können. Warum auch?“

 

Doch Vader urteilte ganz nüchtern, dass seine Theorie eigentlich ziemlich nahe liegend war. An Kenobis Stelle hätte er nicht eine Sekunde lang gezögert, jeden zu töten, der sich zwischen ihn und einen viel versprechenden Schüler … nein, sogar den letzten Padawan überhaupt stellte.

 

Und was Darth Vader persönlich anging, so hätte er ohne Weiteres  ganz Tatooine ausgerottet, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, wenn das der einzige Weg gewesen wäre, um an  seinen Sohn heranzukommen.  Aber auch das brauchte Luke nicht zu wissen …

 

„Warum, warum. Darum!“ sagte er achselzuckend. „Auch wenn du es nicht wahrhaben willst: Kenobi war kein Heiliger, obwohl er immer gerne so getan hat als wäre er einer. Sogar die Jedis kannten das Sprichwort: Der Zweck heiligt die Mittel. Sie waren alle keine Heiligen, Luke. Höchstens Säulenheilige. Aber darin waren sie wirklich unübertroffen …

 

Und jetzt rück endlich damit heraus: Wie bist du doch noch unter Obi-Wans fürsorglicher Fittiche gelandet? Hat er vielleicht Kopfgeldjäger angeheuert, weil er sich nicht die Hände schmutzig machen wollte?“

 

Luke funkelte ihn an.

„Du willst es unbedingt hören, ja?  Also gut: Es war nicht Ben. Es war dein Imperium! Ja, deine Soldaten haben Onkel Owen und Tante Beru aus dem Weg geräumt. Einfach so! Und völlig grundlos noch dazu. Wenn sie nämlich nur eine Stunde gewartet hätten, nur eine einzige verdammte Stunde, dann hätten sie sich die Droiden einfach nehmen und wieder verschwinden können. Keiner von uns hätte sie daran gehindert … Aber sie hatten wohl den Befehl, jeden  umzubringen, der auch nur einen Blick auf  eure kostbaren  Pläne geworfen haben könnte …“

 

Und Vader sah ganz unerwartet ein weiteres Puzzlestück auf seinen Platz fallen. 

 

„Die Droiden von der Tantive … Diese Farmer, die sie gekauft haben – das waren deine Leute?“ fragte er ungläubig.

 

„Ja“, sagte Luke bitter. „Dabei wollte Onkel Owen R2 und 3PO nicht einmal haben. Ich musste ihn dazu überreden, sie den Jawas abzukaufen. Hätte ich das nur nicht getan … Aber ich konnte ja schließlich nicht wissen, dass zusammen mit einem harmlosen Astromech  unser Todesurteil in unsere Garage rollt …

Niemand konnte das wissen, oder? Niemand ... Nicht einmal Ben hat es gewusst …“, flüsterte er vor sich hin.

 

Doch Vader war jetzt selber zu aufgeregt, um auf die deutlichen Anzeichen von uralten Schuldkomplexen zu reagieren. Dass die Droiden mit den gestohlenen Todesstern-Plänen  damals nicht einfach irgendwo in Tatooines Einöde verschwunden waren, sondern ausgerechnet auf der Farm aufgetaucht waren, auf der sein eigener Sohn gelebt hatte, das war ein zu großer Zufall, als dass Vader nicht sofort seine ungeheuerliche Tragweite erkannt hätte.

 

Und wenn er erst bedachte, welche Auswirkungen dieser angebliche Zufall auf ihrer aller Zukunft gehabt hatte oder beinahe gehabt hätte … Schließlich hatte er selbst dem Einsatzkommando, das nach den Droiden suchen sollte, den ausdrücklichen Befehl gegeben, keine Spuren zu hinterlassen … Es war unfassbar …

 

Luke kehrte zu seinem Sitzplatz zurück und trank noch einen Schluck Tee, denn was er als nächstes aussprechen musste, ließ seine Kehle jetzt schon trocken werden.

 

„R2 hat sich gleich in der ersten Nacht aus dem Staub gemacht, um nach Ben zu suchen. Er sollte ihm eure Pläne bringen, aber das wusste ich zu der Zeit natürlich noch nicht. Ich bin morgens nur losgefahren, um R2 wieder einzufangen. Und nur deshalb war ich nicht zu Hause, als euer Killerkommando angerückt ist.“

 

Vader schwieg. Er zog es aus begreiflichen Gründen vor, kein Wort über diese heikle  Angelegenheit zu verlieren. Die Geheimnisse, die sein Sohn besser niemals erfuhr, begannen sich vor seinem geistigen Auge bereits aufzustapeln wie Null–Grav–Frachtcontainer im Laderaum der Executor.

