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Endor - Kapitel 2 - **** 23. Juni 2012
Warte bis es dunkel wird - **** 27. Mai 2012
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Endor

 

Das sternengesprenkelte Kobaltblau von Endors Abendhimmel verdunkelte sich schon zu einem tiefen satten Indigoton, als ein leuchtender Punkt kometengleich aus der Schwärze des Alls herabstürzte und in die Atmosphäre des Mondes eindrang. Die Raumfähre, deren spiegelglatte Metallhülle im Widerschein ihrer eigenen Positionslichter funkelte, als hätte die absolute Kälte des Weltraums sie mit einer glitzernden Eisschicht überzogen, schien einen Augenblick lang regungslos am Horizont zu verharren, bevor sie in den Sinkflug überging und auf die imperiale Basis zuschoss wie eine silberne Pfeilspitze auf eine Zielscheibe. Schwerelos glitt sie tiefer und tiefer über einem unauslotbaren Ozean aus mächtigen Baumwipfeln dahin und schwebte mit der tödlichen Präzision eines nachtjagenden Raubvogels auf die riesige rechteckige Landeplattform zu, die sich in der grellen Lichtflut einer ganzen Phalanx von Scheinwerfern beinahe schmerzhaft deutlich von dem schweigenden samtschwarzen Hintergrund des Waldes abhob. Das rhythmische Niederfrequenzsummen der Repulsortriebwerke schwoll zu einem bedrohlich klingenden Crescendo an, als die Fähre sich näherte, nur um sofort wieder abzuebben und schließlich ganz zu verstummen, als das kleine Schiff sanft auf der Plattform aufsetzte.

 

„Pünktlich wie immer“, murmelte der ältere der beiden Offiziere, die zusammen mit zwei Dutzend Sturmtruppensoldaten am Rand des Lichtkegels der Landescheinwerfer warteten. “Aber seine Piloten wissen natürlich auch, dass es besser ist, ihn bei Laune zu halten.“ Seine Mundwinkel bogen sich widerstrebend aufwärts und produzierten ein schmallippiges Lächeln, das die durch jahrelangen Drill getemperte Unnachgiebigkeit seines harten kantigen Gesichtes im Schatten der Uniformmütze eher betonte als widerlegte. „Zehn Minuten Verspätung und der nächste Karrieresprung endet garantiert im Cockpit eines Müllfrachters – wenn man Glück hat. Wenn man Pech hat, ist man bald selber nur noch Müll.“

 

Sein Kollege überdachte die drakonischen Strafen, mit denen ein derart banales kleines Vergehen sofort geahndet wurde, und schüttelte wehmütig den Kopf.  Sein rundes rosiges Jungengesicht unter dem drahtigen hellen Bürstenhaarschnitt schien aufrichtiges Mitgefühl für das grausame Los  unpünktlicher Piloten auszudrücken, zeigte aber in Wirklichkeit nur Selbstmitleid. „Also wenn ihn das schon so in Fahrt bringt, Tyrell... Er reißt uns glatt den Kopf ab,  wenn er rausfindet, was mit dem Captain los ist.“ 

 

„Er wird es nicht rausfinden, wenn Sie es ihm nicht gleich auf die Nase binden, Draffco. Also halten Sie gefälligst die Klappe und überlassen Sie das Reden mir, wenn es soweit ist“, sagte Tyrell scharf. 

 

Doch Lieutenant Draffco, der bestenfalls seine nächste Beförderung und schlimmstenfalls das glückliche Erreichen seines noch sehr weit entfernten Pensionsalters in ernsthafter Gefahr  sah, gab sich nicht so schnell geschlagen. Nach einem misstrauischen Seitenblick auf die Sturmtruppensoldaten, die sofort demonstrativ in eine andere Richtung sahen und Gleichgültigkeit heuchelten,  als würden sie nicht einmal im Traum auf die Idee kommen, eine private Unterhaltung zwischen Vorgesetzten zu belauschen, zischelte er aufgeregt: „Was Mavric da abzieht, verstößt gegen ungefähr eine Million Vorschriften. Er muss verrückt geworden sein.  Wir sind seit heute morgen auf Alarmstufe Gelb und der Mann ist sternhagelvoll! Der würde nicht mal zu sich kommen, wenn Mon Mothma höchstpersönlich sein Quartier stürmen und ihm eine Haftmine in den Hintern stecken würde. Und wir geben ihm auch noch Rückendeckung ... Wenn das rauskommt, sind wir dran!“ sagte er traurig.

 

„Wenn Sie den Captain verpfeifen wollen, kann ich Sie natürlich nicht daran hindern“, erwiderte Tyrell mit einer Kälte, die keinen Zweifel daran offen ließ, was er von diesem Mangel an Korpsgeist hielt. „Aber bevor Sie jetzt damit anfangen, mir das ganze Offiziershandbuch vorzubeten,  lassen Sie sich mal das hier durch den Kopf gehen, Draffco: Was ist, wenn Sie eines Tages Rückendeckung brauchen?“

 

Der bloße Gedanke an eine persönliche Krise reichte vollkommen aus, um dem ebenso pflichtbewussten wie ehrgeizigen Junioroffizier sofort die Augen für die Vorteile kameradschaftlicher Solidarität zu öffnen und  ihn mit fliegenden Fahnen den Rückzug antreten  zu lassen. „Ich  und  unseren  Captain   verpfeifen? Wie   kommen Sie denn  darauf? Ich  würde doch nie  ...“

 

Was auch immer er zu seiner Verteidigung hervorzubringen hatte, es sollte ungesagt bleiben, denn schon öffnete sich die pneumatisch betriebene Ausstiegsluke der Raumfähre mit einem lauten aggressiven Zischen, das die Männer auf der Landeplattform unwillkürlich zusammenzucken ließ, zumal es gleich darauf von einem leiseren, aber kaum weniger unheilverkündenden Zischlaut abgelöst wurde. Sowohl die Offiziere als auch die Soldaten standen mit einem Schlag stramm. Ihre vorschriftsmäßig straffe Haltung – Kopf hoch, Brust raus, Bauch rein, Augen geradeaus – hätte sogar dem anspruchsvollsten imperialen Kasernenhofschleifer vor Stolz die Tränen in die Augen getrieben.

 

Doch es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass der Anblick von so viel militärischer Bilderbuchperfektion den Zwei–Meter–Hünen, der gerade in einem kontrollierten Wirbelsturm aus flatternden schwarzen Gewändern die Fährenrampe hinunterrauschte, mit ähnlich sentimentalen Gefühlsaufwallungen erfüllte. Tatsächlich gelangten die meisten Lebewesen, die mit ihm in Berührung kamen, ziemlich schnell zu der Überzeugung, dass sie wahrscheinlich nie wieder jemandem begegnen würden, der noch weiter von sentimentalen oder anderen Gefühlsaufwallungen entfernt war.

 

Was Tyrell betraf, den an diesem Abend unerwartet wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Pflicht getroffen hatte, seinerseits ohne Rückendeckung Empfangskomitee spielen zu müssen, so hätte er bedenkenlos seinen ganzen Monatssold darauf verwettet, dass das unbekannte Gesicht des Mannes, der jetzt mit weit ausgreifenden Schritten auf ihn zumarschierte,  genauso ausdruckslos und undurchdringlich war wie die unheimliche Maske, hinter der es sich verbarg. Wie auch immer,  es war höchste Zeit, endlich in Aktion zu treten und den späten Gast willkommen zu heißen – auch wenn er alles andere als willkommen war.

 

Tyrell trat zwei Schritte vor, um dem Besucher wenigstens symbolisch entgegenzukommen, neigte leicht den Kopf in einem respektvollen, wenn auch etwas steifen Nicken und sagte mit der formvollendeten Höflichkeit eines Zeremonienmeisters: „Guten Abend, Lord Vader. Hatten Sie einen angenehmen Flug?“

 

Er war hellhörig genug, um den grollenden Laut, der jetzt neben dem gleichmäßigen Fauchen mechanisch regulierter Atemzüge aus der schwarzen Durastahlmaske drang, als das elektronische Äquivalent eines ungeduldigen Seufzers zu identifizieren,  bevor die tiefe Messinggongstimme, die auch ohne das dramatische Erscheinungsbild ihres Besitzers überall einen bleibenden Eindruck hinterlassen hätte, leicht gereizt verkündete: „Der Flug war nicht angenehmer oder unangenehmer als alle anderen auch, die ich jeden Tag überstehen muss. Wir müssen nicht immer und ewig das gleiche Begrüßungsritual abspulen, Commander.“

 

Vader musterte flüchtig die Sturmtruppensoldaten, die immer noch in perfekter Habt-Acht-Stellung  erstarrt waren und wie mit Blastergewehren bewaffnete Salzsäulen aussahen, warf dann über Tyrells Schulter hinweg einen  etwas  längeren Blick  auf  Draffco, der  unter  der  geballten Aufmerksamkeit des großen Sith-Lords sofort in sich zusammenschrumpfte wie eine absterbende Bakterienkultur auf dem Objektträger eines Mikroskops, und wandte sich schließlich wieder dem Commander zu, um endlich die Frage zu stellen, die inzwischen von allen Anwesenden mit einer gewissen Spannung erwartet wurde:  „Wo ist Mavric?“

 

Tyrell starrte entschlossen in die getönten Sichtschirme, die die Augen seines Gegenübers verhüllten, und sagte in einem vollkommen neutralen Tonfall, den er ebenso sorgfältig einstudiert hatte wie seine Antwort: „Captain Mavric bedauert unendlich, Sie nicht persönlich empfangen zu können, Mylord, aber er ist leider indisponiert.“

 

„Was heißt hier indisponiert?“

 

Vor Tyrells geistigem Auge stieg unwillkürlich das malerische Bild seines Captains  auf, der nur mit einer zerknautschten Uniformhose bekleidet und schnarchend wie ein narkotisierter Gundark quer über seinem Bett lag, den linken Arm in einem zärtlichen Würgegriff um sein Kopfkissen geschlungen und mit der auf den Boden herunter- hängenden rechten Hand immer noch den Hals einer fast leeren Brandyflasche umklammernd. Die Besuche, die Lord Vader in letzter Zeit der Endor–Basis Abend für Abend abstattete – und das ohne einen halbwegs vernünftigen Grund, den  ein  Offizier  mit halbwegs  gesundem Menschenverstand noch irgendwie hätte nachvollziehen können! –, hatten Mavrics ohnehin schon leicht zerschlissenes Nervenkostüm offensichtlich weit mehr strapaziert, als er in nüchternem Zustand zu ertragen bereit war.

 

„Das Lassidara-Fieber, Mylord.“

 

Und mit dieser kleinen Notlüge war er nicht einmal allzu weit von der Wahrheit entfernt, rechtfertigte sich Tyrell vor dem ersten siedendheißen Funken eines aufflackernden schlechten  Gewissens, denn der Zustand, in dem sich der Captain morgen früh befinden würde, sobald er seine verquollenen Augen aufschlug und sich aus seinem selbst verordneten Koma in die raue Wirklichkeit eines gigantischen Katers zurücktastete, wies zweifellos eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den Symptomen der neuesten Grippewelle auf.

 

„Und er ist nicht der einzige, Sir. Letzte Woche hatten wir allein im Mannschafts- stand  vierzehn Ausfälle  und jetzt liegt die halbe Techniker-Crew flach. Doktor Senyo meint, das Virus verändert sich so schnell, dass es hoffnungslos ist, überhaupt an eine Impfung zu denken. Da hilft nur noch eine Ladung Immunblocker und Quarantäne ... mindestens drei Tage lang“, fügte er enthusiastisch hinzu, um den kleinen Schwindel, den er gerade inszenierte, effektvoll abzurunden.

 

Außerdem hielt er es in Anbetracht der Umstände für weise, Mavric auch gleich für die nächsten achtundvierzig Stunden zu entschuldigen, sozusagen prophylaktisch – wer konnte schließlich  wissen, was der Captain morgen anstellen würde, um dem nächsten nervenzermürbenden Rendezvous mit dem Chef aus dem Weg zu gehen?

 

Was nun den Chef anging, so ließ er sich mit seiner Antwort ziemlich viel Zeit. Tatsächlich schwieg er so lange, dass Draffco, der sich unauffällig im Hintergrund gehalten und  sich mit dem Gedanken an seine makellose Personalakte getröstet hatte, vor Nervosität zu zappeln begann – Tyrell konnte es nicht nur aus den Augenwinkeln sehen, er konnte es fühlen. Und er konnte es verstehen. Lord Vaders Art einfach so dazustehen und auszusehen wie die aus Obsidian gemeißelte Statue eines antiken Rachegottes, stumm, regungslos und in ominöses Schweigen gehüllt, war schon ein wenig ... nun ja ... beunruhigend. Man fragte sich unwillkürlich, was in dem Kopf unter diesem schwarzen Helm vor sich ging. Man fragte sich, ob die Gerüchte,  die über Vader im Umlauf waren, wirklich nur das Produkt klatschsüchtiger Flottenoffiziere mit einer überreizten Phantasie und zuviel Freizeit waren  oder ob  sie  nicht  doch wenigstens ein Körnchen Wahrheit enthielten. (Besonders  dieses eine Gerücht, das behauptete, dass Seine Lordschaft regelrecht Gedanken lesen konnte und auf Ausreden, Flunkereien und andere Versuche, ihn an der Nase herumzuführen, je nach Laune und Tagesform bissig, cholerisch oder einfach dämonisch reagierte – letzteres übrigens auf ziemlich spektakuläre Weise.)

 

Man fragte sich auch, ob man in einem ebenso ehrenwerten wie leichtsinnigen Anfall von Selbstlosigkeit seinen guten Ruf ruiniert und eine blendende Karriere geopfert hatte  – und all das für einen Vorgesetzten, der sich zur falschen Zeit und am falschen Ort in den bernsteinfarbenen Tiefen einer Brandyflasche ertränkte und soviel Seelengröße eigentlich gar nicht verdiente.

 

Und wenn man schon so weit war, dann fragte man sich irgendwann auch, ob man möglicherweise noch viel mehr geopfert hatte als nur eine Karriere, deren Verlust man immerhin überlebt hätte. Und spätestens in diesem Augenblick fühlte man ganz deutlich, wie sich sämtliche Verdauungsorgane zu einer Sammlung von kalten harten Kugeln zusammenballten, während Hautporen,  deren Existenz man nicht einmal geahnt hatte, einen Schweißausbruch von ebenfalls ungeahnten Ausmaßen produzierten.

 

Ja, es war genau diese Wirkung, die Lord Vader für gewöhnlich auf Leute hatte ... und es war genau dieser Augenblick, in dem er ausdruckslos sagte: „Das hört sich ja nach einer richtigen Epidemie an. Ich hoffe, Doktor Senyo hat die Situation im Griff.“

 

Tyrell versuchte krampfhaft, nicht allzu überrascht auszusehen, was ihm nicht leicht fiel,  weil Draffco, der direkt hinter ihm stand, ausgerechnet jetzt seiner Anspannung Luft machen musste und einen Laut von sich gab, der sich anhörte wie das letzte Stöhnen einer verdammten Seele.

 

„Äh ... ja, Mylord“, sagte er und unterdrückte nur mühsam den lebhaften Impuls, sich auf dem Absatz umzudrehen und das unerwünschte Ablenkungsmanöver seines jungen Kollegen mit einem tödlichen Blick zu vergelten.

 

„Dann richten Sie Mavric aus, dass ich ihm gute Besserung wünsche ...“

 

Bildete Tyrell sich das nur ein oder schwang tatsächlich ein leiser Unterton von Ironie in Vaders Stimme mit?  Er weiß es - oder vielleicht doch nicht?

 

„Äh ... ja, Mylord“, stammelte er und dachte gleichzeitig in einer Mischung aus Verzweiflung und Galgenhumor: Gute Antwort, Mann. Wirklich clever, vor allem in der Wiederholung! Noch so ein Geistesblitz von dir und er wird dafür sorgen, dass der Schwierigkeitsgrad der Offiziersanwärter-Eignungstests verdoppelt wird. Oder gleich verdreifacht.

 

„... und dass ich auch hoffe, dass er in Zukunft sich im Griff hat!“ fuhr die Stentorstimme mit erbarmungslosem Sarkasmus fort − und jetzt gab es keinen Zweifel mehr, nicht den allerkleinsten.

 

Er weiß es! ER WEIß ES! Die furchtbare Erkenntnis jagte einen Adrenalinstoß durch Tyrells Körper, der in Energie umgewandelt stark genug gewesen wäre, einen Turbolaser abzufeuern. Oh nein!  Was soll ich nur machen, was soll ich nur sagen?

 

„Äh... ja, Mylord.“ OH NEIN! Er muss mich für einen kompletten Idioten halten!

 

„Wie ich sehe, verstehen wir uns, Commander“, schnurrte Vader, jetzt ganz Samtpfotenstimme, die Krallen unter dem Samt gerade noch spürbar.  

 

Und er weiß, dass ich weiß, dass er weiß, dass ich ... Tyrell verlor den Faden, als seine Logik von blinder Panik umzingelt und überwältigt wurde.

 

„Ja, Mylord“, sagte er matt. Er schloss schicksalsergeben die Augen und machte sich auf das Schlimmste gefasst.

 

„Gut. Haben Sie mir sonst noch etwas mitzuteilen?“ 

 

Tyrell machte die Augen behutsam wieder auf und starrte zu seiner Nemesis hinauf, die ihn fast um Haupteslänge überragte. Was zum Henker will er jetzt noch von mir hören? Die berühmten letzten Worte?!

 

Aus der schwarzen Durastahlmaske drang ein neuer akustisch verzerrter Seufzer, der jetzt eher resigniert als ungeduldig klang.

 

 

„Irgendwelche besonderen Vorkommnisse, Commander?“ fragte Vader sehr langsam und jede einzelne Silbe überdeutlich betonend, als müsste er einem Taubstummen die Gelegenheit geben, ihm die Worte von den Lippen abzulesen.

 

Es dauerte eine schier endlose Sekunde lang, bis Tyrell, der weder seinen Ohren noch seinem Glück über den Weg  traute, begriff, dass die Vergeltung für seinen Fehltritt an ihm vorbeigezogen war wie eine Gewitterfront, donnergrollend, aber harmlos. Der Chef ließ in einem unerwarteten Anfall von Milde  oder aus einer Laune heraus Gnade vor Recht ergehen und ging wieder zur Tagesordnung über – einfach so! Tyrell war abwechselnd verblüfft, erleichtert, dankbar, beschämt und ein ganz klein wenig verwirrt. Doch sein Verstand flog jetzt unter Autopilot und das nächste aus einer intellektuellen Fehlzündung geborene „Äh ... ja, Mylord!“ kam ganz mechanisch und so unaufhaltsam wie ein Absturz.

 

Irgendwo mitten in der präzisen weiß gepanzerten Doppelreihe der Sturmtruppen verlor irgendjemand die viel gerühmte Selbstbeherrschung des imperialen Elitesoldaten und wurde zum Schandfleck seiner Einheit, weil er sich zu einem halberstickten Kichern hinreißen ließ, was eine unerhörte und unverzeihliche Respektlosigkeit darstellte. (Ein Vorgesetzter wurde nicht ausgelacht,  niemals und unter gar keinen Umständen – auch wenn er sich noch so lächerlich aufführte.)

 

Natürlich wurde dieser unqualifizierte Heiterkeitsausbruch sofort durch den rabiaten Ellbogeneinsatz der etwas weniger humorvollen  Nachbarn des Spaßvogels ganz und gar erstickt, aber es entstand doch eine gewisse Unruhe im Hintergrund, die sich jäh wieder legte, als Vader den Kopf wandte und die Abteilung einer neuen und diesmal etwas gründlicheren Musterung unterzog. (Ein Blick von Lord Vader reichte auch in den kritischsten Situationen aus, um die schwankende Moral der Truppe im Handumdrehen in eherne Disziplin zurückzuverwandeln.) Das empörte Schnauben, das gleich darauf aus Draffcos Richtung kam, besiegelte die Wiederherstellung der Ordnung nur noch.

 

Den Soldaten wurde plötzlich klar, dass sie gute Aussichten hatten, am nächstbesten Regentag auf einen gemütlichen kleinen Dreißig-Meilen-Marathonlauf über schlammige, gestrüppumwucherte Trampelpfade geschickt zu werden,  ein netter kleiner Ausflug, bei dem sich jeder einzelne von ihnen so lange und so gründlich amüsieren würde, bis ihm unter dem  kräftezehrenden Gewicht von vierzig Pfund Marschgepäck das Lachen und andere Anwandlungen von schlechtem Benehmen endgültig vergangen war.  Und das alles hatten sie nur diesem Witzbold zu verdanken, der nicht einmal genug Grips oder Selbsterhaltungstrieb hatte, sich in der Gegenwart von Vorgesetzten ein bisschen am Riemen zu reißen!

 

Dreiundzwanzig aufgebrachte Sturmtruppensoldaten schworen sich, der unglückseligen Nummer  Vierundzwanzig  noch heute Nacht einen handfesten Denkzettel zu verpassen – vielleicht auch gleich mehrere Denkzettel auf einmal. (Wie viele seiner Offizierskollegen hielt Draffco große Stücke auf das Prinzip der Kollektivstrafe – immer  vorausgesetzt,  dass  er nicht selbst  davon  betroffen  war! –, weil sie  ihm nicht nur das mühselige Herauspicken des einsamen schwarzen Schafes in seiner fügsamen Herde ersparte, sondern auch noch sicherstellte, dass besagtes Schaf gleich doppelt und dreifach bestraft wurde, was den Abschreckungseffekt für künftige Missetaten um eine Zehnerpotenz erhöhte. Und wie man an diesem einen Beispiel unschwer erkennen kann,  trafen Draffco und Konsorten mit ihrer Theorie ziemlich genau ins Schwarze.)

 

Auch Tyrell hatte sich inzwischen an die ihm eingebläute Haltung in jeder Lebenslage erinnert – Nimm dich endlich zusammen, Mann! – und seine Wirbelsäule wieder in die schneidige Pose gezwungen, die von den meisten Imperialen mit dem sprichwörtlichen „Rückgrat haben“ verwechselt wurde. Und als er so dastand,  aufrecht wie eine Lanze und scheinbar unberührt von den Heimsuchungen des Schicksals im allgemeinen und der Heimsuchung durch Darth Vader im besonderen, fühlte er sich gleich so viel besser, dass er sogar schon wieder dazu in der Lage war,  die gewünschte Meldung mit der ihm ebenfalls eingebläuten Zackigkeit  herunterzuschnarren. (Was übrigens in den Augen seiner Untergebenen vollkommen ausreichte, um sein Gesicht zu wahren und seine leicht angeknackste Autorität umgehend wiederherzustellen.)

 

„Wir haben offenbar acht Scouts in Sektor 65 verloren, Mylord. Sie haben sich Punkt 14.00 Uhr zum letzten Mal bei ihrem Einsatzleiter gemeldet. Seither ist der Funkkontakt zu ihnen abgebrochen. Soll ich noch einen Suchtrupp formieren, Mylord, oder soll ich die Einheit abkommandieren, die in Sektor 73 nach der Tydirium und ihrer Besatzung sucht?“

 

Vader starrte auf die nachtdunklen Bäume jenseits der Landeplattform, die in den Himmel hinaufstrebten wie gigantische Marmorsäulen. Es war, als wollte Endor durch diese Demonstration seiner unbezähmbaren Lebenskraft die von ihrer trügerischen technologischen Überlegenheit besessenen Menschen herausfordern, die in der Illusion ihrer Unverwundbarkeit durch die undurchdringlichen Tiefen seiner urwüchsigen Wälder irrten wie Ameisen durch eine Kathedrale.

 

Es war nicht ganz klar, ob Seine Lordschaft nur über die durchaus realen Gefahren von Endors teilweise ziemlich aggressiver Flora und Fauna für die keineswegs unverwundbaren Scouts meditierte oder ob er gerade versuchte, Aufenthaltsort und Zustand der Vermissten herauszufinden, was, nebenbei erwähnt, für Tyrell schon deshalb hochinteressant gewesen wäre, weil es an diesem Abend noch mehr unerwünschte Gäste auf Endor gab, nämlich Rebellen (bis an die Zähne bewaffnet und zu allen möglichen Schurkenstreichen bereit!), die sich nach einer illegalen Landung mit der Raumfähre Tydirium (gestohlen!) genauso in Luft aufgelöst hatten wie die bedauernswerten Scouts, bei deren Verschwinden sie höchstwahrscheinlich (natürlich!) die Hand im Spiel hatten.

 

So wie die Dinge lagen, hätte es Tyrell jedenfalls nicht einmal mehr gewundert, wenn sich seine verschollenen Männer direkt vor seiner Nase aus dem Nichts heraus materialisiert hätten, lebend oder tot oder in einem Stadium irgendwo dazwischen, plus eine Hand voll gefangener Möchtegern-Terroristen, einzeln und mit Handschellen gefesselt oder gruppenweise mit Schlingpflanzen umwickelt – es gab momentan wirklich nicht viel, was er Vader nicht zugetraut hätte.

 

Doch vielleicht hatten letzten Endes sogar die geradezu magischen Fähigkeiten des Siths ihre Grenzen oder Vader hatte andere Gründe (strategische Gründe?) nicht in Aktion zu treten und die Aktionen seiner Truppen auf ein Mindestmaß zu beschränken.

 

 

 Jedenfalls war alles, was er auf Tyrells Vorschlag hin zu sagen hatte, ein gleichgültiges: „Ich denke, wir können auf einen weiteren Suchtrupp verzichten, Commander. Aber gehen Sie zu Alarmstufe Rot über und machen Sie Ihren Leuten klar, dass sie Augen und Ohren offen halten sollen.“

 

Und damit drehte er sich abrupt um und ging mit der langbeinigen Zielstrebigkeit, die so typisch für ihn war, auf den zylinderförmigen Lift am Rand der Plattform zu. Tyrell war sich nicht ganz sicher, ob seine Begleitung überhaupt erwünscht war, aber da es  schrecklich unhöflich gewesen wäre, einfach stehen zu bleiben wie angewurzelt, folgte er Vader, wobei er alle Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben, ohne in einen würdelosen Laufschritt auszubrechen. (Die Vermeidung von weiteren Demütigungen lag Tyrell verständlicherweise sehr am Herzen – er hatte sich für einen Tag genug blamiert.)

 

Doch Draffco schienen derart triviale  Peinlichkeiten keine Kopfschmerzen zu bereiten -  nachdem er den zurückbleibenden Sturmtruppensoldaten ein stressheiseres „Wegtreten!“ zugebellt hatte,  stob er hinter ihnen her wie ein übereifriger Welpe, der beim Gassigehen zum ersten Mal von der Leine gelassen worden war und beim Herumschnuppern an Straßenlaternen und ähnlich verheißungsvollen Geruchsquellen sein Herrchen aus den Augen verloren hatte. Als er als Letzter in den Aufzug hineinstürzte, wobei er seinen schwer geprüften Kollegen beinahe über den Haufen rannte,  war er so außer Atem, dass er buchstäblich hechelte – es war schwer zu sagen, ob vor Anstrengung oder vor Aufregung.

 

Tyrell rechnete jeden Augenblick damit, ihn jaulend und schwanzwedelnd auf allen Vieren um Lord Vaders Stiefel herumscharwenzeln zu sehen. (Und wer weiß, wäre Draffco rein anatomisch gesehen zum Schwanzwedeln oder ähnlich drastischen  Beweisen seiner Unterwürfigkeit in der Lage gewesen, dann hätte er es vielleicht sogar getan.)

 

Die transparenten Plastahltüren schlossen sich lautlos und durch den Lift ging ein sanfter Ruck, bevor er in die Tiefe sackte. Als er nach wenigen Sekunden die Erdgeschossebene erreicht hatte, öffnete sich die Kabine in der milden Brise des Sommerabends wie die Knospe einer nachtblühenden Blume. Vader glitt mit einer Schnelligkeit und Geschmeidigkeit hinaus, die niemand seinem athletischen Körperbau und seinem normalerweise praktizierten forschen Marschschritt zugetraut hätte.

 

Als Tyrell und Draffco ins Freie kamen, hatte er die glatte hellgraue Permabetondecke, die den sorgfältig planierten Waldboden unterhalb der haushohen Landeplattform mit vorschriftsmäßiger Leblosigkeit überzog,  bereits hinter sich gelassen. Er tigerte mit der Stahlfedermuskel-Anmut einer großen Raubkatze durch das üppig wuchernde taufeuchte Gras jenseits der sterilen Fläche ... und plötzlich war trotz der waffenstarrenden AT-ATs, die in dem grellen Scheinwerferlicht gigantische Schlagschatten über das ganze Areal warfen, trotz der tristen Kasernen, Lagerschuppen,  Treibstofftanks, Energiegeneratoren und all der anderen aufdringlichen Zeugnisse der imperialen Version von Zivilisation die Wildnis sehr, sehr nahe.

 

 

Der warme Wind spielte mit dem langen schwarzen Umhang, der so unvermeidlich zu den Attributen des Sith-Lords gehörte wie seine Maske, ließ ihn hierhin und dahin flattern, bis Vader ihn mit einem lässigen Schulterschwung zurückwarf und sich bückte, um einen undefinierbaren Gegenstand aufzuheben (einen Stein?), den er gedankenverloren betrachtete. Er schien seine Begleiter vollkommen vergessen zu haben. Tyrell räusperte sich, aber sein diskreter Versuch Aufmerksamkeit zu erregen, wurde ignoriert. Er räusperte sich noch einmal, ein wenig lauter jetzt – keine Reaktion.

 

Er öffnete gerade den Mund, um einen weiteren Vorschlag loszuwerden, einen obligatorischen Vorschlag,  der der Form halber gemacht werden musste, obwohl er erfahrungsgemäß auf wenig Begeisterung stieß, als Vader, ohne ihn auch nur anzusehen, mit Nachdruck sagte: „Nein, ich werde keine Leibwache mitnehmen. Wir müssen auch nicht immer und ewig das gleiche Abschiedsritual abspulen, Commander.“

 

„Ja, Mylord“, sagte Tyrell ergeben. (Er hatte es immerhin versucht, nicht wahr?)

 

Und Vader, der kein Freund von gesellschaftlichen Konventionen war und grundsätzlich weder seine Zeit noch seinen Atem an Smalltalk oder ähnlich überflüssige Wortwechsel verschwendete, schlenderte auf und davon – einfach so! Die beiden Offiziere starrten ihm nach, bis er den Waldsaum erreicht hatte und von der duftgeschwängerten Dunkelheit aufgesogen wurde, die aus einem Hain von Flydarsträuchern  zu ihnen herüberwehte.

 

„Was zum Henker treibt er bloß jeden Abend hier unten?“ murmelte Tyrell vor sich hin.

 

Seine Frage war eigentlich rein rhetorisch gemeint, aber Draffco, der sich im Zeitlupentempo von seiner unheimlichen Begegnung mit der Sith-Art erholte, fühlte sich trotzdem angesprochen.

 

„Vielleicht ... vielleicht geht er ja einfach nur spazieren ... sein Abendessen verdauen und ein bisschen frische Luft schnappen,  bis sein Bettzipfel winkt und er sich in seine Koje haut“, überlegte er in dem Versuch, eine harmlose menschliche Erklärung für das Unerklärliche zu finden.

 

Tyrell zog eine Augenbraue hoch und sah seinen Kollegen mitleidig an, gerührt von soviel jugendlicher Naivität – oder wenigstens  beinahe gerührt.  Allein die Vorstellung, dass der zweitmächtigste Mann der Galaxis in dem dschungelartigen Dickicht von Endors Wäldern  umherwanderte,  als  ob  er  durch  den Stadtpark von Imperial City flanierte, war absurd. Frische Luft schnappen, bis sein Bettzipfel winkt – also wirklich! Tyrell schüttelte den Kopf.

 

„Ein Mann wie Lord Vader geht nicht einfach nur spazieren“, sagte er entschieden.

 

„Na und wenn schon. Kann uns doch egal sein, was er treibt. Hauptsache, ihm passiert dabei nichts. Ich meine, was ist, wenn  er von einem Thark angefallen wird oder von einer Moosviper gebissen wird ...  oder  in einer Ewok-Falle landet ... oder in einem Sumpfloch ... oder bei den Rebellen?

 

 

Draffco schwieg eine Weile, überwältigt von all den schrecklichen Möglichkeiten, die seine sonst nicht gerade lebhafte Phantasie in Sekundenschnelle ausgebrütet hatte, und schon im Voraus niedergeschmettert von der allgemeinen Ungerechtigkeit des Lebens. (Schließlich war es nicht ihre Schuld, wenn Lord Vader darauf bestand, mutterseelenallein durch die Gegend zu laufen ... Was den Imperator natürlich nicht davon abhalten würde, ihnen eigenhändig das Fell über die Ohren zu ziehen, sollte seiner kostbaren rechten Hand auch nur ein Haar gekrümmt werden ... Hatte Vader überhaupt Haare?) 

 

Draffco stieß einen tiefen Seufzer aus. „Wenn das rauskommt, sind wir dran!“ sagte er melancholisch.

 

Womit wir wieder  beim Thema wären, dachte Tyrell sardonisch. „Ich glaube, darüber müssen wir uns keine Sorgen machen.  Das Gefährlichste, was heute Nacht durch’s Gebüsch kriecht, ist garantiert Lord Vader selber“, erwiderte er trocken.

 

Und damit war die Angelegenheit erledigt. Die beiden Offiziere machten sich wieder an die Arbeit; schließlich war die Endor-Basis jetzt auf Alarmstufe Rot und sie hatten neben ihren eigenen Pflichten auch noch die Aufgaben zu erfüllen, für die normalerweise Captain Mavric zuständig gewesen wäre.

 

Keiner von ihnen verfiel auf die Idee, Vaders Wunsch nach Einsamkeit zu missachten und ihm heimlich zu folgen und das war auch gut so.  Denn wären sie ihm gefolgt, hätten sie eine sensationelle Entdeckung gemacht und damit ein Geheimnis gelüftet, über das sich nicht nur die imperialen Truppen, sondern die Völker ganzer Welten seit zwei Jahrzehnten den Kopf zerbrachen. Und sie hätten dafür mit ihrem Leben bezahlt ...

 

 

*

 

Der zweitmächtigste Mann der Galaxis rannte leichtfüßig wie eine Boryx-Antilope über weiche federnde Moospolster, die seine Schritte fast lautlos machten. Es war inzwischen stockdunkel, aber Darth Vader, Lord der Sith, musste sich nicht auf fast nachtblinde Augen verlassen, um zu sehen, was er sehen wollte. Die Macht glich die Unzulänglichkeiten des menschlichen Sehvermögens aus und schärfte es zur Perfektion, sensibilisierte alle Sinne, bis sie einen Grad der Wahrnehmungsfähigkeit erreichten, der für jeden anderen Sterblichen unvorstellbar war.

 

Für Vaders Nase hatte die Duftwolke, die von der feuchten humusreichen Erde und unzähligen Pflanzen ausging, eine fast betäubende Intensität − aber nicht so betäubend, dass er nicht die schwachen, beißend-scharfen Ausdünstungen des großen Tharks bemerkt hätte,  der fünfzig Meter vor ihm auf Beute lauerte, ein schlanker silbergrauer Schatten in dem dunkleren Schatten einer dichten Blaudornhecke. Sein Ohr erfasste nicht nur das heisere Knurren des großen wolfsähnlichen Raubtieres, das jetzt seine Witterung aufgenommen hatte und über den fremdartigen Geruch dieser plötzlich in seinem Revier aufgetauchten neuen Spezies beunruhigt war, sondern auch das kaum noch wahrnehmbare Zirpen der Grasschwicken, die gerade ihre eintönige Serenade anstimmten.

 

Vader rannte zwischen den gewaltigen Stämmen von Endors Mammutbäumen dahin und sah und fühlte mit der Macht und in der Macht  alles, was um ihn herum lebte und atmete: Die winzige Maus, die mit panikgeweiteten Perlaugen und wild klopfendem Herzen direkt vor seinen nackten Füßen in die Sicherheit ihres Schlupflochs huschte ... den schuppengepanzerten Ffreen, der auf der Suche nach schmackhaften Borkwanzen mit seiner langen spitzen Zunge  in einem Astloch herumstöberte ... den  prächtig gefiederten Lithiann, der eine paarungswillige Gefährtin mit flügelschlagenden Balztänzen umwarb ... die zierliche Saboohirschkuh, die argwöhnisch zu dem unbekannten Eindringling hinüberäugte, bevor sie ihr verspieltes Kitz säugte ... die von vielfältigen Biorhythmen durchpulste Präsenz von tausend anderen großen und kleinen Geschöpfen. Er rannte einen unsichtbaren Pfad entlang, auf dem nie zuvor ein Mensch gegangen war, und alles, was er sah, hörte, roch und fühlte, faszinierte ihn, erregte ihn. Die vor Leben vibrierenden Wälder dieses Mondes erfüllten ihn, der viel zuviel Zeit in den durch und durch künstlichen Welten von Raumschiffen und imperialen Metropolen verbrachte,  mit einem Rausch von stimulierenden neuen Eindrücken und durchfluteten ihn mit einer an Euphorie grenzenden Vitalität.

 

Er schlug einen Salto über einen morastigen kleinen Tümpel hinweg und landete beinahe in einer raffiniert getarnten Springnetzfalle – eine Demütigung, der er sich nur in allerletzter Sekunde entziehen konnte, indem er seinen Schwung nutzte, um sich seitwärts abrollen zu lassen. Einen Augenblick später fiel Vader, der sich mit der Anmut einer Raubkatze bewegen konnte,  Hals über Kopf und alles andere als anmutig in ein Nest aus vorjährigem Herbstlaub. Er wurde auf dem leicht abschüssigen Grund zweimal unsanft um die eigene Achse gewirbelt und kam schließlich mit dem Gesicht nach unten zu liegen. Er spuckte einen Mund voll Blätter aus und fluchte laut und herzhaft. Er verwünschte seine Unaufmerksamkeit in den farbenfrohen Metaphern von drei verschiedenen Sprachen und beschimpfte das listige kleine Jägervolk, das für den Aufbau dieser hinterhältigen Falle verantwortlich war, mit einem erstaunlich reichhaltigen Repertoire an phantasievollen Kraftausdrücken. Doch als er seinen ersten Zorn abreagiert hatte, wurde ihm plötzlich die unwiderstehliche Komik der ganzen Situation bewusst und er musste gegen seinen Willen lachen. Er drehte sich auf den Rücken und entschied spontan, für ein paar Minuten einfach zu bleiben, wo er war.

 

Bequem ausgestreckt, die Hände im Nacken verschränkt, lag er da und starrte in den winzigen Ausschnitt von Endors Nachthimmel hinauf, der von dem ausladenden Geäst der Baumriesen eingefasst wurde wie ein abstraktes dreidimensionales Gemälde von einem archaischen holzgeschnitzten Rahmen. An einem massiven Ast hoch über ihm schaukelte das aus Lianen geflochtene Netz der  Ewokfalle sanft hin und her. Zwischen seinen groben Maschen konnte Vader ein paar vereinzelte Sterne aufblitzen sehen – es war, als hätten sich die Sterne in dem Netz verfangen wie Glühwürmchen in einem Kescher. 

 

Besser die Sterne als ich, dachte Vader und lachte erneut, lachte aus purer Daseinsfreude. Denn alles in allem war das Leben ein großartiges und herrliches Ding. Und wer wusste das besser als er, der sein Leben (sein wahres Leben!) erst vor so kurzer Zeit zurückbekommen hatte wie ein wunderbares einzigartiges Geschenk, das ihm abhanden gekommen,  nein, das ihm gestohlen worden war?

 

 

Er atmete tief durch, genoss die milde klare Waldluft, die heute Abend ungefiltert in seine Lungen strömte, schmeckte ihre Frische, ihre Reinheit. Er fühlte jedes Sauerstoffmolekül, das seine Alveolen füllte und durch seine Venen zirkulierte. Er konnte Stunden damit verbringen, still dazusitzen (oder dazuliegen) und zu atmen, einfach nur zu atmen. Er schwelgte in dieser simplen Körperfunktion,  die für die meisten Kreaturen so selbstverständlich war, dass sie niemals auch nur einen Gedanken daran verschwendeten. Doch für ihn war sie das Symbol einer neu gewonnenen Freiheit, eine Freiheit, die für immer und ewig verloren zu sein schien in all den langen dunklen Jahren, in denen er in einem wandelnden Gefängnis aus tragbaren Lebenserhaltungssystemen eingekerkert gewesen war ...

 

Sein Gesicht verdüsterte sich zugleich mit seiner Stimmung, als seine Gedanken in die Vergangenheit zurückwanderten.

 

Wenn ihn damals nach diesem verhängnisvollen Duell, das mit einem Streit begonnen und mit einer Tragödie geendet hatte, irgendetwas am Leben gehalten hatte, dann war es sein Hass auf Obi-Wan Kenobi. Am Anfang war es ein flammender mörderischer Hass gewesen, rot glühend und zähflüssig wie die Lava, aus der er geboren worden war,  jederzeit dazu bereit, das ganze Universum mit einem Fegefeuer aus ohnmächtiger Wut zu versengen und in einem Schmelztiegel aus Rachsucht zu verzehren. Später ein kalter zielstrebiger Hass, tödlich wie eine Dolchklinge aus vergiftetem Eis, eine Waffe, die mit erbarmungslosem Pragmatismus gegen die Jedis und gegen alle anderen geführt worden war, die sich Vader und seinem neuen Mentor und ihrem gemeinsamen Traum in den Weg gestellt hatten.

 

Aber nur blanker Hass hatte ihn die Katastrophe überleben lassen. Erst danach  hatte seine eiserne Willenskraft das Kommando übernommen, die ihn niemals aufgeben ließ, die ihn alles durchstehen ließ: Die endlosen Schmerzen, die unzähligen Operationen, Transplantationen und Implantationen, die winzigen Fortschritte, die niederschmetternden Rückschläge, das ewige Schwanken zwischen wilder Hoffnung und abgrundtiefer Verzweiflung, die Jahre, die ihm wie Sand zwischen den Fingern zerrannen ... all die vergeudeten Jahre ...

 

Es hatte Zeiten in Vaders Leben gegeben, in denen er sich für Obi-Wan, der ihm all das angetan hatte, einen sehr viel grausameren Tod erträumt hatte als einen einzigen gut gezielten Lichtschwerthieb.

 

Aber die unermüdlichste und unerbittlichste Triebfeder von allen war natürlich er gewesen: Palpatine, der die Zügel niemals schleifen ließ, der seinen schwer angeschlagenen Champion ununterbrochen anspornte und ihn nach dem Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip über alle  Hindernisse jagte wie ein erschöpftes Turnierpferd über einen unendlichen Parcours. Der Ex-Kanzler der Ex-Republik, der lockte und drohte, schmeichelte und tobte, je nachdem, was Zustand und Stimmung seines wertvollsten Komplizen gerade erforderte. Der frischgebackene Imperator, der seinen waidwunden Kriegsherrn mit rastloser Energie von einer teuren Spezialklinik in die andere scheuchte, der Millionen von Credits ausgab, um zivile und militärische Forschungszentren für Bionik und Gentechnologie praktisch über Nacht aus dem Boden stampfen und mit ganzen Heerscharen von brillanten Ärzten und Wissenschaftlern bevölkern zu lassen.

 

Der Meister der dunklen Seite der Macht, der allen Naturgesetzen trotzte und Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um seinen verkrüppelten Sith-Lord buchstäblich wieder auf die Beine zu bringen.

 

Und auf den Beinen war Vader jetzt wieder und weit mehr als nur das: Er war ein Triumph der modernen Medizin und ein wahres Wunder an plastischer Chirurgie − aber niemand außer ihm und Palpatine und einer handverlesenen kleinen Gruppe von Menschen aus seinem ganz persönlichen Umfeld wusste es. Für die Augen der Welt war Vader immer noch der Ehrfurcht gebietende oder vielleicht auch nur Furcht gebietende gesichtslose  Riese in Schwarz. Und genau das würde er  auch ewig bleiben, wenn es nach dem  Willen des Imperators ging. Es war Palpatines Idee gewesen, dass Vader der Maske, die ihn zu einer perfekten Galionsfigur für das Imperium gemacht hatte,  die Treue halten sollte.