 

„Gleich nachdem ich R2 gefunden hatte, hat ein besonders schlecht gelaunter Tusk mich gefunden und in letzter Minute Ben uns alle zusammen. Es war irgendwie ein Tag, an dem man ununterbrochen etwas findet oder herausfindet. Als Ben und ich herausgefunden hatten,  was R2 da irgendwo in seinen Datenspeichern durch die Gegend schleppt, wollte ich eigentlich nur noch heim und die ganze Sache so schnell wie möglich wieder vergessen. 

 

Aber dafür war es natürlich schon viel zu spät ... das war mir spätestens dann klar, als wir auch noch  diese toten Jawas entdeckt haben – genau die Jawas, die uns die Droiden verkauft hatten. Und als ich endlich zu  Hause angekommen bin, da war alles schon vorbei.

Wahrscheinlich habe ich deine Sturmtruppen sogar nur um ein paar Minuten verpasst. Ich hatte Glück. Tante Beru  und Onkel Owen nicht …“

 

Vader war zutiefst betroffen, als er sich ausmalte, was unweigerlich geschehen wäre, wenn sein Sohn früher nach Hause gekommen oder an diesem Morgen gar nicht erst weggegangen wäre.

 

„Und du glaubst nicht an Schicksal, du törichter Junge!“ sagte er leise. „Wenn DAS kein Beweis dafür ist, dass es so etwas wie  Bestimmung gibt,  was dann?“

 

Luke ging nicht auf diese Herausforderung ein, was vielleicht auch besser so war.

Stattdessen fuhr er fort: „Danach mussten wir uns natürlich alle aus dem Staub machen, Ben, die Droiden und ich.  Wir mussten so schnell wie möglich runter von Tatooine – es wimmelte inzwischen ja nur so von Soldaten und alle waren hinter R2 und 3PO her. Ich frage mich heute noch, wie wir es überhaupt bis nach  Mos Eisley  geschafft haben.

Na ja, dort haben wir dann Han aufgegabelt. Und er hat uns mit der Millenium Falcon nach Alderaan gebracht … oder zu dem, was von Alderaan noch übrig war. Der Rest ist Geschichte…

Du siehst also, ich hatte eigentlich nur  ein paar Tage mit Ben. Das war nicht gerade viel Zeit, um von ihm zu lernen  – und lange nicht genug Zeit, um meinen ganzen Stammbaum  plus Familienhistorie aus ihm herauszuholen.

So, jetzt  kennst du meine Biographie, wenn auch nur die Kurzversion. Zufrieden?“

 

Vader überdachte dieses Wort. Zufrieden? Nein, er würde niemals wirklich zufrieden sein, wenn er bedachte, was er alles verpasst hatte. Die ganze Kindheit und Jugend seines Sohnes war ihm entgangen. Ließ sich das je wieder aufholen? Wahrscheinlich nicht.

Trotzdem hatte er das Gefühl, dass er wenigstens zu den Bruchstücken, die er gerade erfahren hatte,  irgendwie Stellung nehmen  musste.

 

„Das mit deinen Verwandten tut mir Leid, Junge“, brummte er nach einer Weile. „Sie waren bestimmt anständige Leute und haben auf ihre bescheidene Weise gut für dich gesorgt. Sie hätten ein besseres Ende verdient.“ 

 

Oder ein noch schlimmeres Ende, wenn Vader nur früher von der Existenz seines Sohnes erfahren hätte – und von den Menschen, die ihm diesen Sohn absichtlich vorenthalten hatten! Es fiel ihm schwer, Mitgefühl für das Lars–Paar zu heucheln. Aber was tat man als Vater nicht alles für den Seelenfrieden seines Kindes …

 

„Ja, das hätten sie. Ihr Tod war so sinnlos und so furchtbar. Niemand sollte so sterben müssen“, sagte Luke ernst.

 

„Ich habe doch gesagt, dass es mir Leid tut, oder nicht?“ entgegnete Vader gereizt.