 

„Ihr seid die Inkarnation der dunklen Seite, mein Freund, ein lebendes Symbol ihrer Macht und unserer Stärke“, hatte er gesagt. „Bedenkt doch nur die Wirkung, die Euer Erscheinungsbild auf unsere glücklichen zufriedenen Untertanen hat!“  (Was Palpatine damit  wirklich gemeint hatte, war die lähmende Angst, die Vaders bloßer Anblick bei seinen Untertanen auslöste – besonders bei denen, die  nicht ganz so glücklich und zufrieden waren.)

 

„Und was ist mit unseren  Truppen, mit unserer ruhmreichen  Armee, unserer glorreichen Flotte? Was ist mit all unseren tapferen Soldaten und Offizieren, die trotz ihrer unbestreitbaren Tapferkeit so dringend Eurer Führung bedürfen? Wisst Ihr eigentlich, wie viel  Inspiration Ihr diesem ganzen jungen Gesindel  gebt? Für Euch gehen sie in den Tod!“

 

Das taten all die tapferen Soldaten und Offiziere tatsächlich − aber nur, weil sie genau wussten, dass sie gar keine andere Wahl hatten. Vader gab sich niemals  Illusionen hin, schon gar nicht, wenn es um die wahre Natur des Heldentums der ruhmreichen imperialen Armee und der noch glorreicheren  imperialen Flotte  ging.

 

Doch Palpatine war in seinem Eifer sogar in die unwiderstehliche Überzeugungskraft zurückverfallen, die seinen ebenso steilen wie steinigen Weg  vom einfachen Senator eines drittklassigen Planeten bis zum Kaiser eines neu geschmiedeten Imperiums geebnet hatte. (Natürlich ganz abgesehen von all seinen anderen Talenten, die von Anfang an nur im Verborgenen geblüht hatten!)  Das geschah von Zeit zu Zeit noch, wenn ihn  irgendein Thema mitriss, aber es kam immer  seltener vor. Er hatte es schon lange nicht mehr nötig, mit Enthusiasmus zu überzeugen. Heutzutage beruhten seine Überredungskünste auf ganz anderen Tricks.

 

„Ihr seid eine Legende, mein Freund! Und Legenden legt man nicht einfach ab wie ein nutzlos gewordenes Kleidungsstück!“

 

Ist ja gut, ist ja gut, hatte Vader gereizt gedacht, denn er war inzwischen fast völlig immun gegen das früher so wirkungsvolle Gift von Palpatines fein geschliffener Rhetorik. Doch einem ausdrücklichen Wunsch des Imperators widersetzte sich niemand, nicht einmal ein gewisser Sith−Lord. Noch nicht ...

 

„Wie Ihr wünscht, mein Gebieter“, hatte er resigniert geantwortet.

 

Und damit war die Diskussion – falls man dabei überhaupt von einer Diskussion reden konnte – beendet gewesen. Allerdings nur für den Imperator. Denn Vader war mehr als nur unzufrieden mit der Lösung des Problems. Er hatte fast zwei Jahrzehnte  lang nur für den Tag gelebt … überlebt … an dem er aus seinem schwarzen Panzer ausbrechen würde wie ein neugeborener Kraytdrache aus seinem Ei. Und obwohl er zugeben musste, dass seine heimliche Wiedergeburt durchaus ihre Vorteile hatte – der Reiz  eines Doppellebens,  die schwindelerregende Möglichkeit, jederzeit überall hingehen zu können, unerkannt, inkognito −, fühlte er sich gleichzeitig auf subtile Weise um sein Recht auf eine halbwegs normale menschliche Existenz betrogen.

 

Doch wer auf dem Gipfel stehen wollte, musste Opfer bringen – auch wenn er im Stillen der Meinung sein mochte, dass er schon mehr als genug Opfer für dieses erhabene Ziel gebracht hatte. Aber das spielte jetzt ohnehin keine große Rolle mehr, denn es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sich alles ändern würde, alles, alles …

 

Bald! dachte Vader. Er klaubte die Moosviper,  die sich träge um sein linkes Handgelenk zu ringeln versuchte, von seinem Arm, warf sie in den raschelnden Laubhaufen neben sich und sprang auf, zu ruhelos, um seine seltene Freiheit länger genießen zu können, zu  ungeduldig, um  weiter seinen Erinnerungen nachzuhängen.

 

Warum verschwendete er seine Zeit damit, der Vergangenheit nachzutrauern, während sich die Zukunft schon vor ihm öffnete wie ein Tor, das den Blick auf tausend strahlende Möglichkeiten freigab? Das Universum drehte sich weiter, während er hier vor sich hinträumte, und nicht einmal sein Bedürfnis nach einem wenigstens kurzfristigen direkten Kontakt mit der ganzen prachtvollen Vielfalt des Lebens, die sich hier vor seinen  ausgehungerten Sinnen entfaltete, durfte ihn von dem einzig wirklich wichtigen Lebewesen ablenken, das sich ebenfalls hier und jetzt auf Endor aufhielt, so nahe schon, so verführerisch nahe …

 

„Mein Sohn“, sagte Vader laut. Er lauschte dem Klang der Worte nach. Nur zwei kleine Worte, aber für ihn bedeuteten sie die Welt.  Mein Sohn.

 

Er hatte Lukes Gegenwart sofort wahrgenommen, als die gestohlene Fähre aus dem Hyperraum gesprungen war.  Wie hätte er  auch diese unglaublich intensive Präsenz in der Macht übersehen können, die in einem Augenblick nur ein Lichtfunke in unvorstellbar weiter Entfernung war und  im nächsten explodierte wie eine Supernova?  Nein, er hatte seinen Sohn gefühlt und er wusste genau, dass Luke auch seine Anwesenheit gespürt hatte. Noch war das Band zwischen ihnen so lose geknüpft, dass Vader seine ganze Empathie brauchte, um auch nur den Schatten von Lukes Gefühlen zu erhaschen, aber er hatte es sehr wohl bemerkt, dieses winzige, sofort wieder erstickte Aufflackern von Panik, als  die Tydirium sich der Executor genähert hatte und seinem Sohn klar geworden war, dass dieser gigantische Sternzerstörer nicht irgendein x–beliebiges imperiales Kommandoschiff war, sondern das berühmt–berüchtigte Flaggschiff seines Vaters.

 

  

Und dann dieser flüchtige, mit fassungslosem Staunen angefüllte Moment, als die Executor nicht sofort das Feuer eröffnet oder  wenigstens einen Schwarm von schießwütigen TIE–Jägern aus ihren Hangars gejagt hatte, sondern stattdessen die längst nicht mehr erwartete Erlaubnis zum Weiterflug herüberfunkte. Vader hatte auf der Brücke der Executor gestanden und durch eine der großen Sichtluken der Tydirium nachgesehen, als sie  betont langsam den Schutzschild passierte und Kurs auf  Endor nahm –  ihr Pilot wollte es offensichtlich vermeiden, durch auffällige Hast in letzter Minute doch noch Verdacht zu erregen –, und  er hatte unter seiner Maske  gelächelt über die offene Verwirrung, die sein Junge jetzt ausstrahlte.

 

Warum lässt du uns gehen?  Warum lässt du mich gehen?

 

Eine gute Frage, eine berechtigte Frage. Denn tatsächlich schrie alles in Vader danach, seinen Sohn endlich einzufangen, um ihn bei sich zu haben, um eine Brücke über den Abgrund zu schlagen, der zwischen ihnen lag, um ihn auf seine Seite zu ziehen, um ihn in Sicherheit zu wissen, bevor etwas Unvorhersehbares geschah, ein Desaster, das sie unwiderruflich auseinander reißen und für immer trennen würde. 

 

Aber sogar Vader konnte Geduld zeigen, wenn es  unbedingt sein musste  – ungern, aber immerhin! –, und er hatte schließlich  schon auf Bespin gesehen, welche Folgen es haben konnte,  wenn er die Dinge zu sehr forcierte. Luke hatte eine beunruhigende Tendenz zu Kurzschlussreaktionen, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte, ein Risiko, das Vader nie wieder eingehen würde. Nein, dieses Mal musste sein Sohn den entscheidenden Schritt tun. Dieses Mal musste Luke zu ihm kommen.

 

Und der Junge würde kommen. Bald. Sehr bald. Und schon deshalb konnte sein Vater es sich nicht leisten, noch länger hier herumzutrödeln und vor sich hin zu sinnieren. Es war höchste Zeit, wieder zu Darth Vader zu werden, zum offiziellen Darth Vader, und  zur Endor–Basis zurückzukehren, um dort auf die unvermeidliche Begegnung zu warten.  

 

Keine zwanzig Minuten später schüttelte Vader mit unnötigem Kraftaufwand die letzten Kiefernnadeln aus seinem Mantel, den er zusammen mit dem ziemlich umfangreichen Rest  seiner Kluft in einem sorglos zusammengeknüllten Bündel einfach unter einem Baum am Rand einer Lichtung zurückgelassen hatte. Auch der dicke schulterlange Zopf,  den er sich inzwischen hatte wachsen lassen, wurde ziemlich energisch, aber trotzdem nur mit Mühe wieder unter dem Helm verstaut.

 

Ich sollte mir die verdammte Mähne abschneiden lassen. Kurze Haare sind viel praktischer unter diesem idiotischen Ding,  dachte er zum hundertsten Mal, aber er wusste bereits, dass er es nicht über sich bringen würde. Es hatte nichts mit Eitelkeit zu tun –  den Wunsch, auf andere Menschen in irgendeiner Form attraktiv oder gar sympathisch zu wirken, hatte er schon vor langer Zeit weit hinter sich zurückgelassen.  Aber es hatte alles  mit seinem heftigen Drang nach Individualität zu tun,  mit einem schmerzlich vermissten Selbstbestimmungsrecht, das er trotz der damit verbunden Unbequemlichkeiten  auskostete. Und letzten Endes spielte hier zweifellos auch eine Spur von  Trotz gegenüber Palpatine eine gewisse Rolle.

 

 

Als die verhasste Maske, die jetzt nur noch Camouflage war, mit einem lauten metallischen Klicken in ihre Halterungen an der Innenseite des Helms einrastete, dachte Vader mit bewusster Selbstironie: Und schon ist unser großer böser Sith–Lord wieder fertig für den Präsentierteller. Und jetzt schnell nach Hause, bevor irgendjemand die Nerven verliert und auf die Idee kommt, unseren viel geliebten Imperator aus seinem wohl verdienten Schlaf zu reißen ...

 

Doch der einzige entnervte Jemand, der ihm auf dem Rückweg zur Basis begegnete, war ein einsamer Scout, der sich in das Dickicht auf der anderen Seite der Lichtung zurückgezogen hatte, um sich im Schoß von Mutter Natur  ungestört zu erleichtern, und der folglich den Schock seines Lebens erlitt, als ausgerechnet Darth Vader ganz unvermutet neben ihm auftauchte und ihn buchstäblich mit heruntergelassenen Hosen erwischte.

 

Oh, mein Gott!“ keuchte der Mann entsetzt.

 

„Es reicht völlig aus, wenn Sie mich mit Mylord ansprechen, Soldat“, erwiderte Vader trocken und sorgte damit für eine Anekdote, die sich innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden wie ein Buschfeuer in der ganzen Flotte verbreiten sollte.

 

Gleich darauf stand er auf der kleinen Anhöhe, die sich wie ein natürlicher Ringwall um die Mulde zog, die die Endor–Basis barg.

 

Mit leicht gemischten Gefühlen sah Vader auf den kleinen und doch so wichtigen Außenposten hinunter, der in wenigen  Stunden im Zentrum der Ereignisse stehen würde. Rings um den Schutzschildgenerator und den Bunker herrschte die hektische Betriebsamkeit eines Bienenstocks, aber Vader wusste, dass sich schon bald eine trügerische Ruhe über den Stützpunkt senken würde.  Sobald die zusätzlichen Truppen, die  er auf Anweisung des Imperators schon vor Wochen zur Verteidigung der Endor–Basis abkommandiert hatte, in Stellung gegangen waren, würde sich da unten außer den standardmäßigen Wachtposten nichts mehr rühren. Wenn Lukes Rebellenfreunde anrückten, um den Schutzschildgenerator zu sprengen und so ihrer Flotte freie Bahn für einen Großangriff auf den neuen Todesstern zu verschaffen, was zweifellos ihr hirnrissiger Plan war, würden sie nur das sehen, was sie zu sehen erwarteten: Eine Menge gelangweilte Soldaten, die den vorderen Bunkereingang betont lässig bewachten, und als  Ausschmückung der Szenerie  noch eine Handvoll Techniker, die  den Auftrag hatten, von Zeit zu Zeit so zu tun, als würden sie gerade einen Transporter ausladen und ansonsten einfach nur in der Sonne zu faulenzen.

 

Und am Hintereingang des Bunkers, wo die Rebellen aller Wahrscheinlichkeit nach eher zuschlagen würden, würde sich ein noch harmloseres Bild bieten, eine friedliche Kulisse, die geradezu nach „Alltag in einer imperialen Garnison irgendwo im Nirgendwo“ schrie: Nur vier Sturmtruppensoldaten, die in der Gegend herumlungern, vollkommene Arglosigkeit heucheln und sich sogar von dem durchsichtigsten Ablenkungsmanöver bereitwillig ablenken lassen würden. Die bloße Vorstellung erfüllte Vader mit der künstlerischen Zufriedenheit eines Regisseurs, der im Begriff war, sein Drehbuch perfekt in Szene zu setzen. Alles würde vollkommen echt aussehen. Nichts und niemand würde die Rebellen warnen, sie darauf hinweisen, dass ihre Ankunft bereits erwartet wurde, dass eine ganze imperiale Legion unter Tarnnetzen und Sensordämpfungsfeldern auf der Lauer lag. Nichts und niemand hatte sie davor gewarnt, dass die ganze imperiale Flotte im Schlagschatten von Endor auf der Lauer lag, um auf die erste und letzte große Offensive der Streitkräfte der Allianz zu  warten.

 

Nicht einmal Luke hatte es gemerkt – zu beschäftigt mit  Familienangelegenheiten! Offenbar ließ sogar die Wachsamkeit eines brillanten Nachwuchs–Jedis zu wünschen übrig, wenn er plötzlich durch die beunruhigende Gegenwart seines Sith–Vaters  abgelenkt wurde.  Oh, natürlich würde Luke von nun an ein bisschen mehr auf der  Hut sein und ab und zu einen Blick über seine Schulter werfen. Aber im Endeffekt würde nicht einmal er ernsthaft mit einem Hinterhalt rechnen. Warum auch? Immerhin teilte er die an Dreistigkeit grenzende Tollkühnheit seiner Kameraden – sein kleines Abenteuer auf Bespin war das beste Beispiel dafür. Und was die Rebellen an sich anging …

 

Vader schüttelte langsam den Kopf. Eines musste man den Rebellen lassen: Sie hatten Courage.  Vader war der Erste, der das offen zugab. Er wusste Courage zu schätzen, sogar in seinen Gegnern – vor allem in seinen Gegnern. Aber diese sorglose Verwegenheit, die die Rebellen  kennzeichnete, diese unbekümmerte Hals–über–Kopf–Draufgängerpose, die sie alle immer wieder an den Tag legten, vom einfachsten Jägerpiloten bis hin zur Führungsriege der Allianz,  das wiederum irritierte ihn maßlos.

 

Er selbst war trotz seines Temperamentes ein kaltblütiger Taktiker, sobald es wirklich zur Sache ging - obwohl der Krieger in ihm gelegentlich versuchte, den erfahrenen  Strategen in ihm aus dem Weg zu schubsen und das Kommando an sich zu reißen. Aber im Grunde wusste Vader immer haargenau, was er tat  und wie weit er gehen konnte.

 

Doch die  Risikobereitschaft der Allianz schien keine  Grenzen zu kennen – und ihre Leichtgläubigkeit schon gar nicht. Der neue Todesstern, erst halb fertig, noch nicht einsatzbereit. Und als Sahnehäubchen obendrauf auch noch die persönliche Anwesenheit des Imperators. Diesem doppelten Köder hatten die Rebellen einfach nicht widerstehen können – genau wie Palpatine es vorausgesehen hatte. Vader konnte soviel Naivität  kaum fassen.  Glaubten die Rebellen  denn wirklich, dass das Imperium seine größten militärischen Geheimnisse einfach so durchsickern ließ? Glaubten sie denn allen Ernstes, dass der imperiale Geheimdienst schlief, dass niemand es mitbekommen hatte, dass die Allianz ihre Schiffe vor Sullust gesammelt und zu einem einzigen großen Kampfverband  zusammengezogen hatte?

 

Vielleicht war die ganze Courage der Rebellen letzten Endes doch nichts anderes als der  Mut der Verzweiflung. Sie wussten genau, dass sie am Ende waren, wenn der neue Todesstern jemals fertig gestellt wurde. Sie wussten, dass sie nur eine einzige Chance hatten: Alles auf eine Karte setzen, siegen oder untergehen. Was sie allerdings nicht wussten, war, dass das Spiel längst entschieden war. Die Rebellen hatten schon verloren, bevor sie überhaupt angefangen hatten.  Und doch … 

 

 und doch sollten wir  uns nicht  zu sicher sein, dachte Vader. In jedem Spiel steckt ein Joker.

 

Beim ersten Todesstern hatte sich dieser Joker in Form eines winzigen Kon- struktionsfehlers präsentiert – und in der Gestalt eines damals noch unbekannten jungen Piloten, der es geschafft hatte, einen einzelnen Protonentorpedo in einen ungeschützten Ventilationsschacht hineinzuschießen, ein höchst unwahrscheinlicher Volltreffer, der von den inzwischen leider verstorbenen Ingenieuren des Todessterns Nummer Eins für ebenso unmöglich gehalten worden war wie die verheerende Kettenreaktion, die er ausgelöst hatte. Die Unwägbarkeiten des Schicksals, dachte Vader und lächelte grimmig.

 

Und weil diese Unwägbarkeiten nicht einmal von einem Sith völlig zu beherrschen waren, hatte der Imperator vernünftigerweise beschlossen, entgegen der Gerüchte, die er selbst in Umlauf gesetzt hatte, dort zu bleiben, wo er Vaders Meinung nach auch hingehörte: Auf Coruscant.

 

„Denn ich denke nicht im Traum daran, einfach dazusitzen wie eine flügellahme Ente in ihrem Teich und darauf zu warten, dass Euer unmöglicher Sprössling oder irgendein anderer verschollener Jedi aus der Versenkung auftaucht, um mich zusammen mit meinem kleinen Spielzeug in die Luft zu jagen“, hatte Palpatine verkündet und Vader hatte ihm ausnahmsweise aus ganzem Herzen zugestimmt.

 

Und deshalb saß der Imperator jetzt immer noch in seinem Palast in Imperial City, obwohl er angeblich schon vor Tagen unter dem üblichen Pomp und Brimborium und mit dem üblichen Sammelsurium an dekadenten Hofschranzen seine jährliche Rundreise zu den imperialen  Kernwelten angetreten hatte, denn so lautete die offizielle Begründung für seinen Aufbruch. 

 

Und genau deshalb verfügte Vader jetzt über etwas, das er dringend brauchen würde, wenn sein Sohn zu ihm kam, etwas Kostbares, das ihm bei ihrer ersten, allzu flüchtigen Begegnung auf Bespin gefehlt hatte: Zeit. Zeit zum Reden, Zeit zum Überzeugen, Zeit, Luke zur Einsicht zu bringen, ihn für sich zu gewinnen, ihn zu bekehren, wie Palpatine es immer ausdrückte, wenn er seine salbungsvolle Phase hatte.  Palpatine, der  in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung tatsächlich immer noch davon überzeugt war,  dass sich alles nur nach seinem Willen, nach seinem Plan entwickelte.

 

Ah, sollte der Imperator doch weiter in dem Wahn leben, dass er der Einzige war, der Menschen wie Marionetten lenken konnte, dass er ewig  Schicksal spielen konnte! Denn egal, was Palpatine glaubte, egal, was auch immer er sich in seiner maßlosen Arroganz einbildete, dieses Mal würde es Vader sein, der an den  Fäden zog. Dieses Mal würde er das Schicksal packen, es mit beiden Händen festhalten und nie wieder loslassen …

 

In diesem Augenblick löste sich aus dem allgemeinen Gewimmel unten in der Senke eine schlaksige Gestalt, um  auf Vader zuzustürzen wie ein verlorener Planet auf ein Schwarzes Loch.  Als er näher kam, sah Vader, dass es der übereifrige Lieutenant war, der ihn zusammen mit Tyrell begrüßt hatte.

 

„Oh! Sie sind ja schon wieder zurück, Mylord“, keuchte er mit unübersehbarer Erleichterung.

 

 

 

Vader, nicht daran gewöhnt, dass sein Anblick bei irgendjemandem Erleichterung auslöste, hüllte sich in Schweigen. Der Lieutenant – war sein Name nicht Draffco oder so ähnlich? – begann von einem Fuß auf den anderen zu treten, als hätte sich der Boden unter seinen Stiefelsohlen plötzlich in glühendes Eisen verwandelt. Vader sah es mit Genugtuung.

 

„Commander Tyrell sagt, wir sind jetzt fast soweit. W…wünschen Sie noch einen ausführlichen Bericht, Sir,  oder f…fliegen Sie gleich wieder zurück?“ stotterte Draffco.

 

Es war zumindest vollkommen klar, was er sich in diesem Moment wünschte und das mit jeder Faser: Dass Seine Lordschaft sich wieder in seine Fähre setzte und verschwand. Und das am besten sofort.

 

„Was ich mir jetzt wünsche, ist ein freies Quartier, in das ich mich für ein paar Stunden  zurückziehen kann. Aber natürlich wäre ich auch mit Ihrem zufrieden,  falls Sie keine andere Unterbringungsmöglichkeit für mich finden, Lieutenant“, fügte Vader in einem Anfall von Bosheit hinzu.