 

„So etwas kann man nicht einfach mit einem ‚Tut mir Leid, Junge’ abhaken.  Nicht, wenn so etwas jederzeit und überall wieder geschehen kann“, erwiderte Luke aufgebracht.  „Ich verstehe  einfach nicht, wie du es zulassen kannst, dass deine Soldaten über unschuldige und völlig wehrlose Menschen herfallen wie eine Horde  bestialischer … ach, was weiß ich. Das ist so was von barbarisch!“

 

„Ich habe es dir vorhin schon einmal gesagt: Krieg ist immer grausam! Also hilf mir dabei, die Ursachen für diesen Krieg zu beseitigen und solche Dinge werden nie wieder vorkommen.“

 

„Wenn ich dir das nur glauben könnte“, murmelte Luke.

 

„Und überhaupt: Meine Soldaten sind nicht barbarisch! Nur sehr gründlich. Und vielleicht neigen sie dazu,  ihre Befehle ein klein wenig zu wörtlich zu nehmen ...“

Vor allem meine Befehle – und wer kann ihnen das verdenken? dachte Vader.

 

„Wenn das hier jetzt zu einer Art Lobgesang auf Sturmtruppen ausartet, dann muss ich mich wahrscheinlich mitten auf deinen Tisch übergeben!“ teilte sein empfindsamer Sohn mit.

 

„Da wir das bestimmt beide lieber vermeiden würden, schlage ich jetzt einen Themawechsel vor – nur so zur Abwechslung“, sagte Vader.

 

„Nein. Lass uns einfach auf unser eigentliches Thema zurückkommen.“ 

Luke beugte sich ein wenig vor und fixierte den Mann auf der anderen Seite des Tischs mit einem kalten Blick.

„Wo ist Mutter? Und was hast du mit ihr angestellt, bevor sie dir weggelaufen ist?“

 

„Das frage ich mich seit über zwanzig Jahren. Und wie kommst du eigentlich darauf, dass sie mir weggelaufen ist oder dass ich irgendetwas damit zu tun habe?“ sagte Vader ausweichend.

 

„Weil IRGENDETWAS zwischen euch beiden gewaltig schief gelaufen sein muss. Sonst wäre ich ja wohl kaum bei Leuten aufgewachsen, die mir entweder gar nichts über meine eigenen Eltern erzählt haben oder nur Lügen.“

 

„Was für Lügen?“ fragte Vader, um Zeit zu gewinnen.

 

„Du warst angeblich dein Leben lang Navigator auf einem Frachter.“

 

„HA!“ schnappte Vader. (Was auch immer diesen intriganten, verlogenen Hinterwäldlern zugestoßen war, sie hatten es  eindeutig verdient!)

 

„Na ja, ich muss zugeben, dass mir Bens Jedi-Version auch besser gefallen hat. Das war immerhin ein mächtiger Karrieresprung für meinen Traum-Dad.“

 

Vader fühlte sich fast besänftigt. Fast.

 

„Du hast von mir geträumt?“

 

„Natürlich. Bis du zu einem ziemlich lebendigen Alptraum–Vater geworden bist …“

 

„HA!“

 

Doch Luke ließ sich nicht  mehr ablenken.

„Wir wollten doch das mit Mutter klären“, erinnerte er unbarmherzig.

 

Wie hartnäckig dieser Junge sein kann, dachte Vader.

„Da gibt es nicht viel zu klären!“ erwiderte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ich habe keine Ahnung, wo diese Frau heute steckt, falls sie überhaupt noch lebt. Nachdem sie damals Hals über Kopf auf und davon ist …  ja, ja! Du hast natürlich Recht! Sie IST mir weggelaufen …

 

Und danach habe ich nie wieder etwas von ihr gesehen oder gehört – ich schwöre es dir!“ versicherte Vader, als sein Sohn ihn mit offenem Misstrauen ansah.

 

„Sie kann doch nicht einfach so verschwunden sein. Hast du denn nicht einmal nach ihr gesucht?“

 

 „Natürlich habe ich nach ihr gesucht – eine Zeitlang. Aber sie war wie vom Erdboden verschluckt … Und ich bin ganz sicher, dass  Obi-Wan etwas damit zu tun hatte! Die Jedis waren Meister darin, jemanden verschwinden zu lassen – eine Fähigkeit, die mir später noch viel Kopfzerbrechen bereitet hat. Und Obi–Wan konnte es nie lassen, seine spitze Nase in Angelegenheiten zu stecken, die ihn überhaupt nichts angehen!“

 

„Aber warum hat sie dich verlassen?“ fragte Luke beharrlich.

 

Nun war es Vader, der aufstand und zu dem großen Fenster hinüberging. Gedankenvoll starrte er hinaus, die Arme auf dem Rücken verschränkt.

 

„Im Grunde haben wir überhaupt nicht zueinander gepasst, deine Mutter und ich. Aber wir waren jung und bis über beide Ohren verliebt und wir haben alles durch eine rosarote Brille gesehen. Auch uns. Vor allem uns. Außerdem wollten wir beide unbedingt weg von Tatooine und etwas erleben, etwas aus uns machen, etwas Großartiges. Das hat uns wohl  am meisten aneinander  gefesselt und uns zusammengeschmiedet – eine Zeitlang!

 

Wir hatten den Kopf voller Träume, aber nur ganz vage Pläne. Ich wollte damals einfach nur ein großer Pilot werden, der Beste von allen, ein absolutes Fliegerass mit  Ruhm und Ehre und allem, was dazu gehört. Und deine Mutter wollte sich in der Modebranche einen Namen machen. Sie sah sich schon als berühmte Designerin mit einem eigenen Label. Geniale Kollektionen wollte sie entwerfen. Die Reichen und Mächtigen von Coruscant  sollten sich um die Modellkleider von Taneela Whitesun reißen und sie mit Geld überschütten.

 

Natürlich waren wir schrecklich naiv. Wir haben uns wirklich eingebildet, wir müssten einfach nur nach Coruscant gehen und bald würde uns die ganze Welt zu Füßen liegen. Wir waren noch jünger als du es heute bist und so unschuldig wie nur ein paar Landeier aus einem Randsystem es sein können. Also haben wir jeden Credit zusammengekratzt, den wir nur auftreiben konnten, und sind nach Coruscant geflogen. Oder geflohen …“

 

„Was haben eure Eltern dazu gesagt?“ warf Luke dazwischen.

 

„Wir haben sie nicht nach ihrer Meinung gefragt. Über dieses Alter waren Neela und ich schon lange hinaus“, erwiderte Vader kurz. „Sie hätten ohnehin nur versucht, uns Steine in den Weg zu werfen.“

 

Luke musste unwillkürlich an seine Jugendjahre auf Tatooine zurückdenken. Auch er hatte schon als Teenager nur einen wirklichen Wunschtraum gehegt und gepflegt: Zu fliegen,  sein ganzes Leben lang schwerelos durch den Weltraum zu schweben. Um dieses große Ziel zu erreichen, war er sogar dazu bereit gewesen, genau wie sein bester Freund Biggs Darklighter seine Pilotenlizenz auf einer imperialen Militärakademie zu erwerben und für seine Gratisausbildung mit ein paar Dienstjahren als Jägerpilot zu büßen, obwohl er dem Imperium an sich schon damals mit Skepsis gegenüber gestanden hatte. Aber Owen Lars hatte alles getan, um ihn davon abzuhalten. Und Luke hatte sich davon abhalten lassen … Monat um Monat … Jahr um Jahr …

 

„Ich wäre nie einfach so von Tatooine weggegangen. Ich meine ohne Erlaubnis … ohne den Segen von Onkel Owen und Tante Beru“, sagte er.

 

„Nun, deine Mutter und ich haben es getan – ohne irgendeine Erlaubnis – und wir haben es nie bereut. Das heißt, ich habe es nie bereut. Taneela irgendwann schon.“

 

Vader wandte sich von dem Fenster ab und begann auf und ab zu gehen, während er weiter sprach.

 

„Coruscant hat uns natürlich vollkommen überwältigt. Die größte Stadt, die wir bis dahin gesehen hatten, war Mos Eisley und das war überhaupt kein Vergleich. Jetzt standen wir direkt nach unserer Ankunft mitten in einer gigantischen Metropole, die einen ganzen Planeten umfasste. Überall turmhohe Häuser und Straßenschluchten so  tief wie Beggar’s Canyon. Dieser unglaubliche Verkehr, die  vielen Leute, der Lärm, die Lichter, die ganze Pracht und  das ganze Elend direkt nebeneinander – das alles war ein bisschen viel auf einmal.  Wir hatten einen richtigen Kulturschock, deine Mutter und ich. In der ersten Woche waren wir völlig durch den Wind. Wir wussten kaum noch, wo oben und unten ist oder rechts und links.