 

Sein Erpressungsmanöver zeigte sofort Wirkung: Draffco brach angesichts der drohenden Invasion in seine Privatsphäre fast zusammen. „Aber Mylord“, protestierte er schwach.

 

Jaaa?“ schnurrte Vader.

 

„Sie können doch nicht einfach … Ich meine, das ist  doch viel zu gefährlich für … Ich meine … die Rebellen … Sie … wir … ich...“  Der Rest  versickerte in einem unverständlichen Gebrabbel.

 

Vader ließ eine spannungsgeladene Minute verstreichen, bevor er gelassen feststellte: „Damit wäre die Sache also geregelt.“

 

Und geregelt war sie in der Tat.

 

*

 

 

Han Solo fragte sich allmählich wirklich, ob er das Ende von 3PO’s Geschichtsstunde noch erleben würde. Sie saßen jetzt schon seit einer Ewigkeit in diesem engen stickigen kleinen Ewok–Baumhaus – na schön, vielleicht nicht gerade seit einer Ewigkeit, aber immerhin seit Stunden – und Han hatte langsam genug davon, auf einem winzigen dreibeinigen Schemel zu kauern,  der eigentlich für ein Lebewesen gedacht war, das nicht einmal halb so groß war wie er. Die Tatsache, dass dieser Schemel auf einem gefährlich dünnen Boden aus geflochtenem Astwerk stand, der auf keinen Fall dazu konstruiert worden war, neben einem ganzen Schwarm seiner zwergwüchsigen Erbauer auch noch das Gewicht von mehreren erwachsenen Mitgliedern der Spezies Mensch und einem zwei Zentner schweren Wookie zu tragen, trug auch nicht gerade dazu bei, eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen.  Han sah sich schon im freien Fall durch die riesigen Äste des Mammutbaumes segeln und eine Bruchlandung auf dem farnbewachsenen, aber trotzdem nicht besonders weichen Waldboden machen –  die zweite Bruchlandung des Tages,  um genau zu sein, denn eine hat er dank Chewies unersättlichem Wookiemagen und dem Fallenstellergeschick der Ewoks bereits hinter sich, was er jetzt noch in allen Knochen spürte.

 

Und dass die Ewoks ihn gleich darauf an Händen und Füßen gefesselt, an eine Tragestange gehängt und wie irgendein erlegtes Beutetier auf und davon geschleppt hatten, hatte seinen Zustand auch nicht gerade verbessert. Der Rauch der flackernden Fackeln und Kienspäne ließ seine Augen brennen und das Holzkohlebecken in der Mitte des Raumes, das mehr Qualm produzierte als Licht oder gar Wärme, reizte ihn zum Husten. Und überhaupt war sein Bedarf an Lagerfeuerromantik mehr als gedeckt, seit seine wuschelpelzigen Gastgeber am Nachmittag versucht hatten, ihn bei lebendigem Leibe zu grillen, weil sie in ihm das ideale Hauptgericht für das zu 3PO’s Ehren geplante Festmahl gesehen hatten.

 

Unser Tagesmenü: Solo am Spieß, dachte Han in einem Anflug von Galgenhumor. Zum Glück war es 3PO gerade noch rechtzeitig gelungen, die Ewoks von diesem schaurigen Beweis ihrer leidenschaftlichen Gastfreundlichkeit abzubringen, aber selbst dazu hatte es seiner ganzen Überredungskunst und Lukes tatkräftiger Unterstützung bedurft. 

 

Han beschloss, es wenigstens mit einer etwas bequemeren Sitzhaltung zu versuchen. Langsam streckte er seine angewinkelten Beine aus, ganz vorsichtig, um die drei eng aneinander geschmiegten lebenden Teddybär–Karikaturen nicht zu stören, die unmittelbar vor seinen Füßen hockten und 3PO lauschten wie verzaubert, nichts als gespitzte Flauschohren und geballte Aufmerksamkeit.  Das galt übrigens für alle Ewoks, wie Han feststellte, als er der Abwechslung halber einen Blick in die Runde warf. Das Baumhaus, das mit vielen federgeschmückten Totems aus Tierschädeln und Holzschnitzereien und anderen mehr oder weniger undefinierbaren Fetischen ausgestattet war, war offensichtlich eine Kombination aus Hauptquartier und Versammlungsort dieser seltsamen kleinen  Waldbewohner und jetzt hoffnungslos überfüllt.  Und alle, die es beim besten Willen nicht mehr geschafft hatten, sich in das Baumhaus hineinzuquetschen, drängten sich auf der Plattform vor der Tür und vor den kreisrunden Fensterlöchern in den mit Lehm beworfenen Flechtwerkwänden, um nur ja keine Silbe  von dem zu verpassen, was „der Goldene“, wie sie 3PO ehrfurchtsvoll nannten, ihnen zu sagen hatte.

 

Han musste widerwillig zugeben, dass 3PO sein Publikum vollkommen in seinen Bann gezogen hatte. Dabei hatte sich der Droide zuerst mindestens eine halbe Stunde lang geziert und gesträubt, als er von Leia damit beauftragt worden war, die Ewoks über die Identität und die Absichten ihrer Besucher aufzuklären. Er war schließlich nur ein ganz, ganz einfacher Dolmetscher und man durfte trotz seiner mühelosen Beherrschung von sechzig Millionen Kommunikationsformen, seiner überdurchschnittlich hohen Intelligenz  und seiner Finesse  in allen Protokollfragen keine Wunder von ihm erwarten, wie er jedem, der es hören wollte (leider auch Han, der es eigentlich nicht  hören wollte!), ungefähr vierundsiebzigmal in aller Bescheidenheit versichert hatte. Die Wiedergabe einer so komplexen Geschichte mit all ihren verwickelten Handlungssträngen ging weit über die Grenzen von 3Pos ansonsten perfekten Programmierung hinaus und überhaupt …

 

 

Er hatte erst nachgegeben, als Luke ein klein wenig aus der Rolle gefallen war und ihm damit gedroht hatte, ihn bei der nächstbesten Gelegenheit an einen ausgehungerten Rancor zu verfüttern. (Manchmal –  nach Hans Meinung allerdings viel zu selten – brachte 3PO’s Getue eben sogar einen Luke Skywalker auf die Barrikaden.)

 

Aber jetzt gab der goldfarbene Droide mit wachsender Begeisterung Fakten, Hintergründe und sowohl brandaktuelle als auch nicht mehr ganz so aktuelle Geschehnisse des Bürgerkrieges zwischen der Rebellen–Allianz und dem allseits gefürchteten Imperium zum Besten. Und eines musste man ihm lassen: Er machte aus seiner Geschichte ein modernes Heldenepos, das einem zu neuem Leben erweckten Mythos aus den Nebeln längst vergangener Zeiten glich.

 

Dass sein Vortrag von Erfolg gekrönt war, war nicht zu übersehen,  was nicht zuletzt daran lag, dass er mit einem scheinbar unerschöpflichen Repertoire an grellen, lärmenden Licht– und Soundeffekten untermalt wurde. Das lebhafte Gebärdenspiel, mit dem 3PO die verschiedenen technischen und dramaturgischen Höhepunkte noch unterstrich, hätte jeden Schauspieler vor Neid erblassen lassen. Die Ewoks waren einfach hingerissen und 3PO, angestachelt durch die Faszination seines Auditoriums, wurde immer weitschweifiger und schmückte seine Story immer mehr aus. Jedes noch so bedeutungslose Detail wurde mit dem wortgewaltigen Pathos eines corellianischen Bazar–Märchenerzählers vorgetragen und inzwischen konnte sich niemand mehr dem Eindruck entziehen, dass 3PO in einem Drama von geradezu kosmischen Ausmaßen zwar nicht gerade die Hauptrolle, aber immerhin eine überaus wichtige und absolut unverzichtbare Nebenrolle spielte.

 

Das  alles nahm natürlich eine Menge  Zeit in Anspruch. Allein für Lukes legendären Kamikazeflug, der mit der Zerstörung des ersten Todessterns geendet hatte, hatte 3PO genau elf Minuten und siebenundzwanzig Sekunden gebraucht. Han, gelangweilt von einer Erzählung, von der er dank der bestehenden Sprachbarriere sowieso nur Fragmente verstand, hatte sein Armbandchrono im Auge behalten und von dem mehr oder weniger unmissverständlichen Prolog („Master Luke akemini zzaduum ria tuti Todesstern!“) bis zu dem erlösenden und ziemlich imposanten Finale  („Todesstern KAWUMM! BUMM, BUMM, BUMM! KAWUMM!!!“) die Zeit gestoppt. Er war davon überzeugt, dass 3PO jeden einzelnen in dieser Schlacht abgefeuerten Protonentorpedo aufgezählt und nebenbei noch Statistiken über die verschiedenen Einschlagwinkel und Trefferquoten aufgestellt hatte. Und der ausgesprochen tragische Tonfall, der die nächste Dreiviertelstunde bestimmt hatte, wies auf eine bewegende Zusammenfassung der kompletten Lebensgeschichte jedes einzelnen bei diesem Angriff umgekommenen Allianz–Piloten hin – natürlich unter besonderer Berücksichtigung seiner trauernden Angehörigen.

 

Obwohl er schon am späten Nachmittag begonnen hatte und der Abend inzwischen ziemlich weit vorangeschritten war, hatte der Droide sich erst bis zu der Bespin–Episode durchgekämpft.  Aber jeder Versuch, ihn etwas anzutreiben, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sogar die Kommentare, die ein ziemlich ungeduldiger R2–D2 gelegentlich dazwischenzwitscherte, wurden immer wieder mit einem ungnädigen: „Aber ja, R2! Das wollte ich gerade eben erzählen!“ abgeschmettert. Ja, wenn 3PO erstmal in Fahrt war, dann war er nicht mehr zu bremsen ...

 

Das lag natürlich auch daran, dass Han  – abgesehen von R2 – der einzige zu sein schien, dem dieser endlose Wortschwall auf die Nerven ging. Von Chewie war keine Hilfe zu erwarten: Der Wookie,  zwischen einem Dutzend Ewoks eingekeilt, neben denen er noch riesiger wirkte als sonst – ein zottelpelziger Titan unter zottelpelzigen Gnomen –, war sichtlich in seinem Element. Endor mit seinen urwüchsigen Wäldern erinnerte ihn an seinen Heimatplaneten Kashyyyk und die Ewoks waren von ihrer Art und Lebensweise her ganz nach seinem Geschmack.

 

Und Luke, der im Schneidersitz direkt neben der Tür saß, so entspannt wie ein Reklamedisplay für ein Wellness−Wochenende an den heißen Quellen von Keruubima,  hatte es offensichtlich auch nicht besonders eilig, sich wieder auf den Weg zu machen. Statt energisch zu werden und buchstäblich ein Machtwort zu sprechen – wozu er ganz bestimmt in der Lage gewesen wäre, wenn er es nur gewollt hätte, oder? –, schmunzelte er nur vor sich hin, als gäbe es nichts Komischeres oder Wichtigeres in der Galaxis als einen auch schon im Normalzustand viel zu schwatzhaften Droiden im Redekrampf. Vielleicht war er als Jedi oder Jedi–Anwärter (Lukes momentaner Status auf diesem Gebiet war Han nicht so ganz klar) ja doch schon so abgeklärt, dass eine Kleinigkeit wie ein Marathonmonolog von 3PO ihn gar nicht mehr aus der Fassung bringen konnte.

 

Vielleicht hatte er aber auch nur seinen Spaß an der ganzen Sache und wenn Luke Skywalker seinen Spaß hatte, schien ihn neuerdings überhaupt nichts mehr aus der Ruhe zu bringen – nicht einmal zwei Dutzend wild gewordene Knilche, die mit Steinäxten, Speeren und anderen leicht antiquierten Mordinstrumenten über seinen besten Freund herfielen. Wie auch immer, Luke war eindeutig noch nicht in Aufbruchsstimmung – anders war das breite jungenhafte Grinsen und das kleine Zwinkern, mit dem er Hans viel sagendes Augenrollen beantwortet hatte, gar nicht zu interpretieren.

 

Und was Leia anging, die an Hans Seite saß, also Leia hörte 3PO genauso hingebungsvoll zu wie die Ewoks. Sie hörte ihm zu, als wäre er ein alderaanischer Barde, der eine Sage erzählte, eine Legende, Lichtjahre von der Realität entfernt. Sie hörte ihm zu, als würde nicht ein paar Meilen von hier die raue Wirklichkeit in Form eines Stoßtrupps der Allianz auf sie warten, als hätten sie keine Mission vor sich, keinen Einsatz, von dessen Erfolg soviel mehr abhing als nur die Zukunft der Rebellion.

 

Nein, Leia saß einfach nur da, ganz gelassen, die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände gestützt, und hörte zu. Ihre großen dunklen Augen leuchteten im Licht der Fackeln und ihr feingeschnittenes ausdrucksvolles Gesicht spiegelte jede Reaktion der Ewoks wider, die, mitgerissen von dem Sog dieser Flut aus politischen und persönlichen Tragödien und Triumphen, ihren Gefühlen lautstark Luft machten. Das allgemeine „Aaah!“ und „Oooh!“ und „Iiiiiih!!!“, mit dem die Ewoks jede Wendung in 3PO’s Bericht quittierten, hallte durch das Baumhaus und durch das ganze Dorf, denn die Zuhörer, die es noch geschafft hatten, ein Plätzchen vor der Tür oder vor den Fenstern zu ergattern, taten ihr Möglichstes, um alle anderen, die weniger Glück gehabt hatten, durch ein aufgeregtes Schnellfeuergeplapper auf dem Laufenden zu halten, was eine stark emotional aufgeladene Stimmung zur Folge hatte. Die Ewoks schienen überhaupt ein ziemlich gefühlsbetontes Völkchen zu sein.

 

„Orrs notch Vader Han Solo tikklo in Carbonii!“ deklamierte 3PO, der immer noch bei den Abenteuern auf Bespin war. Er imitierte die Kohlenstoffgefrieranlage von Cloud City mit einem derart bedrohlich klingenden Zischen, dass Han unwillkürlich zusammenzuckte, obwohl er nicht einmal hundertprozentig sicher war, dass dieses Zischen tatsächlich seinem ganz persönlichen Alptraum galt − es konnte schließlich auch nur eine besonders nervenaufreibende Darstellung von Lord Vaders Respiratorgeröchel sein.

 

Nicht, dass das für mich einen großen Unterschied macht, dachte Han, feindselig wie immer, wenn der schwarze Schatten des persönlichen Schoßtier–Monsters des Imperators in seiner Erinnerung die Zähne bleckte.

 

Für die Ewoks machte es offensichtlich auch keinen großen Unterschied. Das kollektive Kreischen, mit dem sie verkündeten, was sie davon hielten, dass Vader und seine Schergen Han in Carbonit eingefroren hatten, drückte sowohl Zorn auf die Täter als auch Mitleid für das Opfer aus. Ein Ewok, der  bis dahin neben Han gestanden hatte, kuschelte sich sofort gegen seine Knie und gab ein mitfühlendes Schnurren von sich.

 

Han blieb nichts anderes übrig, als diese spontane Sympathiekundgebung hinzunehmen, zumal sich jetzt auch Leia von der anderen Seite her an ihn schmiegte und ihre Wange auf seine Schulter legte. Ein wenig überwältigt von all diesen Gefühlsausbrüchen mit und ohne Körperkontakt legte er den Arm um Leia und gönnte auch dem Ewok ein paar flüchtige Streicheleinheiten, was mit einem noch viel lauteren Schnurren belohnt wurde. Leia sah zu ihm auf und lächelte ihn an − und plötzlich fühlte Han, wie sich seine Frustration angesichts dieser unerwarteten Verzögerung in Nichts auflöste.

 

Sie war so schön, so wunderschön ... Er hatte sie schon in so vielen verschiedenen Aufmachungen und Stimmungen gesehen:  Als elegante Senatorin,  zerzaust und zerknautscht nach einer Sitzung in einer imperialen Gefängniszelle und ihre Verletzlichkeit hinter einem undurchdringlichen Panzer aus giftigem Sarkasmus verbergend. Als hoheitsvoll kühle Prinzessin, leuchtend wie ein Abendstern in ihrer schneeweißen Galarobe und scheinbar genauso unerreichbar fern wie ein Stern vor lauter Würde und Erhabenheit, aber sofort wieder ganz menschlich und gegenwärtig und über das ganze Gesicht strahlend, sobald sie ihren Helden die wohlverdienten Orden um den Hals hängen durfte.  Als kratzbürstige Amazone im Kampfanzug, in einem Moment eine elfenhaft zerbrechliche junge Frau, die nie die Chance gehabt hatte,  einfach nur eine Frau zu sein, im nächsten Moment streitsüchtig wie ein Gundark und nur einen Augenblick später schon wieder die  nüchterne,  pflicht– und selbstbewusste Anführerin. So hatte er sie schon tausendmal gesehen und in tausend anderen Situationen und Launen noch dazu.

 

Aber noch nie hatte er ihren Zauber, die magische Anziehungskraft, die von ihr ausging, so bewusst und so intensiv wahrgenommen wie hier und jetzt,  wo sie  neben ihm saß und ihn einfach nur anlächelte, einfach nur Leia in diesem viel zu kurz geratenen Lederkleid, das ihr eine der Ewokfrauen als Ersatz für ihre durchnässte Tarnkleidung geliehen hatte. Das schmale helle Oval ihres Gesichtes schien von innen heraus zu glühen, als würde es das Feuer reflektieren, das in ihr loderte. Ein Feuer, das den tiefsten Kern ihres Wesens mit einem diamantklaren Licht erfüllte. Ein Feuer, das jeden wärmte und inspirierte, der ihr nahe stand. Ein Feuer, das Han  dahinschmelzen ließ wie eine Schneewehe im Atem eines Drachen – wenn er es zuließ!

 

Ach verdammt! Du hast kein Herz aus Durastahl, Solo. Wann hörst du endlich damit auf, dir etwas vorzumachen? dachte er in einem seltenen Augenblick der Selbsterkenntnis, während 3PO’s zimperliche Professorenstimme unerbittlich weiter dozierte.

 

 „... utchata kra Tatooine.  Cum jumjum Jabba tu Hutt ...“ Es folgte ein langer, langer Sermon, der offenbar eine genaue Auflistung  all der Grausamkeiten enthielt, mit denen der kürzlich in die Ewigen Jagdgründe eingegangene Gangsterkönig von Tatooine diversen unfreiwilligen Gästen und Arbeitnehmern das Leben und Ableben so schwer wie nur möglich gemacht hatte.

 

Na und wenn schon! Plapper dir ruhig den Mund fusslig, Goldbein. Sogar wenn wir die anderen erst morgen treffen, sind wir immer noch früh genug am Schutzschildgenerator. Früh genug zum Kämpfen ... und früh genug zum Sterben, wenn alles schief geht. Also warum gönne ich uns diesen Abend nicht einfach? Leb für den Augenblick, Solo. Genieße ihn. Schon morgen könnte alles vorbei sein …

 

Han verbannte diesen negativen Gedanken sofort, weigerte sich, ihn auch nur zu Ende zu denken. Wir  haben es immer wieder geschafft.  Wir werden es auch dieses Mal schaffen!

 

Er betrachtete Leia, fasziniert von ihrem unglaublich langen Haar, das sie so gut wie nie offen trug. Aber heute floss es frei und ungebändigt  ihren Rücken hinunter, eine seidig schimmernde goldbraune Woge, die ein eigenes Leben zu führen schien. Leise knisternd und raschelnd folgte es jeder Bewegung seiner Besitzerin,  formte immer wieder neue wellige Strähnen und Stränge,  die eigensinnig über Leias Schultern krochen und  ihr Gesicht umzingelten.  Der Anblick weckte in Han unwillkürlich den Wunsch,  es zu berühren, es zu streicheln,  seinen Duft einzuatmen …  Er vergaß 3PO, die Ewoks, den Tag, der von ihnen lag … Er beugte sich vor und küsste das Ohr, das durchscheinend wie eine Muschelschale aus diesem unwahrscheinlichen Haar auftauchte. Und als Leia ihn erneut anlächelte, lächelte er zurück ...

 

Endlich! dachte Luke Skywalker, als er spürte, wie die nervöse Spannung, die Han die ganze Zeit über ausgeströmt hatte wie ein starkes elektrisches Feld,  langsam abebbte und schließlich ganz versiegte.  Halb amüsiert, halb wohlwollend beobachtete er, wie sie sich erneut küssten, seine Zwillingsschwester und sein bester Freund, der eines Tages sein Schwager sein würde. 

 

Es war seltsam, wie einfach, wie  unkompliziert die Dinge jetzt waren. Die Wahrheit über seine und Leias Herkunft zu erfahren, war eine Erleichterung gewesen – zumindest was die Tatsache anging, dass sie Geschwister waren. (Der Rest ihrer gemeinsamen Verwandtschaft löste immer noch alle möglichen Gefühle in Luke aus, aber bestimmt keine Erleichterung.) Doch im Grunde hatte Leia ja schon immer den Status einer Schwester für sich beansprucht, von Anfang an, auch wenn Luke auf dem Höhepunkt seiner ersten romantischen Aufwallungen für die ehemalige Kronprinzessin von Alderaan die deutlichen Signale der von ihr  praktizierten Mischung aus Fürsorge und  Zurückhaltung bewusst ignoriert hatte. Denn wenn man bis über beide Ohren verliebt war, wenn man „total und absolut verknallt“ war,  wie Wedge Antilles es einmal unter dem wissenden Grinsen der anderen Piloten aus Lukes Staffel ausgedrückt hatte, dann war man nicht besonders zugänglich für eine eher familiäre Vertrautheit, die im Widerspruch zu  allem stand, was man sich von seiner Traumfrau erhoffte. 

 

Aber Bespin hatte alles verändert, alles. In den Monaten danach, als Leia auf den Kreuzern und Fregatten der Allianzflotte umhergeirrt war wie eine verlorene Seele und jeder Satz von ihr mit  den Worten „Wenn wir Han erst gefunden haben …“ begonnen hatte, da hatte Luke begriffen und akzeptiert, dass er von ihr nie mehr als eine tiefe und aufrichtige Freundschaft erwarten durfte. Und wenn er deswegen je einen Hauch von Bitterkeit empfunden hatte, so war der Geist seiner unreifen Teenagerschwärmerei durch Ben Kenobis Eröffnungen auf Dagobah gründlich und endgültig exorziert worden. Er war darüber hinweg. Und deshalb konnte er jetzt hier sitzen, Leia mit der ganzen Nachsicht des großen Bruders beobachten – obwohl er natürlich keine Ahnung hatte, wer von ihnen zuerst das Licht der Welt erblickt hatte – und sich neidlos an ihrem und Hans Glück freuen, ein Glück, das immer so vergänglich erschien wie Spinnweben im Wind und doch  so stabil war wie eine Stahltrosse. Die ganze Galaxis war in Aufruhr und die Zukunft lag wie ein unüberwindlicher Berg vor ihm, aber wenigstens hier und jetzt war alles so, wie es sein musste,  und diese Gewissheit erfüllte Luke mit einem tiefen Frieden.

 

Die fragile Balance des Augenblicks  zerbrach wie unter einem Hammerschlag, als er merkte, dass er hier war. Vader. Luke erstarrte unmerklich, als er die flirrende Dunkelheit, die von dem Sith ausging, anpeilte wie eine Kompassnadel den unwiderstehliche Magnetismus eines Pols. Nahe. Viel zu nahe. 

 

Er ist meinetwegen gekommen, dachte Luke und schauderte unwillkürlich, ein winziges Frösteln, das eher durch Erregung als durch Angst verursacht wurde. Es ist soweit.

 

Aber war er tatsächlich bereit für die ultimative Konfrontation  mit seinem Vater? Luke wusste, dass die Auseinandersetzung unvermeidlich war, doch er hätte alles darum gegeben, sie noch ein klein wenig hinauszögern zu können.

 

Warum ausgerechnet jetzt? Ich brauche noch ein bisschen  Zeit, Zeit zum Nachdenken, Zeit, um mir darüber klar zu werden, was ich tun soll,  was ich zu ihm sagen soll … Zeit, die Luke nicht mehr haben würde,  wenn er weiter untätig hier herumsaß. 

 

Als er aufstand, sprang der Ewok, der die Insignien eines Häuptlings trug, von seinem thronartigen Sitz und winkte herrisch mit einer Pfote, was einen wilden Trommelwirbel zur Folge hatte, der sogar 3PO endlich verstummen ließ. Der Häuptling brüllte etwas und alle Ewoks ringsum brachen in Jubelgeschrei und stürmischen Applaus aus.

 

„Oh, wie wundervoll! Sie haben uns in ihren Stamm aufgenommen!“ rief 3PO ekstatisch.

 

Hans sarkastischer Kommentar („Na toll! Genau das habe ich mir schon immer gewünscht!“) war das Letzte, was Luke hörte, als er leise hinausging, unbemerkt von  seinen Freunden und ein paar Dutzend Ewoks in Partystimmung, aber gefolgt von seiner Schwester.

 

„Na ja, kleine Helfer sind besser als gar keine Helfer, was, Chewie?“ sagte Han und versuchte sein Bein aus dem Klammergriff eines neuen Stammesbruders zu befreien, der sich wie eine Efeuranke um sein Knie gewunden hatte. „Ja, ja, schon kapiert. Ich mag dich ja auch – irgendwie. Aber jetzt lass mich endlich wieder los. Hörst du? Loslassen, sage ich! Goldbein! Sag diesem albernen Fusselball …“

 

„Sie wollen uns den schnellsten Weg zum Schutzschildgenerator zeigen“, trompetete 3PO.

 

„Na, wenigstens etwas. Wie weit ist es von hier aus noch?“

 

„Das weiß ich nicht, Sir.“

 

„Na, dann frag doch einfach!“

 

3PO wandte sich gehorsam dem Ewok–Häuptling zu, der neben ihm stand. „Groniike ...“

 

„Ein bisschen Proviant könnten wir auch noch  brauchen“, fiel Han ihm ins Wort.

 

„Tchu tappa ...“

 

„Und sie sollen uns endlich unsere Waffen zurückgeben!“

 

„Groniike ...“ wiederholte 3PO irritiert. Nicht einmal die Beredsamkeit eines Dolmetschers verkraftete ständige Unterbrechungen.

 

„Und  beeil dich gefälligst ein bisschen! Das dauert und dauert …“

 

Und  nicht einmal ein Protokolldroide musste sich alles bieten lassen. „General Solo! Ich muss doch sehr bitten!“

 

Aber Han war schon damit beschäftigt, das allgemeine  Gewimmel  um sich herum nach vertrauten Gesichtern abzusuchen. „Leia? Luke? He! Wo zum Teufel stecken die beiden?“

 

 

*

 

Draußen auf der breiten Plattform, die den Nabel dieses Miniaturdorfes hoch oben in den Baumwipfeln bildete, feierten die Ewoks das große Ereignis mit einer Art Gemeinschaftstanz. Luke blieb einen Augenblick lang stehen und sah ihnen zu, zuerst belustigt, aber dann zunehmend bewegt von dem Anblick, der sich ihm bot.

 

Kaum einen Meter groß, mit üppigen, kuschelweichen Pelzen in drolligen Streifen- und Tupfenmustern ausgerüstet und mit riesigen unschuldigen Knopfaugen bewaffnet, sahen die Ewoks aus wie zum Leben erwachte Stofftiere. Sie waren so possierlich, dass man sie unwillkürlich hoffnungslos unterschätzte. Man neigte nicht nur dazu, sie für völlig harmlos zu halten, was sich übrigens sehr schnell als fatale Fehleinschätzung  entpuppen konnte, nein, man geriet auch allzu leicht in Versuchung, sie wegen ihrer anachronistischen Lebensweise zu belächeln. Doch wer die Ewoks nur mit der Überheblichkeit einer fortschrittlicheren, aber deshalb nicht zwangsläufig überlegenen Gesellschaft ansah, vergaß dabei völlig, dass eine Jahrtausende alte Kultur trotz ihrer primitiv anmutenden Ursprünglichkeit immer Respekt verdiente.

 

Ja, die Ewoks verdienten Respekt, denn sie waren keine Stofftiere. Sie waren ein freies unabhängiges Volk, das weitab von der größenwahnsinnigen Technikmanie der Kernwelten in engster Verbundenheit mit einer noch völlig unberührten Natur  lebte. Sie waren ein großzügiges und hilfsbereites Volk, voller Anteilnahme für das Leid anderer und von einer selbstlosen Unerschrockenheit, für die man sie nur bewundern konnte.

 

Im Grunde ging dieser Krieg die Ewoks überhaupt nichts an. Die Kernwelten litten unter der rücksichtslosen Habgier und der allgegenwärtigen Tyrannei des Imperiums, aber für die Ewoks war all das ohne jede Bedeutung. Ihr kleiner Mond am Rand der Galaxis besaß keine wertvollen Rohstoffe, die ausgebeutet werden konnten, und von den Truppen, die hier stationiert waren, wurden sie normalerweise vollkommen ignoriert. Die   Imperialen in ihrem eingeimpften Rassismus nahmen nichts ernst, was nicht hundertprozentig menschlich war, und weil sie in einer Horde von fellbedeckten Zwergen, die noch im Pfeil-und-Bogen-Zeitalter lebten, zweifellos eher eine Kuriosität als eine Bedrohung sahen, waren die Ewoks bisher im Großen und Ganzen in Ruhe gelassen worden.

 

Trotzdem  waren sie jetzt wild entschlossen, sich mit dem Imperium anzulegen. Eine einzige Begegnung mit den Rebellen und eine mitreißende Geschichte hatten dazu geführt, dass die Ewoks im Begriff waren, mit der ganzen barbarischen Brutalität einer so genannten modernen Zivilisation in Konflikt zu geraten. Ein Konflikt, den sie vielleicht nicht überstehen würden. Ein Konflikt, der nun genauso  unabwendbar war wie die Entscheidung, die Luke Skywalker so schnell wie möglich treffen musste ...

 

Er betrachtete die zahllosen plumpen kleinen Gestalten, die im Takt zu einer fremdartig-lieblichen Melodie aus trillernden Flötentönen und rhythmisch geschüttelten Rasseln auf und ab hüpften und mit den Füßen stampften. Es sah witzig aus, ein Menuett für Comicfiguren, aber Luke fand, dass die Ewoks dieselbe Aura heroischer Seelengröße ausstrahlten wie seine Freunde bei dem Kriegsrat der Allianz unmittelbar vor ihrem Aufbruch nach Endor.  Auch sie waren dazu bereit, für ein Ziel  zu kämpfen, das weit über ihre persönlichen Bedürfnisse hinausging. Auch sie scheuten nicht davor zurück, sich selbst für die bloße Hoffnung zu opfern, dass andere Völker irgendwann in Frieden und Freiheit leben konnten.

 

Was Luke anging, so hoffte er inständig, dass der Preis, den seine neuen Waffenbrüder für ihr viel zu spontan beschlossenes Bündnis mit der Allianz würden zahlen müssen, nicht allzu hoch ausfiel.  Gegen imperiale Truppen hatten die Ewoks in einem offenen Gefecht nicht die geringste Chance und wenn die Rebellen bei diesem Einsatz versagten,  würden ihre  Mitstreiter in einem Blutbad untergehen.  Alles hing jetzt vom Gelingen dieser Mission ab  ... was wiederum von  seinem Zusammentreffen mit Vader abhing ...

 

Luke glitt an den tanzenden Ewoks vorbei wie ein Schatten, froh, dass die einzige Entscheidung, die er sofort treffen musste, lediglich darin bestand, einen der fünf Laufgänge auszuwählen, die sich sternförmig von der Hauptplattform ausbreiteten. Minuten später hatte er das ebenso komische wie rührende Ewok-Ballett weit hinter sich gelassen. Die Musik wurde leiser und leiser und verklang schließlich ganz. Als er eine schmale  Galerie erreicht hatte, von deren Ende  aus eine  Strickleiter in die Tiefe führte, war nur noch das leise Rauschen des Windes zu hören, der die mächtigen  Baumkronen ringsum sanft hin und her wiegte.

 

Er stützte sich auf die grob zusammengezimmerte Reling, die seinen Aussichtspunkt umgab, und sah in die langsam kreisende Unendlichkeit hinauf. Der Nachthimmel  spannte sich über ihm wie eine gigantische Bahn aus blauschwarzer Seide, bestickt  mit Millionen von funkelnden Kristallsplittern. Es war einfach atemberaubend, aber heute Abend  hatte Luke keine Augen für diese Pracht. Und hätte er gewusst, dass sein Vater nur wenige Meilen von ihm entfernt unter einem Baum lag und dasselbe Bild genoss, so hätte ihm nicht einmal dieses Wissen Trost gebracht.

 

Einsamkeit war kein Fremdwort für Luke Skywalker. Tatsächlich schien sich eine gewisse Isolation wie ein roter Faden durch sein ganzes Leben zu ziehen, beinahe so, als wäre er unter einer Glasglocke geboren worden, die ihn auf ewig von seiner Umwelt absonderte. Es war, als wäre er von einer unsichtbaren Mauer umgeben, die sogar von den Menschen, die ihm am nächsten standen,  nie wirklich überwunden werden konnte. Aber nicht einmal auf Dagobah, in der schwarzen Stunde absoluter Hoffnungslosigkeit nach Meister Yodas unerwartetem Tod, hatte er sich so allein, so vollkommen verlassen  gefühlt wie  hier und jetzt, wo er unmittelbar vor dem Wendepunkt, vor dem wichtigsten Entweder-Oder seines Lebens stand.

 

Vielleicht lag es ja einfach in der Natur der Jedis, Einzelgänger zu sein. Immerhin hatten die beiden einzigen Jedis, die Luke je kennen gelernt hatte, ihre letzten Jahre als Eremiten  verbracht und jeden unnötigen Kontakt zur Außenwelt  gemieden. Doch Luke hatte nicht den Wunsch, sich als Einsiedler in die Jundland–Wüste von Tatooine oder in die Sümpfe von Dagobah zurückzuziehen – so verlockend diese Möglichkeit im Moment auch erscheinen mochte. Und schon deshalb war er fast dankbar, als sich die federleichten Schritte näherten, die so unverwechselbar zu Leia gehörten wie der Klang ihrer Stimme.

 

„Was ist eigentlich mit dir los, Luke?“

 

Er hatte mit dieser Frage gerechnet und doch  konnte er nur die Augen schließen wie unter dem lähmenden Bann einer uralten Müdigkeit, als sie endlich gestellt wurde. Die Ereignisse überstürzten sich und zwangen ihn zum Handeln, es kam alles viel zu früh, viel zu schnell. Fr einen Augenblick war er sehr in Versuchung, seiner Schwester auszuweichen, sie einfach mit einer nichts sagenden Phrase abzuspeisen, wie er es schon bei einer früheren Gelegenheit getan hatte. Doch Leia stand jetzt direkt neben ihm, lehnte sich gegen das Geländer und sah ihn forschend an. Sie  wartete auf eine Antwort. Sie wartete auf viele Antworten, obwohl sie es  noch nicht einmal ahnte. Und sie hatte ein Recht auf diese Antworten.

 

„Und sag jetzt bitte nicht wieder: ‚Frag mich das ein andermal!’ Ich schwöre dir, wenn ich mir das noch mal anhören muss, fange ich an zu schreien.“ Ihr Lächeln flammte auf wie eine Kerze und erlosch sofort wieder, als Luke nicht auf ihren neckenden Tonfall einging. „Es ist Vader, nicht wahr?“

 

Noch vor kurzem hatte Luke über ihre unfehlbare Intuition gestaunt. Jetzt wunderte er sich nicht mehr darüber. Die Macht ist stark in deiner Familie … Manchmal fragte er sich,  ob er sich überhaupt je wieder über irgendetwas wundern würde.

 

„Er ist also wirklich auf diesem Schiff“,  sagte Leia leise.

 

Luke stieß einen kleinen Seufzer aus. „Jetzt nicht mehr.“

 

Ihre großen braunen Augen weiteten sich ein wenig,  das war alles. Wer Leia nicht sehr gut kannte, hätte diese winzige Reaktion nicht einmal bemerkt. Aber Luke, der wesentlich mehr mit ihr teilte als ein Konglomerat aus gemeinsamen Genen, fühlte, dass sie unter diesem unverhofften Schlag beinahe zu Eis erstarrte. Zwei traumatische Erlebnisse mit Darth Vader hatten die vollkommen unpersönliche, rein politisch begründete Aversion, die Leia ursprünglich ihrem Erzfeind gegenüber empfunden haben mochte, längst in ein unentwirrbares Knäuel aus negativen Emotionen verwandelt. Eine luftige vielschichtige Mischung aus blindem Zorn, abgrundtiefer Verachtung und blankem Hass, alles durchzogen und überlagert von einer fast schon phobischen Angst, hatte sich zu einem unversöhnlichen Abscheu verhärtet, der so intensiv war, dass er sogar körperliche Reaktionen bei ihr hervorrief. Die bloße Erwähnung von Vaders Namen jagte einen Kälteschauer durch Leias Blut und brachte ihren Herzschlag zum Rasen. 

 

„Er ist hier?!“

 

Es war eher eine Feststellung als eine Frage, denn als Luke nur nickte, nickte sie unwillkürlich zurück, ganz automatisch, eine rein mechanische Bestätigung, die ihm zeigte, dass sie die unerfreuliche Wendung der Dinge sofort akzeptiert hatte.

 

Und schon  meldete sich ihr scharfer analytischer Verstand zu Wort, um das Problem zu sezieren, um es in seine Einzelteile zu zerlegen und von allen Seiten zu studieren, bis sie eine Lösung dafür gefunden hatte. Denn das war Leias Standardprozedur, so  trat  sie jeder Krise entgegen, egal, wie groß oder wie klein: Sie schob ihre Gefühle einfach beiseite und  legte sie in einer kleinen mentalen Schublade mit der Aufschrift „Später, wenn ich Zeit dafür habe!“ ab, dann krempelte sie die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit. Das war das ganze Geheimnis ihrer scheinbar unerschütterlichen Selbstbeherrschung. Es war eine Gabe, die nur wenigen Menschen vergönnt war. Es war Leias größte Stärke. Es war einer der Gründe dafür, warum das Imperium ihren Tod wollte ...

 

„Natürlich! Wir haben einfach viel zu lange gewartet. Der Code muss inzwischen ja völlig veraltet gewesen sein. Kein Wunder, dass er Verdacht geschöpft hat“, sagte sie lebhaft. „Egal. Wir können es immer noch schaffen. Wir müssen es schaffen! Wenn wir uns beeilen, wenn wir jetzt gleich losgehen …“

 

„Es war nicht der Code, Leia.“

 

Auf ihrer  Stirn erschien eine einzelne steile Falte. „Wie meinst du das?“

 

„Vader weiß, dass ich hier bin.“

 

 „Ach Unsinn! Woher soll er wissen, dass ausgerechnet du …“

 

„Er weiß es, weil er meine Gegenwart fühlen kann, genau so wie ich seine fühle. Er ist nur wegen mir hier – hoffe ich jedenfalls. Und deshalb …“ Luke atmete tief ein und wieder aus. „… und deshalb muss ich jetzt gehen.“

 

Was?!“

 

„Wenn ich bei euch bleibe, bringe ich euch nur unnötig in Gefahr, denn wenn ich nicht zu ihm komme, dann kommt er ganz sicher zu mir. Und das wäre das Ende für euch … für uns … für die Mission. Deshalb muss  ich mich ihm stellen, ihn ablenken, ihn …“

 

Leia fiel ihm einfach ins Wort. „Was soll das? Wir brauchen dich, Luke. Du kannst  doch jetzt nicht einfach auf und davon gehen und Vader zum Duell fordern, während wir hier…“ Sie brach ab und machte das, was Han heimlich ihr „Hoheit–auf–hundertachtzig–Gesicht“ nannte. „Also das kommt ja überhaupt nicht in Frage!“ sagte sie energisch.

 

„Ich habe nicht vor, mit ihm zu kämpfen“, erwiderte Luke.

 

Ach ja? fragte irgendwo im Hintergrund seines Bewusstseins eine kleine Stimme, die unleugbar eine verdächtige Ähnlichkeit mit Hans corellianischem Timbre  aufwies. Und was machst du, wenn er dich zum Duell fordert?

 

Luke ignorierte die Stimme. „Ich will einfach nur mit ihm reden.“

 

Oh, das ist endlich mal eine wirklich guuute Idee! Lasst uns einfach miteinander reden wie zivilisierte Menschen  – natürlich immer vorausgesetzt, dass ER überhaupt zivilisiert genug ist, um dieses Mal nicht gleich wieder zu versuchen dich einzufrieren wie ein rohes Banthasteak kurz vor dem Verfallsdatum! gab das geisterhafte Echo von Hans Zynismus bissig zurück.

 

Doch Leia starrte Luke nur an. Für ein paar Sekunden war sie sprachlos, ein Ereignis, das Seltenheitswert hatte, denn sie war so gut wie nie um eine passende Retourkutsche verlegen. (Tatsächlich war Han der Einzige weit und breit, der ihrer Schlagfertigkeit gewachsen war. Luke war felsenfest davon überzeugt, dass diese spezielle Eigenschaft eine maßgebliche Rolle in der langwierigen und komplizierten Entwicklung ihrer Beziehung gespielt hatte.)

 

„Aber das ist doch heller Wahnsinn!“ wisperte sie schließlich.  „Vader wird nicht einfach nur mit dir reden, Luke. Er wird dich einfach umbringen, genau wie all die anderen Jedis. Genau wie jedes Lebewesen, das das Pech hat, ihm in die Quere zu kommen.“

 

Sogar Han wäre es schwer gefallen, darauf eine passende Retourkutsche zu finden ...

 

Das Imperium hatte sich  in den letzten Jahren beinahe überschlagen vor Eifer, um die Allianz in den Augen der Öffentlichkeit als Sammelbecken für eine blutrünstige Horde von fanatischen Terroristen darzustellen und ihre Anführer auf jede nur denkbare Weise zu verunglimpfen. Die Propagandaabteilung der Allianz hatte auf diese Verleumdungskampagne entsprechend reagiert und ihrerseits alles gegeben, um den Imperator zu einer wahren Ikone des Schreckens hochzustilisieren. Und Vader war in dieser Schlammschlacht der gegenseitigen Diffamierung längst zum glorifizierten Henker des Imperiums und ganz nebenher noch zum größten Kriegsverbrecher aller Zeiten ernannt worden, was nun wirklich ein klein wenig übertrieben war.

 

Aber das änderte leider auch nichts an der Tatsache, dass Vader die Jedis seinerzeit praktisch im Alleingang ausgerottet hatte und dass bis zum heutigen Tag seine Hauptbeschäftigung darin bestand, jedes offizielle oder auch nur potenzielle  Widerstandsnest gegen die imperiale Diktatur auszutilgen. Und es war weder ein Gerücht noch eine Unterstellung, sondern schlicht und einfach die traurige Realität, dass er dabei keinerlei Rücksicht auf den Verlust von Leben nahm,  was sowohl für seine eigenen Leute als auch für die zivilen Zufallsopfer seiner Aktionen galt. Als Befehlshaber der imperialen Streitkräfte war Vader direkt oder indirekt für unaussprechliche Taten in tausend Sternensystemen verantwortlich.  An seinen Händen klebte vielleicht nicht gerade das Blut von Millionen, aber von mehr als genug unschuldigen Lebewesen. Und wenn schon von Händen die Rede war – hatte er auch nur einen einzigen Augenblick lang gezögert, seinen eigenen Sohn zu verstümmeln, nur um ihn kampfunfähig zu machen? Eigentlich sprach Leia nur laut aus, was Luke nicht einmal zu denken wagte: Dass er wahrscheinlich in den Tod ging, wenn er sich Vader stellte.