 

Und genau damit fingen unsere Probleme an, Junge. Denn ich habe mich schon nach ein paar Tagen  wieder gefangen und begann die Gegend zu erkunden, meine Fühler auszustrecken. Aber deine Mutter saß in unserer billigen kleinen Absteige von einem Hotel fest wie ein verschrecktes Kaninchen in seinem Bau. Ich konnte sie kaum dazu bringen, einen Fuß vor die Tür zu setzen. Coruscant war einfach ein paar Nummern zu groß für sie. Sie hatte einen Fehler gemacht und sie wusste es.

 

So fing es an und so ging es weiter. Natürlich hatten wir es nicht leicht. Coruscant hatte nicht gerade auf uns gewartet. Wer waren wir denn schon? Zwei Nobodys in einer riesigen Stadt voller Nobodys. Was hatten wir schon vorzuweisen? Nicht gerade viel in meinem Fall. Und im Fall deiner Mutter? So gut wie gar nichts! Nein, wir hatten es wirklich nicht leicht.

 

Aber nach ein paar Monaten hatte ich trotz aller Hindernisse Fuß gefasst. Ich hatte mich an einer Pilotenschule beworben und meine Eignungstests waren so gut ausgefallen, dass ich nicht einmal auf die Warteliste gesetzt, sondern sofort aufgenommen wurde. Ich machte meine Ausbildung und verdiente gerade so viel Geld, dass wir davon leben konnten. Alles lief glatt für mich. Und ich  gewöhnte mich schnell an unsere neue Heimat, sehr schnell. Nach kurzer Zeit war  ich mit Coruscant schon so vertraut, dass ich Touristen sagen konnte, wie sie am schnellsten von einer Sehenswürdigkeit zur anderen kommen. Und bald war ich Coruscanti von Kopf bis Fuß. Sogar meinen Dialekt hatte ich mir ruckzuck abgewöhnt. Ich hatte mich angepasst – in jeder Beziehung.

 

Deine Mutter nicht. Das war ihr größtes Problem: Sie konnte sich einfach nicht anpassen. Sie war ungefähr so flexibel wie ein Betonklotz. Und sie hatte Angst. Vor allem und jedem. Jede noch so kleine Veränderung machte ihr Angst. Coruscant machte ihr Angst. Sie hat sich dort nie eingelebt. Sie hat sich dort nie zu Hause gefühlt, nicht einen einzigen Tag lang. “

 

Vader blieb abrupt vor seinem Sohn stehen.

 

„Stell dir vor, Luke,  sie hat bis zum Ende ein Navi in ihrer Handtasche gebraucht, nur um den Weg von unserer Wohnung bis ins nächste Einkaufszentrum zu finden. Die meisten Frauen haben ein ziemlich schlechtes Orientierungsvermögen, aber deine Mutter war wirklich ein hoffnungsloser Fall. Sie hat immer gejammert, Coruscant wäre  ein einziges riesiges Labyrinth. Das ist es auch, aber mit einem ständig aktualisierten Navi sollte sogar das  größte Labyrinth irgendwann zu bewältigen sein, oder nicht?“

 

Luke antwortete nicht, sondern sah ihn  nur an. Vader fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Als er weiter sprach, klang seine Stimme etwas weniger herablassend.

 

„Natürlich war sie unglücklich. Für sie lief nichts glatt, aber auch gar nichts. Nichts entwickelte sich so, wie sie es sich erhofft hatte. Sie wanderte damals von einem Modeatelier zum nächsten, sie reichte wirklich in jedem Studio und jeder Agentur ihre Bewerbungsmappe ein, aber niemand hatte Interesse an den schlichten Entwürfen eines noch schlichteren Mädchens von Tatooine. Ihr Stil war einfach zu simpel, zu unverschnörkelt für  eine so verwöhnte und anspruchsvolle Welt wie Coruscant. Vielleicht hätte sie auf einem anderen Planeten sogar Karriere gemacht, aber wir hatten uns nun einmal für Coruscant entschieden und für Coruscant waren Taneelas Ideen nicht kreativ, nicht originell genug.