 

Aber es ist der richtige Weg ... nein, der einzige Weg, dachte Luke. Die Stimme in seinem Hinterkopf gab ein verächtliches Schnaufen von sich, aber er ignorierte auch das. „Ich muss  es tun. Ich muss es wenigstens versuchen.“

 

Leia griff nach seinen Händen und umklammerte sie, als müsste sie Luke festhalten, als müsste sie ihn davor bewahren, mit offenen Augen in einen Abgrund hineinzulaufen.

 

„Warum? Warum tust du dir das an? Warum tust du uns das an? Ist es … ist es vielleicht wegen Han und mir? Fühlst du dich ausgeschlossen, bist du unglücklich, weil wir jetzt … Oh Luke, du gehörst doch zu uns! Du bist ein Teil von uns  und das wirst du auch immer sein, egal, was kommt.  Wir sind doch eine Familie, Han und Chewie und du und ich  – die einzige Familie, die wir alle noch haben. Wir lieben dich, Luke. Wir brauchen dich. Wir können ohne dich nicht weitermachen. Warum willst du das alles aufgeben, dein Leben einfach so wegwerfen? Warum willst du dich Vader freiwillig ausliefern?“

 

Und jetzt war er endlich da,  der Augenblick der Wahrheit …

 

„Weil  er mein Vater ist.“

 

 

Es irritierte Luke selbst, wie leicht es ihm über die Lippen kam, wie alltäglich sich die ungeheuerliche Neuigkeit anhörte. Weil. Er. Mein. Vater. Ist. Er wusste selbst nicht genau, was er erwartet hatte: Dass der Himmel über seinem Kopf einstürzen würde, sobald er es aussprach, dass der Boden unter seinen Füßen sich in den ersten Wehen eines Erdbebens aufbäumen würde?

 

„Dein Vater? Vader?!“ flüsterte Leia fassungslos. 

 

„Ja.“

 

Und da war sie endlich,  DIE REAKTION: Das Schweigen, das seinem schlichten „Ja“ folgte, war so absolut, dass das zärtliche Raunen der Sommernacht in Lukes Ohren widerzuhallen schien wie die donnernde Brandung eines Ozeans.

 

Er beobachtete, wie der Ausdruck auf Leias Gesicht von ungläubigem Staunen über Misstrauen zu Verwirrung wechselte, so schnell und fließend wie die Bilder eines Holoprojektors.

 

„Aber ... das verstehe ich nicht. Ich dachte immer, dein Vater wäre dieser Anakin Skywalker,  der allererste Jedi, den Vader damals …“  Leia verstummte abrupt. Luke konnte das Begreifen  in ihren dunklen Augen aufdämmern sehen.

 

„Ja“, sagte er langsam. „Anakin Skywalker und Darth Vader sind ein– und dieselbe Person. Er hat damals offenbar nicht nur mit den Jedis reinen Tisch gemacht, sondern  gleich alle Brücken hinter sich abgebrochen. Ein neuer Job, ein neuer Name, ein neues Outfit, ein ganz neuer Mensch.“

 

„Alles, aber bestimmt kein Mensch!“  Leia wandte sich ab, eine Halbdrehung, die für eine halbe Minute oder eine halbe Ewigkeit eine unüberbrückbare Distanz zwischen sie legte.

 

„Vader, der Mann ohne Vergangenheit“, flüsterte sie vor sich hin, als sie über die Balustrade hinweg in die nachtschwarzen Wälder hinausstarrte. „Ich habe mich immer gefragt, wer oder was wirklich hinter dieser Maske steckt. Ich glaube, meine Eltern haben wesentlich mehr über ihn gewusst, als sie zugeben wollten.“

 

Auch Luke fragte sich unwillkürlich, was die Organas über Vader gewusst hatten und was nicht. Waren sie sich tatsächlich darüber im Klaren gewesen, dass die Wurzeln ihrer Adoptivtochter  bis in die Vergangenheit eines Sith–Lords zurückreichten? Hatten sie genau wie Owen und Beru Lars auf Tatooine jahrein, jahraus in der ständigen Furcht gelebt, dass Vader sein ihnen anvertrautes Kind entdecken und es für sich beanspruchen würde, dass seine Rache alle treffen würde, die ihm das vorenthalten hatten, was er zweifellos als sein alleiniges Eigentum ansah?

 

Aber all das würden Luke und Leia nie herausfinden, denn Alderaan war nur noch ein Gürtel aus toten Schlackebrocken, die irgendwo da draußen durch das All taumelten, und die Geheimnisse der königlichen Familie hatten sich zusammen mit ihren Besitzern in eine Wolke aus Staub und Asche aufgelöst. Eine Wolke, die sich in ein paar Milliarden Jahren durchaus zu einem neuen Stern oder vielleicht sogar zu einer neuen grünen Welt verdichten mochte, was irgendwie eine sehr tröstliche Vorstellung war. Aber Leia Organa von Alderaan hatte leider keinen Sinn für einen so esoterisch angehauchten Trost, denn manche Wunden heilten nie und schon aus diesem Grund sprach sie so selten wie möglich über ihre eigene Vergangenheit. Es war ein seltsamer Zufall, dass sie ihre Adoptiveltern ausgerechnet  hier und jetzt erwähnte. Oder war es Fügung?

 

In diesem Augenblick drehte sich Leia wieder zu ihm um. Aber Lukes Erleichterung darüber war nur von kurzer Dauer, denn ihre schmalen Brauen hatten sich zu einem waagrechten Strich zusammengezogen und der Blick darunter war hell und hart wie ein Suchscheinwerfer und ohne jede Wärme. Es war nicht Leia, seine Leia, die ihm jetzt gegenüberstand, sondern die geballte Autorität des Allianz–Oberkommandos. Sie fixierte ihn mit derselben prüfenden Strenge, mit der Mon Mothma ihn fixiert hatte, als er von seinem ersten nicht genehmigten Abstecher nach Dagobah zurückgekehrt war wie ein ausgerissener Schuljunge von einem unerlaubten Ausflug, randvoll mit vagen Erklärungen und noch vageren Entschuldigungen. 

 

„Seit wann weißt du es?“ Sie hörte sich sogar an wie Mon Mothma.

 

 „Seit Bespin. Er hat es mir selbst gesagt. Aber da gibt es noch etwas, Leia.  Es wird nicht leicht für dich sein,  aber irgendwann musst du es sowieso erfahren und …“

 

 Er hat dir das erzählt? Und das glaubst du ihm einfach so? Was hat er auf Bespin mit dir gemacht, Luke? Hat er dir vielleicht deine Geburtsurkunde unter die Nase gehalten, bevor er mit seinem Lichtschwert auf dich losgegangen ist? Oder hat er dir etwa nur die Hand abgehackt, um damit vor deinen Augen einen DNS–Test durchzuführen? Ich meine, irgendwas muss er doch gemacht haben, um dich zu überzeugen – nicht einmal du kannst so naiv sein, ihm eine so absurde Geschichte sofort abzukaufen und das ohne jeden Beweis!“

 

Es kam wie aus der Pistole geschossen, ohne Vorwarnung und ohne Gnade, und es traf Luke an einer empfindlichen Stelle. Jetzt war er es, der sich abwandte, auf Distanz ging.

 

„Was natürlich nicht heißen soll, dass ein Beweis, der von ihm kommt, auch nur ansatzweise glaubwürdig wäre, das ist doch wohl klar“, sagte Leia heftig. „Nichts, was von Vader kommt, ist jemals glaubwürdig. Gar nichts!“  Den letzten Satz schrie sie beinahe.

 

„Er hat die Wahrheit gesagt“, murmelte Luke.

 

„Mit anderen Worten: Er hatte keinen Beweis dafür, nicht einen einzigen!“

 

„Es ist wahr, Leia.“

 

„Es ist ein Trick, ein schmutziger erbärmlicher gemeiner Trick! Oh Gott! Wie tief kann diese Kreatur eigentlich noch sinken?“

 

 Doch nach diesem kurzen, aber leidenschaftlichen Ausbruch und einer noch kürzeren Denk– und Atempause rückte Leia behutsam näher und berührte Luke so zart an der Schulter, als wäre er ein scheues wildes Tier, das jeden Augenblick vor ihr flüchten konnte.

 

„Vader will dich – zumindest das wissen wir alle seit Bespin. Und wir wissen auch, dass er vor nichts zurückschreckt, wenn er etwas haben will. Er würde einfach alles tun, um dich auf seine Seite zu ziehen, Luke.  Wenn er dir weiszumachen versucht, dass du sein Sohn bist, dann kann das nur einen Grund haben: Er will dich verunsichern, er will dich in einen Loyalitätskonflikt stürzen. Siehst du nicht, wie geschickt er dich manipuliert? Die meisten Leute halten Vader nur für ein brutales Ungeheuer, aber er ist wesentlich mehr als das. Er ist clever, er ist hinterhältig und er versteht sich darauf, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, wenn es sein muss. Niemand weiß besser als ich, wie raffiniert er ist, wenn es darum geht, auf den richtigen Knopf zu drücken. Damals auf dem Todesstern …“ Leia stockte.

 

Und etwas anderes hatte Luke  auch gar nicht erwartet. Der erste Todesstern und alles, was Leia dort durchgemacht hatte, war ein weiteres Tabuthema, das in ihrer Gegenwart niemals angesprochen werden durfte. Niemand hatte je aus ihr herausbekommen, was ihr dort angetan worden war, bevor sie in einer beispiellosen Befreiungsaktion buchstäblich in letzter Minute vor ihrer bereits festgesetzten Hinrichtung gerettet worden war. Aber Han hatte Luke und Chewie erst vor kurzem bei einem echten Männer- gespräch unter einer Dunstglocke von mehreren Runden Cor−Ale und unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass Leia heute, fast vier Jahre später,  immer noch unter regelmäßig wiederkehrenden Alpträumen litt und dass sie manchmal im Schlaf so heftig weinte, dass er sie kaum beruhigen konnte, wenn er sie hastig aufweckte und zu trösten versuchte.

 

„Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst“, sagte Luke rasch.

 

„Ich will aber darüber reden.  Und du wirst mir zuhören.“

 

„Leia, diese Diskussion ist sowieso völlig sinnlos, weil nicht der leiseste Zweifel daran besteht, dass Vader …“

 

„Jetzt rede ich!“

 

Luke begriff, dass er Sendepause hatte, denn sie würde ihn nicht mehr zu Wort kommen lassen, bis sie endlich los geworden war, was sie offensichtlich so dringend los werden musste. Und er war durchaus bereit dazu, sich alles anzuhören, was sie ihm zu sagen hatte, denn wenn sie ihm trotz allem so weit vertraute, dass sie sogar ihr selbst auferlegtes Schweigegelübde endlich brechen wollte, dann war er es ihr einfach schuldig, sie anzuhören. Es mochte nicht der beste Zeitpunkt sein, um Leia dabei zu helfen, ihre kunstvoll gebauten Dämme einzureißen und ihre Schleusen zu öffnen, aber vielleicht gab es für solche Dinge auch gar keinen besten Zeitpunkt. Vielleicht musste man sie einfach  geschehen lassen.  Er ließ sich auf der Balustrade nieder und sah sie  erwartungsvoll an.

 

Sein Schweigen als Zustimmung und vielleicht sogar als Ermutigung wertend, setzte sich Leia neben ihn. Ohne ihn anzusehen, sagte sie gedämpft: „Ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern, was damals auf dem Todesstern passiert ist. Ich war die meiste Zeit ziemlich daneben, glaube ich. Die ganzen Drogen, die sie mir verpasst haben … irgendwie war alles so konfus …

 

Aber an ein paar Dinge erinnere ich mich noch ganz genau, so genau, dass ich sie nie vergessen werde, so lange ich lebe. Irgendwann − direkt nach einem völlig legalen Verhör mit vielen völlig legalen kleinen Elektroschocks zu meiner Aufmunterung − gab es da eine Unterhaltung mit Vader ... na ja, wenn man das überhaupt  als Unterhaltung bezeichnen kann. Eigentlich hat nur er geredet.

 

Ich war völlig fertig, weißt du. Ich lag da in diesem grässlichen Loch von einer Zelle auf dieser steinharten Pritsche und konnte mich kaum noch rühren, weil mir alles weh getan hat, einfach alles. Ich hatte überall Krämpfe, wirklich überall. Ich hätte nicht aufstehen können, ich hätte nicht einmal den Arm heben oder meinen Kopf drehen können, nicht wenn es um mein Leben gegangen wäre. Ich war einfach fix und fertig.

 

Vader stand mir genau gegenüber. Er stand an die Wand gelehnt, die Arme auf dem Rücken verschränkt, und wippte mit dem Fuß, ganz lässig, ganz entspannt. Ich weiß noch genau, wie bizarr mir das vorgekommen ist. Es war irgendwie so ... so unrealistisch. Ich meine, hast du Vader jemals entspannt gesehen? Wenn man ihn so ansieht, kann man sich kaum vorstellen,  dass er auch nur weiß, wie das Wort Entspannung geschrieben wird. Aber genau so stand er da vor mir, ganz ungezwungen, ganz ruhig. Er ist immer ganz ruhig, nicht wahr? Er schreit dich nie an, er tobt nie herum. Er ist eiskalt ... wie ein Gletscher. Ich würde meinen letzten Credit darauf verwetten, dass sein Puls nie über siebzig geht, nicht einmal dann, wenn er gerade  jemanden in seine Einzelteile zerlegt. Aber das kann natürlich auch an seinem  Zustand liegen. Wer weiß, vielleicht hat er ja einen Herzschrittmacher oder irgendwas in dieser Art ...“

 

Leias fein geschwungener Mund formte ein mattes durchsichtiges Lächeln voller bittersüßer Spottlust und jetzt war es Luke, der nach ihrer Hand griff. Wie klein und kalt sie in der künstlichen Wärme seiner Rechten  lag ...

 

Leia erwiderte den sanften Druck seiner Finger leicht, bevor sie  fortfuhr: „Er steht also vor mir und wippt mit der bestpolierten Stiefelspitze der ganzen imperialen Flotte auf und ab und schließlich fragt er mich in aller Ruhe, ob er mir mal erzählen soll, wie und warum er mich so schnell geschnappt hat. Ich ignoriere ihn natürlich, ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren ... oder vielleicht auch nur das letzte bisschen Würde, das mir nach ein paar Sitzungen mit ihm und seinem kleinen Folterspielzeug noch geblieben ist.“

 

„Leia“, sagte Luke voller Unbehagen.

 

„Nein. Kein Mitleid. Nicht jetzt. Hör mir einfach nur zu, ja? Das hier ist wichtig – für uns beide! Wo bin ich stehen geblieben? Ach ja …

  

Also ich schweige vor mich hin und versuche Vader zu übersehen, aber es ist nicht gerade leicht, ihn zu übersehen, nicht wahr? Er hat etwas an sich, das ihn einfach unübersehbar macht. Ich meine, man würde ihn sogar mit geschlossenen Augen irgendwie sehen − sogar dann, wenn er nicht die ganze Zeit vor sich hinkeuchen  würde wie Han nach diesem lächerlichen Laufbretttraining, mit dem er sich jeden Tag abquält.

 

Aber ich bin nun einmal dazu entschlossen, wenigstens so zu tun, als ob Vader Luft für mich ist. Also liege ich auf dieser scheußlichen Pritsche, starre vor mich hin und tue einfach so, als ob er nicht existiert. Irgendwann fange ich sogar damit an, die Alderaan–Hymne vor mich hin zu summen − nicht weil mir nach Singen zumute ist, sondern nur, um ihn zu ärgern. Aber das beeindruckt  ihn natürlich überhaupt nicht. Er bleibt an  dieser  verdammten Wand stehen und erzählt es mir trotzdem.

 

Wir hätten alle schon seit Jahren unter Verdacht gestanden, die Allianz zu unterstützen, sagt er zu mir. Die ganze Familie Organa hätte schon die ganze Zeit unter Verdacht gestanden und ich wäre inzwischen praktisch der heimliche Staatsfeind Nummer Eins wegen all dem schwachsinnigen subversiven Geschwafel, das ich im Senat bei jeder Gelegenheit von mir gegeben hätte. Und deshalb hätte es ihn auch kein bisschen  überrascht, als der ISB Alarm geschlagen und ihm gemeldet hätte, dass ein Hacker in die Datenbanken des Kriegsministeriums eingebrochen wäre und dass eine Kopie der Todesstern–Konstruktionspläne an einen alderaanischen Kreuzer im Orbit von Coruscant gefunkt worden sei.

 

Nein, er, allwissend und unfehlbar, wie er nun einmal ist, hätte sofort Bescheid gewusst − vor allem, nachdem die Orbitalkontrolle durch einen ID−Scan festgestellt hätte, dass dieser Kreuzer ausgerechnet die Tantive IV war. Mit anderen Worten: der fliegende Teppich von Prinzessin Herzschmerz persönlich, kreuz und quer durch die Galaxis bekannt durch tausendundeine melodramatische Hilfsaktion und viel zu viele sensationsgierige Reporter, die um jede potenzielle Schlagzeile herumschwirren wie ein Schwarm Aasgeier um einen frischen Kadaver.  (Du brauchst mich gar nicht so anzusehen, Luke, ich zitiere ihn nur. Ja, genau das hat er zu mir gesagt, Wort für Wort. Ob du es glaubst oder nicht, Vader kann tatsächlich reden − wie ein Buch, wenn es sein muss!)

 

Tja, aber die Tantive wäre natürlich schon in den Hyperraum gesprungen, bevor er dazu gekommen sei, die Furien imperialer Gerechtigkeit auf mich loszulassen. Und deshalb hätte er einfach das Nächstbeste getan und wäre gleich nach Alderaan geflogen, um sich für den Anfang wenigstens meine Eltern vorzuknöpfen. Und obwohl es wirklich grausam wäre,  nach allem, was ich gerade durchgestanden hätte, und obwohl ihm persönlich  das Herz dabei bluten würde, müsste er mich leider, leider endlich mit der bitteren Wahrheit konfrontieren und mir mitteilen, dass Bail Organa und seine Frau nicht eine Sekunde lang gezögert hätten, mich über Bord zu werfen, um ihre eigene Haut zu retten.

 

Oh ja, sie hätten mich, ihr Fleisch und Blut, sofort verraten, er hätte sich nicht einmal die Mühe machen müssen, sie in die Mangel zu nehmen. Kein Haar hätte er ihnen gekrümmt und trotzdem wären sie sofort umgefallen und hätten ihm alles gestanden, was er wissen wollte. Nur deshalb hätte er die Tantive  vor Tatooine abfangen und mich einfangen können. Ja, es sei wirklich eine Schande, aber meine Eltern hätten offenbar nicht einen Gedanken an mein trauriges Schicksal verschwendet,  sie wären ja auch viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, für sich selbst um Gnade  zu winseln. Alles in allem sei es  die jämmerlichste Vorstellung seines ganzen Lebens gewesen und er würde mich zutiefst bedauern. Ich wäre ja nur ein aufgehetztes Kind voller naiver  Ideale, das  von machtgierigen Intriganten zwischen die Mahlsteine der Politik getrieben worden sei.

 

Ob ich mir denn tatsächlich einbilden würde, dass ich den Rebellen irgendetwas bedeuten würde, wenn sogar meine eigenen Eltern in mir offensichtlich nicht mehr sehen  würden als eine  Figur in einem galaxisweiten Schachspiel – noch dazu einen Bauer, den man ohne weiteres opfern kann. Ob ich denn jetzt nicht endlich einsehen würde, dass man mich nur benutzt hätte, dass man mich aus purem Egoismus als  Spion oder zumindest als Kurier missbraucht und mich damit in den sicheren Tod gejagt hätte – denn ich wäre schon so gut wie tot, das könnte  er mir garantieren. 

 

Ja, ja, ich  würde hoffnungslos in der Falle sitzen und nie wieder herauskommen und er, Vader,  wäre alles, was jetzt noch zwischen mir und dem Erschießungskommando stehen würde. Er wäre  buchstäblich der letzte Freund, den ich jetzt noch hätte, nein, er wäre überhaupt der einzige wahre Freund, den ich je gehabt hätte. Denn er hätte ja eigentlich gar nichts gegen mich, ganz im Gegenteil: Er würde mich sogar aufrichtig bewundern für meinen Mut, für meine Aufopferungsbereitschaft und all das. Und er würde mir zu gerne helfen,  wenn ich ihn nur ließe. Ja, er würde mich retten und das mit Freuden – wenn ich nur ein kleines bisschen kooperieren und ihm endlich erzählen würde, wo der  Stützpunkt der Rebellen wäre ...

 

Und so ging es endlos weiter, Luke. Es war, als würde er nie wieder damit aufhören, auf mich einzureden. Und weißt du, was das Schlimmste daran war? Das Schlimmste daran war, dass Vader es um ein Haar geschafft hätte. Er hätte mich beinahe davon überzeugt, dass meine Eltern mich nur benutzt haben, dass sie mich im Stich gelassen haben, dass es keine Menschenseele  wirklich kümmert, was aus mir wird, dass nur er mir helfen kann und will.

 

Dabei war ich mir ganz sicher, dass er mich angelogen hatte, denn wenn meine Eltern mich und damit die Allianz tatsächlich verraten hätten, dann hätte Vader ja längst gewusst,  dass die Rebellen auf Yavin waren und dass ich nur nach Tatooine unterwegs war, um General Kenobi dort abzuholen. Aber davon hatte er offensichtlich keine Ahnung. Ich war mir also hundertprozentig sicher, dass Vader nur bluffte, dass er mir nur etwas vormachte. Und trotzdem wäre ich fast auf ihn hereingefallen.

 

Ja,  Luke, ich hätte ihm beinahe geglaubt. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas in mir wollte ihm glauben … Er kann sehr überzeugend sein, wenn er es darauf anlegt ...“

 

Luke starrte auf ihre ineinander verflochtenen Hände hinunter. „Und wie ist diese … Unterhaltung ausgegangen?“

 

„Oh, irgendwann hat er sich direkt neben meiner Pritsche aufgestellt, auf mich heruntergesehen und honigsüß gesagt, wie Leid ihm das Ganze täte. Es wäre wirklich jammerschade um mich, es wäre ja so eine Verschwendung, wenn ich sterben müsste.  Ob ich mich nicht doch noch dazu durchringen könnte, meine Talente in den Dienst der Galaxis zu stellen, statt mit diesem Selbstzerstörungstrip weiterzumachen. Das Imperium hätte nämlich durchaus Verwendung für jemandem von meinem Format und für ihn selbst wäre es eine Ehre und ein Vergnügen, mein Mentor zu sein. Warum auch nicht – ich hätte schließlich etwas viel Besseres verdient als das, was diese armseligen Karikaturen von Eltern für mich vorgesehen hätten.

 

An diesem Punkt habe ich ihn angespuckt oder es jedenfalls versucht – mein Mund war so ausgetrocknet, dass ich keinen Tropfen Speichel zusammenbekommen konnte. Ich dachte, er würde wütend werden, aber er hat einfach nur gelacht. Dann ist er hinausgegangen. Keine zehn Minuten später war er wieder da – zusammen mit seinem Inquisitionskommando und dem ganzen Rest. Danach war es die  übliche Prozedur … und  Vader hat dabei nicht gerade den Eindruck gemacht, als würde ihm meinetwegen das Herz bluten, das kann ich dir sagen ...

 

Ich glaube, es war genau in diesem Augenblick, als ich mir geschworen habe, dass ich nicht sterben werde. Nicht bevor ich doch noch gespuckt habe – und zwar auf seine Leiche!

 

Und wenn du irgendetwas daraus lernen kannst, Luke, dann nur das hier: Vader ist vielleicht der Vater aller Lügen, aber ganz bestimmt nicht deiner“,  endete Leia  schroff.

 

Luke kam nicht umhin, gewisse Parallelen zwischen Leias Feuertaufe und seiner eigenen auf Bespin zu erkennen. Vaders ganzes Auftreten, dieses Hin und Her zwischen Gewalttätigkeit und Fürsorge, Drohung und Verführung … Hätte Luke nicht über Informationen verfügt, die seiner Schwester noch fehlten, Informationen, die ihm absolute Gewissheit verliehen, er hätte angesichts ihrer Geschichte ins Wanken geraten können. Aber so …

 

Leias Stimme, scharf vor Argwohn, schnitt durch seine Gedankenkette wie ein Laserschwert. „Sag jetzt nur nicht, dass du immer noch an dieses Märchen glaubst. Sag nicht, dass Vader  dich schon so eingewickelt hat, dass du ihm sogar mehr glaubst als  Obi-Wan Kenobi.“

 

Aber genau das ist ja der Haken bei der ganzen Sache, dachte Luke wehmütig. Ach Ben, wenn du nur nicht so versessen darauf gewesen wärst, mich vor der rauen Wirklichkeit zu beschützen ... Du hättest es mir sagen müssen. Du hättest es uns sagen müssen ...

 

„Denn wenn er dir kein Märchen aufgetischt hat, dann müsste Obi-Wan  von Anfang an die Sterne vom Himmel heruntergelogen haben und das ist völlig ausgeschlossen! Unmöglich!“

 

In Leias spürbarem Triumph über ihre streng logische Schlussfolgerung lag eine gewisse Erleichterung, was Luke nicht entging. Sie war nicht bereit gewesen für die Enthüllung seiner Familientragödie und sie war sogar noch weniger bereit für die Enthüllungen, die ihr jetzt unmittelbar bevorstanden. Luke hätte alles darum gegeben, ihr das ersparen zu können, aber er hatte keine andere Wahl mehr.

 

 

„Leider nicht, Leia“, sagte er. „Ben hat mich angelogen. Natürlich nur zu meinem eigenen Besten und all das, aber das ändert auch nichts daran, dass er mir damals ein Märchen aufgetischt hat. Obwohl er todsicher felsenfest davon überzeugt war, dass er immer die reine Wahrheit und nichts als die  Wahrheit verkündet hat. Mit ein paar kleinen Schönheitskorrekturen vielleicht, aber immerhin die Wahrheit - jedenfalls  von seinem Standpunkt aus  ...“ Luke musste unwillkürlich lächeln, als er sich an die ebenso spitzfindige wie bequeme Philosophie seines ersten Lehrers erinnerte.

 

Aber Leia stellte sofort die Stacheln auf. „So ein Unsinn! Wie kommst du nur darauf?“

 

„Weil er es selbst zugegeben hat, als ich ihn vor ein paar Tagen auf Dagobah gesehen  habe.“

 

Erst als Leia sich zu ihm vorbeugte und kühle Finger seine Stirn streiften,  um auszusondieren, ob er  möglicherweise im Fieberwahn vor sich hin delirierte, wurde Luke bewusst, wie merkwürdig diese Behauptung in ihren Ohren klingen musste.

 

„Es gibt da eine ganze Menge Dinge, die ich dir noch erklären muss, Leia.“

 

„Tja, das Gefühl habe ich auch.“

 

„Ich weiß nur  nicht, wie ich anfangen soll, das ist das Problem. Es ist alles so kompliziert ...“

 

„Was du nicht sagst!“ klang es trocken zurück.

 

„Eigentlich  hat es auf Hoth angefangen. Es war während dem Schneesturm, nachdem ich  gerade diesem Wampa entkommen war, der sein Abendessen unbedingt mit einem Nachtisch aus Skywalker-Hackfleisch krönen wollte. Da ist Ben zum ersten Mal zu mir gekommen. Das  heißt, da habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Gehört habe ich ihn schon bei Yavin, aber damals habe ich es noch für eine Halluzination gehalten. Doch auf Hoth ist er zu mir gekommen,  um mir zu sagen, dass ich nach Dagobah fliegen soll.“

 

„Äh ... Luke? Ich erinnere dich ja nicht gerne daran, aber Kenobi ist tot - und das schon ziemlich lange!“

 

„Ich weiß, dass Ben tot ist. Aber das hat ihn offensichtlich nicht davon abgehalten, mir zu erscheinen.“

 

„Du hast seinen Geist gesehen?“

 

„Ich glaube nicht, dass ‚Geist’ das richtige Wort dafür ist. Ich würde es eher als Vision  bezeichnen.“

 

Leia rollte eine lange glänzende Haarsträhne um ihren Zeigefinger auf und studierte mit großer Konzentration  ihre gänzlich splissfreien  Spitzen. Luke war nicht ganz  sicher, wie er das Ausbleiben ihres  Kommentars interpretieren sollte, aber eines stand fest: Dieses Gespräch hatte sich ab irgendeinem Punkt, den er nicht mehr nachvollziehen konnte, in die falsche Richtung entwickelt und es wurde von Minute zu Minute schlimmer. Vader hatte seinem Sohn offensichtlich alle möglichen Talente vererbt, aber bestimmt nicht die Fähigkeit, wie ein Buch zu reden, wenn es sein musste. Vielleicht verhielt es sich aber auch einfach so, dass Vaders Beredsamkeit zusammen mit seiner Brutalität allein durch Leias Halsstarrigkeit zum Äußersten getrieben worden war.

 

 „Wie auch immer ... jedenfalls hat Ben mir bei dieser Gelegenheit gesagt, dass auf Dagobah ein Jedimeister namens Yoda auf mich wartet und dass ich bei ihm meine  Ausbildung fortsetzen soll.“

 

Leia verlor sofort das Interesse an ihren Haaren. „Du warst bei einem neuen Jedimeister?“

 

„Na ja, neu nicht gerade. Eher alt. Sehr, sehr alt. Um genau zu sein: Er war der letzte Jedimeister überhaupt. Er hat das Ende des Ordens nur überlebt, weil er gerade noch entkommen ist. Dagobah  ist genau so klein,  abgelegen und unbedeutend wie Endor, deshalb war er dort relativ sicher. Er hat  viele Jahre lang mitten in dem trostlosesten Schlammloch gehaust, das du dir nur vorstellen kannst, und das ganz allein. Obwohl  Ben ihn wohl ab und zu besucht hat.“

 

„Leibhaftig oder als Gespenst?“

 

Luke unterdrückte nur mit Mühe seine aufflackernde Gereiztheit - Aggression gehörte zur dunklen Seite der Macht. Trotzdem fiel sein Tonfall eindeutig eine Spur zu bissig aus, als er  zurückgab: „Beides!“

 

Er wartete einen Augenblick, doch als Leia sich hartnäckig ausschwieg, fuhr er fort: „Na schön, jetzt weißt du immerhin, wo ich war, nachdem uns die Imperialen von  Hoth verscheucht hatten und auch, nachdem wir Han auf Tatooine herausgepaukt hatten. Ich war bei Yoda, um von ihm zu lernen, was ich nur lernen konnte und das war eine ganze Menge.

 

Er hat mir erstaunlich viel beigebracht in den paar kurzen Wochen, die wir miteinander verbracht haben.  Mehr Zeit ist uns leider nicht geblieben – er ist gestorben, als ich das letzte Mal bei ihm war. Er war wohl schon eine ganze Weile krank ... Ich glaube,  das Einzige, was ihn überhaupt noch so lange am Leben gehalten hat, war die Hoffnung, mich wieder zu sehen.

 

Aber der springende Punkt dabei ist, dass Yoda alles bestätigt hat, obwohl er es nicht gerne getan hat. Vader ist definitiv mein Vater. Und Yoda hat mir noch etwas über meine Familie erzählt ... etwas, das nicht einmal Vader weiß. Etwas, das auch dich betrifft, Leia. Vor allem dich.“

 

Doch Leia hatte jetzt endgültig genug. Sie sprang auf und rief: „Falsch! Der springende Punkt dabei ist, dass dein Jedimeister höchstwahrscheinlich für das Imperium gearbeitet hat! Gerade noch entkommen - dass ich nicht lache! Wer weiß schon, was damals wirklich passiert ist? Wenn sogar ein Anakin Skywalker zum Verräter werden konnte,  wer kann dann noch mit Sicherheit sagen,  dass das nicht auch bei anderen  Jedis der Fall war? Vielleicht hat der Imperator noch viel mehr abtrünnige Jedis rekrutiert. Es könnten Dutzende sein, Hunderte! Vielleicht gibt es ja eine ganze Armee von Renegaten-Jedis, die seit Jahren  unter  falschen Identitäten überall herumschleichen und Gott weiß was treiben.“

 

Leia beugte sich ein wenig vor und sagte beschwörend. „Denk doch nach, Luke! Wenn dieser Yoda wirklich das  war, was er behauptet hat - ein Jedimeister auf der Flucht -, warum ist er dann nicht einfach zu uns gekommen? Warum hat er sich lieber in irgendeinem trostlosen Schlammloch verkrochen, statt sich der Allianz anzuschließen und an unserer Seite  gegen das Imperium zu kämpfen? Wäre das nicht die erste Pflicht jedes überlebenden Jedis gewesen? Wäre das nicht genau das, was jeder echte Jedi in so einer Situation getan  hätte?“

 

Luke war so verblüfft über diesen Kunstgriff, mit dem Leia blitzartig alle Fakten auf den Kopf gestellt hatte,  dass er kaum wusste, was er sagen sollte. Tatsächlich war er selbst nie auf die Idee gekommen, den winzigen grünhäutigen Jedimeister nach dem Grund für sein langes Exil zu fragen, obwohl er ihn vor allem in seinen ersten Tagen auf Dagobah mit einer endlosen Serie von Wieso-Weshalb-Warums bombardiert hatte. (Was erst geendet hatte, als  Yoda Luke mit einem milden, aber unmissverständlichen „Von allen Fragen befreie deinen Geist!“  erfolgreich geknebelt hatte.)

 

„Ich weiß nicht, was jeder Jedi in so einer Situation getan  hätte, aber Meister Yodas Motive sind über jeden Zweifel erhaben - zumindest was mich angeht“, sagte er bestimmt. „Vielleicht wäre es ja einfach zu viel für ihn gewesen, ständig mit uns  durch die Gegend zu ziehen.  Er war wirklich unglaublich alt.“

 

„Oder unglaublich feige.“

 

„Leia!“

 

„Oder es war einfach nur eine Falle - eine Falle speziell für dich. Es passt alles viel zu gut zusammen, Luke, siehst du das nicht? Erst macht Vader dich fertig, dann redet er dir ein, dass er dein stolzer Erzeuger ist. Und plötzlich fällt dieser uralte Jedi praktisch vom Himmel und sagt zu allem Ja und Amen. Was für ein Zufall!“

 

„Aber so war es doch gar nicht - also wirklich, du bringst alles durcheinander! Die Sache mit Yoda hat doch schon vor Bespin angefangen. Und wenn er für das Imperium gearbeitet hätte, dann hätte er doch wohl alles getan, um mich Vader buchstäblich in die Arme zu treiben, oder?  Aber das hat er nicht, ganz im Gegenteil: Als ich nach Bespin fliegen wollte, hat Yoda alles versucht, um mich davon abzuhalten.

 

Und später hat er es aufrichtig bedauert, dass ich meinen Kopf doch noch durchgesetzt habe, weil ich seiner Meinung nach noch nicht reif genug war, um all das zu verkraften.  Und am Ende hat er mich noch einmal ausdrücklich vor Vader und dem Imperator gewarnt. Das klingt nicht gerade so, als wäre er auf ihrer Seite gewesen, oder?“

 

Doch Leia schüttelte eigensinnig den Kopf. „Nehmen wir mal an, das alles wäre nur ein  besonders abgefeimtes Komplott ...“

 

 

„Nein, nehmen wir mal an, du wärst eine unerträgliche Besserwisserin mit einem Hang zu Verfolgungswahn“, schnappte Luke zurück. Er war mit seiner Geduld am Ende. Warum musste sie es ihm auch so schwer machen?

 

„Was soll das, Leia? Du kannst dich nicht einfach hinstellen und mit Verdächtigungen und Beschuldigungen nur so um dich werfen und dabei alle Tatsachen unter den Tisch fallen lassen, die nicht in dein Bild passen. Was ist zum Beispiel mit meiner Vision von Ben?“

 

„Ich lasse gar nichts unter den Tisch fallen. Ich versuche nur, dir begreiflich zu machen, dass die Dinge vielleicht ganz anders sind, als man dir eingeredet hat.“

 

Niemand hat mir irgendetwas eingeredet!“

 

„Und was ist, wenn du dir selbst etwas eingeredet hast? Was ist, wenn deine angebliche Vision doch nur eine Halluzination war? Glaubst du etwa, dass du unverwundbar bist, Luke? Glaubst du, all das, was du bis heute durchgemacht hast, hat keine Spuren bei dir hinterlassen?“

 

Leia sog den Atem ein und rang sichtlich um Selbstbeherrschung, bevor sie weitersprach. „Obi-Wan war enorm wichtig für dich, Luke, nicht nur, weil er dein Lehrer war, sondern auch,  weil er das letzte Bindeglied zwischen dir und Tatooine war. Er war alles, was dir noch geblieben war, nachdem du  gerade deine letzten Verwandten, dein Zuhause, dein ganzes altes Leben verloren hattest.

 

Und noch bevor du Zeit hattest,  mit diesem Verlust fertig zu werden,  musstest du mit ansehen, wie Obi-Wan von Vader getötet wurde. Und das war möglicherweise für dich ein bisschen zu viel. Vielleicht ist niemand je reif genug, um so etwas zu verkraften. Vielleicht hast du ja so etwas wie einen posttraumatischen Schock und es hat sich erst auf Hoth so richtig bemerkbar gemacht. Du warst damals immerhin verletzt, stark unterkühlt und in akuter Lebensgefahr ... Unter diesen Umständen hätte wahrscheinlich jeder Halluzinationen.“

 

Sie legte noch eine kurze Pause ein, bevor sie zum entscheidenden Schlag ausholte. „Und außerdem: Wer sagt dir denn, dass nicht Vader und dieser Yoda für deine so genannten Visionen verantwortlich sind?“

 

Luke war so frustriert, dass er kurz davor war aufzugeben und einfach auf- und davonzugehen. Was er sich als Aussprache gedacht und als Familienzusammenführung erhofft hatte, artete mehr und mehr in einen handfesten Streit aus. Er fragte sich, was er falsch gemacht hatte. Oder lag es etwa gar nicht an ihm? Leia war immer so aufgeschlossen gewesen, wenn es um das ging, was Han grundsätzlich nur „diesen verrückten Jedi-Kram“ nannte. Aber jetzt hatte Luke den deutlichen Eindruck, dass Hans reichlich prosaische Einstellung mehr und mehr auf  Leia abfärbte. Wie sollte er ihre Argumentation widerlegen, wenn sie sich darauf versteifte, die Dinge rein pragmatisch zu sehen? Wobei „rein pragmatisch“ in diesem Fall nichts anderes bedeutete als  „mit Scheuklappen“ ...

  

Wäre das hier genauso gelaufen, wenn wir miteinander  aufgewachsen wären? Oder wären wir uns dann so nahe gewesen wie die Schalen einer Muschel, so nahe, dass uns nichts und niemand etwas hätte anhaben können?

 

Aber  nicht einmal  offizielle  Zwillinge waren rund um die Uhr ein Herz und eine Seele ...

 

Luke musste trotz allem ein wenig schmunzeln, als er sich vorstellte, wie eine gemeinsame Kindheit  mit Leia in der Praxis ausgesehen hätte. Kein rosarotes und himmelblaues Geschwisteridyll, oh nein - nicht für zwei Skywalkers mit dem Skywalker-Temperament!

 

Wir hätten um ihr Puppenhaus und meine Modellflieger gerauft, als wir noch klein waren. Als Teenager hätten wir uns darüber gezankt, wer von uns die brandneue Holodisc verschlampt hat oder schon wieder alleine die Mathehausaufgaben für uns beide ausbrüten muss. Ich hätte mich über Leias Zöpfe und die Pickel ihres allerersten Schwarms lustig gemacht und sie hätte mir erzählt, dass ich aussehe  wie ein Gundark in der Mauser und dass meine neueste Flamme riecht wie ein nassgeschwitztes Tauntaun. Wir hätten  uns wegen jeder Kleinigkeit  gestritten,  dass die Fetzen fliegen ... und  wir  hätten  uns so sehr geliebt, dass wir mit allem und jedem fertig geworden wären ...  mit Vader und mit dem ganzen verdammten Rest ...

 

Und plötzlich fühlte Luke eine große Traurigkeit. Du hattest kein Recht, uns das vorzuenthalten, Ben! Keiner von euch hatte das Recht, uns das anzutun, uns einfach auseinander zu reißen, uns nach Alderaan und Tatooine zu verschleppen und dafür zu sorgen, dass wir uns nie zu Gesicht bekommen ...

 

Wir hätten sterben können! Wir könnten jetzt beide tot sein, Leia und ich, ohne uns gekannt  zu haben, ohne uns auch nur ein einziges Mal begegnet zu sein ...

 

Aber sie waren nicht tot. Und sie waren auch nicht mehr voneinander getrennt, eine Zweiheit, wo eine Einheit hätte sein sollen. Sie waren wieder miteinander vereint. Und  wenn sie auch nie nachholen konnten, was sie versäumt hatten - all die kleinen  Freuden und Leiden einer gemeinsamen Jugend -, so war es ihnen doch wenigstens vergönnt, die großen Freuden und Leiden der Gegenwart miteinander zu teilen. Und das war gut so.

 

Lukes Frustration löste sich in Wärme auf und als er Leias herausforderndem Blick begegnete, fühlte er nur noch Zuneigung. Als er sie wortlos anlächelte, liebevoll und nachsichtig zugleich, schmolz Leias Widerstand sofort dahin. Sie sah verlegen zur Seite, weigerte sich ihn anzusehen, zu stolz um zuzugeben, dass schon ein Lächeln sie dazu bringen konnte, die Waffen zu strecken. Oder verbarg sich hinter diesem Ausweichmanöver etwas ganz anderes?

 

Lukes Bewusstsein streifte Leias Ego so leicht wie die Spitze einer Vogelschwinge die schillernde spiegelnde Wasserfläche eines kühlen, klaren Sees. Der Kontakt war so  kurz, dass er nicht mehr erlaubte als die flüchtigste aller Impressionen und doch war plötzlich alles so klar ...

 

  

Sie hatte Angst, panische Angst! Er hatte versucht, es ihr schonend beizubringen, mit einem Fingerzeig hier und einem kleinen Wink da, aber Leia war zu intelligent und  zu einfühlsam, um nicht längst hinter seinen  zaghaften Andeutungen das lauern zu sehen, was für sie der ultimative Alptraum sein musste. Er hatte sie mit  Hinweisen umzingelt und mit  Anspielungen langsam eingekreist und jetzt fühlte sie sich von ihm rettungslos in die Enge getrieben. Sie stand am Rand eines Abgrundes und sie wusste es ... War es da ein Wunder, dass sie auszubrechen versuchte, dass sie sich wand und sträubte, dass sie diskutierte und stritt? Konnte Luke es ihr verdenken,  dass sie seit seiner unsicheren Ouvertüre alles tat, um dieses Konzert in die Länge zu ziehen, und das nur in der verzweifelten Hoffnung, den unvermeidlichen Schlussakkord so lange wie möglich hinauszuzögern?

 

Er musste dieser Farce ein Ende machen. Sofort. 

 

Er umfasste Leias Schultern, sanft, aber entschieden genug, um ihr zu zeigen, dass es jetzt Ernst wurde.  „Bist du denn gar nicht neugierig auf das, was Yoda mir noch erzählt hat?“

 

Sie weigerte sich immer noch ihn anzusehen.  „Nein!“

 

„Er hat gesagt ...“

 

„ICH WILL ES NICHT WISSEN!“ Sie wollte sich losreißen, weglaufen, aber Luke hielt sie unerbittlich fest.