 

Niemand wollte sie einstellen, nicht einmal für ein unbezahltes Praktikum. Niemand wollte ihr eine Chance geben. Sie bekam eine Absage nach der anderen und wenn sie sich persönlich vorstellte, wurde sie entweder ziemlich unfreundlich vor die Tür gesetzt  oder höflich hinauskomplimentiert.  Das hatte natürlich Folgen. Mit jeder Enttäuschung zweifelte sie mehr an sich und an ihrem Talent. Ihr Traum zerbrach vor ihren Augen, all  ihre Hoffnungen glitten ihr wie Sand durch die Finger und das war einfach mehr, als sie ertragen konnte. Dass sie gleichzeitig auch noch meinen Erfolg mit ansehen musste, machte die Sache auch nicht gerade besser. Mit  der Zeit wurde sie regelrecht depressiv. Jedenfalls ließ sie nur noch den Kopf  hängen.

 

Natürlich habe ich versucht, sie wieder aufzumuntern. Ich wollte ihr wirklich helfen, obwohl es eigentlich nicht viel gab, was ich für sie tun konnte. Und auf meine Ratschläge wollte sie nicht hören. Wenn ich ihr gesagt habe, dass sie sich doch nur mal vor einer Boutique umsehen muss um herauszufinden, was die Damen auf Coruscant  mögen und was nicht, und dann einfach entsprechende  neue Entwürfe zeichnen soll, die vielleicht eher den Publikumsgeschmack treffen,  hat sie nur geantwortet, dass das dann aber nicht mehr der Stil von Taneela Whitesun wäre. (Ich sage es ja: Flexibel wie ein Betonklotz!)

 

Und wenn ich sie darauf aufmerksam gemacht habe, dass der Stil von Taneela Whitesun schließlich ihren künftigen Kundinnen gefallen  muss  und nicht ihr, dann hat sie  nur geweint. Sie hat überhaupt ziemlich viel und ziemlich schnell geweint, deine Mutter. Sie war nicht gerade eine Kämpfernatur …

 

Nach einem Jahr hat sie dann aufgegeben. Und danach wollte sie gar nichts mehr machen, wirklich überhaupt nichts mehr. Sie hatte es natürlich auch nicht nötig, sich irgendeinen Job zu suchen, ich habe ja für sie gesorgt. Aber diese absolute Passivität von ihr hat mich beunruhigt. Sie saß praktisch nur noch in dem Appartement herum, das wir inzwischen gemietet hatten, und blies Trübsal. Ich habe mir wirklich Sorgen um sie gemacht …“

 

Vader hielt für einen Moment inne und starrte vor sich hin. Es war, als würde die Vergangenheit vor seinen Augen abrollen wie ein Film. Luke wartete, unwillkürlich fasziniert von all den Enthüllungen, die ein so unerwartetes Licht auf diese fremden Menschen  warfen,  die ihn gezeugt und geboren hatten. Alles, was er hier hörte, war so erstaunlich … normal. Es war genau so, wie sein Vater vorhin schon angedeutet hatte: So etwas hätte jedem Paar zu jeder Zeit passieren können.

 

Und doch … irgendetwas fehlte hier. Etwas Wichtiges, das den totalen Bruch zwischen Anakin Skywalker und Taneela Whitesun erklärte. Etwas, dass Lukes und Leias Kindheit erklärte …

 

„Trotzdem hätte alles noch gut ausgehen können. Ich bin sicher, deine Mutter hätte dieses ewige Selbstmitleid irgendwann überwunden und doch noch einen Neustart geschafft – wenn bei uns alles so geblieben wäre, wie es war“,  sagte Vader.

 

„Aber  unser Leben sollte  sich von einem Tag auf den anderen verändern und das so radikal, dass Taneela einfach nicht mehr Schritt halten konnte. Du wirst es natürlich nicht gerne hören, Junge, aber alles begann an dem  Tag, an dem Obi–Wan plötzlich vor unserer Tür stand …“

 

Luke spitzte die Ohren. Jetzt wurde es wirklich interessant …

 

 

 

Fortsetzung folgt …

 

© 2012 by Nangijala

 

 

 

Fortsetzung folgt ...

 

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