 

„... dass du meine Zwillingsschwester bist.“

 

Jetzt starrte sie ihn an, nichts als großäugige ungläubige Bestürzung. „Das kann gar nicht sein! Das ist doch absurd!  Wir sind nicht einmal am gleichen Tag geboren worden… nicht einmal im gleichen Monat!“

 

„Was bedeutet schon ein Geburtstag, wenn man ein Datum genauso leicht fälschen kann wie einen Namen, eine Herkunft, einen ganzen Lebenslauf? Für so einflussreiche Leute wie die Organas dürfte es kein großes Problem gewesen sein, an alle notwendigen Papiere heranzukommen, um dein plötzliches Auftauchen zu erklären und deine legale Adoption zu bescheinigen. Und das war auch gut so, Leia, es war wirklich gut und wirklich wichtig, denn sie mussten um jeden Preis verhindern, dass irgendjemand damit anfängt, Fragen über dich und deine leiblichen Eltern zu stellen.“

 

„Warum ...?“

 

„Weil niemand von unserer Existenz erfahren durfte.  Obi-Wan  war sich darüber im Klaren, dass der Imperator sofort hinter uns beiden her sein würde. Palpatine wäre buchstäblich über Leichen gegangen, um jeden potenziellen Jedinachwuchs in die Finger zu bekommen - oder  um diesen Jedinachwuchs aus dem Weg zu räumen, bevor er alt genug ist, um eine Bedrohung für ihn darzustellen.

 

 

Vielleicht hätte er  uns aber auch schon deshalb gejagt, weil wir als Vaders Kinder die perfekten Geiseln gewesen wären. Stell dir das nur vor, Leia: Der Imperator hätte auf einen Schlag für immer sichergestellt, dass Vader nie auch nur versuchen würde, seine Leine durchzubeißen. Das heißt natürlich nur, falls Vader so etwas wie einen Beschützerinstinkt für uns entwickelt hätte.

 

Aber wer  kann schon sagen, wie Vader damals tatsächlich auf uns reagiert hätte? Vielleicht hätte es ja gar keine Beschützerinstinkte oder Vaterfreuden bei ihm ausgelöst, sondern das genaue Gegenteil.  Ich meine, er hat damals immerhin ... ach, lassen wir das lieber“,  murmelte Luke peinlich berührt, als ihm plötzlich aufging, dass es nicht gerade intelligent oder  einfühlsam war, Leia ausgerechnet jetzt mit der Nase darauf zu stoßen, dass nicht alle Jedis, die Vader zum Opfer gefallen waren, alt genug gewesen  waren, um für wen auch immer eine Bedrohung darzustellen.

 

Doch Leias versteinerter Ausdruck ließ ihn erkennen, dass sie ihm wie üblich um mindestens zwei Ecken voraus war.

 

Luke fuhr hastig und ein wenig verlegen fort: „Auf jeden Fall musste Obi-Wan uns sofort verschwinden lassen und unsere Spuren so gut wie möglich verwischen und das hat er auch geschafft.  Ich weiß nicht,  wie weit unsere Mutter daran beteiligt war oder wann genau die Organas ins Spiel gekommen sind, aber eines weiß ich ganz genau: Sie alle wollten uns einfach nur in Sicherheit bringen.

 

Zu schade, dass sie uns dafür trennen mussten, aber es ging wohl nicht anders. Ein Kind ist leichter zu verstecken als zwei. Vielleicht war es auch so eine Art Risikostreuung: Wäre einer von uns gefunden worden, wäre der andere trotzdem weiter in Sicherheit gewesen. Außerdem gibt es da noch einen Risikofaktor, der es wahrscheinlich unmöglich gemacht hat, uns zusammen aufwachsen zu lassen.“

 

„Warum ...?“

 

„Yoda hat gesagt,  die Macht ist stark in meiner Familie. Wer weiß, was wir beiden angestellt hätten, wenn wir zusammengeblieben wären?  Vielleicht hätten wir uns  ja gegenseitig beigebracht, mit der Macht umzugehen, sobald wir aus den Windeln  heraus gewesen wären. Wir hätten damit herumgespielt, bis Palpatine und Vader uns entdeckt hätten.  Und dann ...“

 

„WARUM TUST DU MIR DAS AN?!“

 

Leias Stimme war grell vor Schmerz und da war etwas in ihren flammenden Augen, das Luke nie zuvor darin gesehen hatte, etwas Wildes, etwas Fremdes, etwas ... Dunkles ...

 

„Weil ich es tun muss. Weil unsere Schonzeit abgelaufen ist. Weil wir es uns nicht mehr leisten können, uns hinter Lügen und Märchen zu verstecken. Weil hier und jetzt alles auf Messers Schneide steht, weil jederzeit alles Mögliche passieren kann und weil du darauf  vorbereitet sein musst. Weil es besser für dich ist, die Wahrheit von mir zu erfahren, als sie eines Tages von irgendjemandem ins Gesicht geschleudert zu bekommen, der dich damit zerstören will.“

 

Luke hielt inne und sah in die weit aufgerissenen dunklen Augen hinein, die wie  schwarze Löcher  aus der erschütterten weißen Maske eines tragischen Harlekins zurückstarrten. „Ich weiß, wie hart das alles für dich ist. Ich wünschte, ich hätte es dir nicht sagen müssen.  Es tut mir Leid, Leia,  so unendlich Leid ...“

 

Er wollte sie an sich ziehen, sie trösten, ihr das Gefühl vermitteln, dass sie nicht alleine war mit dieser gnadenlosen Wahrheit. Doch Leia befreite sich von seiner Umarmung wie von einer Fessel und wich zwei Schritte zurück.

 

„Nein! Das ist nicht wahr! Das ist unmöglich ... UNMÖGLICH!!!“

 

Es war Wort für Wort dieselbe Verleugnung, die Luke nur wenige Monate zuvor auf Bespin herausgeschrien hatte, und es lag dieselbe Trostlosigkeit darin, derselbe Horror, den er damals empfunden hatte. Er hatte mit Leias  Reaktion gerechnet, aber womit er nicht gerechnet hatte, war seine eigene Hilflosigkeit angesichts ihrer Qual.

 

Doch was ihn  noch viel mehr aufwühlte, war die Art und Weise, wie sie ihn zurückstieß, wie sie versuchte, ihn ganz und gar von ihrem Leid auszuschließen. Die  Ungerechtigkeit von Leias rigoroser Ablehnung schnitt tiefer in Lukes Herz als alles andere, galt sie doch offensichtlich nicht nur ihrem neu entdeckten Vater. Statt Luke einfach um den Hals zu fallen und eine Bürde mit ihm zu teilen, die für jeden von ihnen viel zu schwer war, zog sich Leia von ihm zurück. Das war verwirrend und sehr, sehr beunruhigend ...

 

„Jetzt weißt du, warum ich zu Vader gehen muss“, sagte Luke gepresst. „Ich muss ihn ablenken. Und ich muss wenigstens einmal mit ihm reden ... oder es zumindest versuchen. Ich mache mir keine großen Hoffnungen, wenn ich ehrlich bin, aber ich muss es trotzdem versuchen. Verstehst du das?“

 

„Nein.“

 

Es war seltsam, wie endgültig, wie unwiderruflich ein so völlig ton- und ausdrucksloses Nein klingen konnte.

 

„Leia ...“

 

„Du wirst nicht zu ihm gehen.“ Leias Blick war kalt und strahlend wie Eis in der Morgensonne. „Du wirst hier bei uns bleiben, wo du hingehörst. Und morgen wirst du mit uns zum Schutzschildgenerator gehen. Du wirst deine Pflicht tun so wie wir alle, statt auf- und davon zu laufen und für nichts und wieder nichts den Heldentod zu sterben.“

 

„Es wird kein Morgen für uns geben, wenn ich jetzt hier bleibe. Sei doch vernünftig, Leia.“

 

„Sie ist vernünftig - ganz im Gegensatz zu dir, Junior!“ sagte eine vertraute Stimme irgendwo hinter ihnen.

 

 

Unter anderen Umständen hätte Luke jetzt nichts lieber gesehen als den Mann, dessen krisenfeste Persönlichkeit ihn zu einem zuverlässigen Verbündeten in allen Kämpfen machte. Aber so, wie die Dinge nun einmal lagen, gab es gerade jetzt kaum jemanden, den Luke in diesem Augeblick weniger gern gesehen  hätte als Han Solo -  vor allem nach dieser Bemerkung, mit der er sofort ganz offen Partei ergriffen hatte.

 

„Sorry, dass wir hier so reinplatzen. Eigentlich wollten wir nur mal nachsehen, wo ihr zwei abgeblieben seid. Aber dann ...“

 

Han vollendete seine Erklärung mit einem viel sagenden Achselzucken. Sein Grinsen war ein klein wenig schiefer als sonst - er hatte offensichtlich alles gehört, was er wissen musste, und sehr viel mehr, als er wissen wollte. Und das galt nicht  nur für ihn  allein: Chewie, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte, schüttelte nachdenklich seinen großen Kopf und gab ein besorgtes Brummeln von sich.

 

Leia, für Sekunden von Kopf bis Fuß eingefroren vor Schock über die unerwartete Veröffentlichung ihres Familiendramas,  erwachte abrupt wieder zum Leben. Sie stürzte sich auf Han und umklammerte ihn wie einen Rettungsanker. „Es ist nicht wahr, hörst du? Es kann ... es darf  einfach nicht wahr sein.“

 

Han legte automatisch die Arme um sie und begann sie hin- und her zu wiegen wie ein kleines Kind, während er halblaut  vor sich hin murmelte: „Ist ja gut, Süße, ist ja gut. Du kannst  nichts dafür ... niemand kann etwas dafür. Das macht nichts ... das macht gar nichts ... Es ist ohne jede Bedeutung für dich ...  für mich ... für uns.  Er hat dich vielleicht auf die Welt gesetzt, aber das heißt noch lange nicht, dass er  dein Vater ist. Du hast nichts mit ihm gemeinsam, du hast nichts mit ihm zu schaffen, absolut gar nichts. Du bist du und er ist niemand. Vergiss den Mistkerl einfach!“

 

Luke wünschte, es wäre möglich, Vader einfach zu vergessen.  Doch leider war Hans gut gemeinter Vorschlag Lichtjahre von der Realität entfernt - und es war allerhöchste Zeit, dass Leia das endlich einsah.

 

„Ich bitte vielmals um Verzeihung, wenn ich störe“, sagte er steif, „aber wir waren noch nicht ganz fertig.“

 

„Zu dir komme ich gleich, Junior!“

 

Es klang nach einer Drohung. Luke sah bittend zu Chewie hinüber, aber der Wookie starrte verträumt in den Sternenhimmel hinauf und gab vor, blind, taub und unsichtbar zu sein. Entweder verfügte er über mehr Taktgefühl, als man ihm zugetraut hätte, oder er musste die frohe Botschaft selber erst einmal verdauen. Luke fragte sich ernsthaft, ob diese Nacht damit enden würde, dass er völlig freund- und hoffnungslos dastand.  Der Gedanke ließ ihn frösteln. Er verschränkte die Arme über der Brust und wartete resigniert darauf, dass seine Anwesenheit wieder zur Kenntnis genommen wurde.

 

  

Leia war die Erste, die sich erholte, was typisch für sie war. Und sie blies sofort wieder zum Angriff, was auch typisch für sie war. Allerdings schickte sie dieses Mal die Hilfstruppen ins Feld. Sie zupfte Han am Ärmel und sagte gebieterisch: „Sag ihm, dass er nicht gehen darf!“

 

„Und ob ich ihm das sage!“ Han ließ Leia los, wirbelte herum, blitzte Luke an und donnerte: „Bist du  denn völlig übergeschnappt? Du kannst doch jetzt nicht einfach zu Vader laufen! Was willst du ihm denn erzählen? Dass du ihn nur mal besuchen wolltest und vorher ganz kurz auf Endor zwischengelandet bist, um für Daddy ein paar Blumen zu pflücken? Na, wunderbar!

 

Aber warum eigentlich nicht? Warum besuchen wir ihn nicht einfach alle gemeinsam? Wir könnten ihn und die ganzen anderen Stirb-langsam-Typen doch zu einem Picknick im Grünen einladen, das würde sicher allen einen Heidenspaß machen. Die Ewoks spendieren uns bestimmt ein paar Dutzend saftige Steaks, wenn wir nicht so genau wissen wollen, woraus die Dinger bestehen. Du grillst das Zeug mit deinem Lichtschwert auf medium, Leia macht uns ein paar Salate mit einer Soße aus einheimischen Kräutern, Chewie braut uns seinen Spezial-Honigmet für extreme Notfälle und ich binde mir inzwischen  eine weiße Fahne als Lendenschurz um, pinne eine Friedenstaube auf meiner Schulter fest und singe mit unseren Ehrengästen die imperiale Hymne im Kanon -  Live-Musik sorgt  ja immer gleich für gute Laune. Und wenn das Essen fertig ist, dann rufen wir unseren Lieblingstyrannen da oben auf dem Todesstern an, denn Palpie der Partylöwe kommt garantiert liebend gerne zu unserer kleinen Fete herunter, darauf möchte ich wetten. Wer weiß, vielleicht bringt er sogar  ein paar Flaschen Wein mit oder selbstgebackene Kekse oder irgendwas in dieser Art.

 

Und wenn wir alle so richtig satt sind, dann spielen wir eine Runde Sackhüpfen oder Bäumchen-wechsel-dich. Die Siegermannschaft gewinnt eine Vier-Wochen- Luxusreise auf der Executor mit einem täglichen Fünf-Sterne-Candlelight-Dinner in Vaders ganz privater Gruselkammer. Und weil wir nach der Preisverleihung  so richtig in Schwung sind,  versöhnen wir uns einfach. Schluss mit diesem idiotischen Rumgeballer  und dem ganzen gegenseitigen Gemetzel, liebe Freunde und Mitesser! Ich meine, was soll’s? Vergessen wir die letzten Jahre und den allgemeinen Mord und Totschlag doch einfach und gehen wir alle wieder nach Hause, um dort glücklich bis an unser seliges Ende vor uns hin zu leben. Ich zum Beispiel habe schon immer von einem schicken Appartement auf Coruscant geträumt. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Penthouse auf dem Palastdach, Tür an Tür mit dem netten Diktator von nebenan? Na, wäre das nicht einfach toll? Was sagst du dazu, Junior?“

 

„Ich muss es einfach tun, begreifst du das nicht? Vader ist unser Vater.“

 

„Na und? Wen interessiert das schon?“ schrie Han, der sich in Feuer geredet hatte. „Du bist nicht der Einzige, der Verwandtschaft auf der anderen Seite hat. Was glaubst du, wie viele von unseren Jungs Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten, Neffen, Großmütter, Cousinen dritten Grades und Gott weiß was noch unter den Imperialen haben? Das ist das Schlimme an einem Bürgerkrieg, Luke:  Egal, welche Partei am Ende gewinnt, die betroffenen Familien verlieren immer.“

 

 

„Aber ...“

 

„Nichts aber! Wir haben eine Mission vor uns, die über diesen ganzen verdammten Krieg entscheidet. Du hättest dir wirklich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, um einen Vaterkomplex zu entwickeln - und dann auch noch wegen diesem Vater! Okay, okay ... Du hast ein Problem mit Vader? In Ordnung! Niemand verlangt von dir, dass du den Bastard höchstpersönlich kalt machst - das erledige ich oder irgendjemand  aus unserer Truppe,  sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Von dir erwarten wir nur, dass du ihm solange aus der Spur bleibst.

 

Und wenn wir das alles hinter uns haben, dann schicke ich dich und Leia für ein paar Sitzungen auf die Couch von einem wirklich guten Psy-Tech. Vielleicht veranstalten wir am Besten gleich eine Gruppentherapie - sicher ist sicher. Und danach leben wir dann  zur Abwechslung mal wie ganz normale Leute und verschwenden keinen Gedanken mehr an diesen Freak.“

 

„Das ist nicht deine Entscheidung, Han“, sagte Luke ruhig und wandte sich ab. Es war Zeit zu gehen.

 

Doch Han trat ihm in den Weg. „Irrtum, Junior! Es ist meine Entscheidung. Du hast es in der ganzen Aufregung vielleicht vergessen, aber Mothma und Madine haben mir dieses Teil hier nicht nur an die Brust geheftet, weil ich so gut damit aussehe. Bei diesem Einsatz bin ich der Boss und das heißt, dass ich  jedem sage, wo es langgeht - auch dir. Vor allem dir!“

 

Luke starrte auf das Rangabzeichen auf Hans Jacke und dann in die haselnussfarbenen Augen seines besten Freundes, der ihm plötzlich wie ein Feind gegenüberstand.

 

„Tu mir das nicht an“, sagte er sehr leise.

 

Aber Han hielt seinem Blick stand und da war ein harter entschlossener Zug um seinen Mund, der ihn tatsächlich wie einen Vorgesetzten aussehen ließ und noch dazu wie einen,  der sich nicht auf der Nase herumtanzen ließ, Freundschaft hin oder her.

 

„Ich würde es hassen, wenn ich ausgerechnet bei dir den General herauskehren müsste, Junior, aber wenn du mich dazu zwingst ...“

 

Han ließ den Satz offen, aber sie wussten beide ganz genau, was er meinte: Eine offene Befehlsverweigerung würde er sich angesichts der Bedeutung der Endor–Mission von niemandem bieten lassen, nicht einmal von Luke. Sie musterten sich gegenseitig, als würden sie einander zum ersten Mal wirklich sehen, während Leia vergessen im Hintergrund stand, die Hände vor dem Mund gefaltet, unschlüssig, was sie sagen oder tun sollte.

 

Einen Augenblick lang war es so still, dass man die Spannung zwischen den Kontrahenten beinahe knistern hören konnte. Dann gab Chewie ein  heiseres Knurren von sich und packte Han und Luke im Genick, um sie beide so unsanft durchzuschütteln wie eine entnervte Hündin ihre zankenden Welpen.

 

„He! Lass das!“ Han versuchte vergeblich die haarige Wookie-Pranke in seinem Nacken abzuschütteln.

 

Chewie bellte eine lautstarke Antwort und schüttelte ihn noch ein wenig  mehr.

 

Han wand sich in dem muskelbepackten Klammergriff herum, bis er wenigstens Blickkontakt mit dem erzürnten Wookie hatte, und brüllte: „Was soll das heißen von wegen Blut ist dicker als Wasser?!“

 

Chewie ließ ihn mit einem angewiderten Keuchen fallen, während er Luke so sanft absetzte wie ein rohes Ei. Danach hielt er eine längere Predigt, die nur für Han wirklich Sinn ergab, obwohl sein verdrießlicher Gesichtsausdruck deutlich erkennen ließ, dass er es für dieses eine Mal vorgezogen hätte, die komplizierte, aus kehligen Heul- und Jaultönen bestehende Wookie-Sprache nicht zu verstehen. Immerhin weigerte er sich, den Teil, der offensichtlich eine Standpauke an seine Adresse enthielt,  für Luke und Leia zu übersetzen, was Chewie mit einem  Rippenstoß ahndete, der Han beinahe erneut zu Boden gehen ließ.

 

„Das reicht jetzt! Hör auf, mich herumzuschubsen, ich hab’s kapiert!“ Han drehte sich zu Leia um und sagte mürrisch: „Chewie ist der Meinung, dass wir Luke gehen lassen sollten.“

 

Was?!“ rief Leia entgeistert.

 

„Ich weiß, aber was soll ich machen? Leg dich nie mit einem Wookie an, schon gar nicht, wenn es um sein Rudel geht.“ Han warf seinem Genossen einen düsteren Seitenblick zu. „Schrecklich, diese ganze Gefühlsduselei ... Rührselig wie eine alte Jungfer ...“ brummte er.

 

Chewie reckte seine langmähnige Hünengestalt und bleckte seine eindrucksvollen Reißzähne in einem beunruhigend breiten Grinsen. Er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer rührseligen alten Jungfer, egal von welcher Spezies, nicht einmal, als er in ein grollendes Kichern ausbrach.

 

„Ja, ja, lach du nur. Mach dich ruhig über mich lustig, du sentimentaler  alter Zottelkopf“, murmelte Han vor sich hin, aber der Protest erfolgte nur noch der Form halber.  Er wusste, wann er verloren hatte. „Na los, Junior, worauf wartest du noch? Verschwinde lieber, bevor ich es mir anders überlege.“

 

„Danke“, sagte Luke und er meinte es aufrichtig.

 

„Danke wofür? Dass ich gerade den hirnrissigsten taktischen Fehler in der kürzesten Generalskarriere aller Zeiten mache?“ sagte Han bitter.  „Geh schon! Geh!“

 

Das ließ Luke sich nicht zweimal sagen.

 

Er sprang gerade von der letzten Sprosse der dünnen schwankenden Strickleiter auf den federnden Waldboden hinunter, als Leia schrie: „Han! Du kannst ihn doch nicht einfach so gehen lassen!“

Han stieß einen schweren Seufzer aus. „Du hast Recht. So kann ich ihn wirklich nicht gehen lassen.“

 

Er trat an das Geländer vor und spähte in die Dunkelheit hinunter, aber auf diese Entfernung konnte er zuerst nicht mehr erkennen als eine vage Bewegung  genau unterhalb der Aussichtsplattform. „He, Junior!“

 

Ein verwischter heller Fleck, eher zu erahnen als wirklich zu sehen - Lukes Gesicht, das zu ihm hinaufblickte. „Ja?“

 

„Ich halte es immer noch für kompletten Schwachsinn, aber trotzdem: Viel Glück! Du wirst es brauchen.“

 

„Ja“, klang es gedämpft zurück.

 

Han  musste unwillkürlich schlucken. Es war zu dumm, aber obwohl er selber ein Stirb–langsam–Typ war, knallhart und hochgradig allergisch gegen jede Gefühlsduselei, hatte er plötzlich diesen Kloß im Hals und überhaupt war das alles ein bisschen viel auf einmal …

 

„Pass gut auf dich auf, Junior.“

 

„Du auch.“ 

 

Und dann war Luke einfach weg, als hätte ihn die Nacht verschlungen wie eine ewig hungrige Meduse einen Planktonpartikel. Han schluckte noch einmal. Vielleicht wurde er einfach weich auf seine alten Tage, aber da war etwas an diesem Abschied, was ihn wirklich mitnahm. Vielleicht lag es auch daran, dass sie damals auf Hoth mit genau denselben Worten auseinandergegangen waren, ohne zu ahnen, dass es Monate dauern sollte, bis sie einander wiedersahen –  Monate, in denen sie beide gelitten und dem Tod mehr als einmal ins Auge geblickt hatten. Und was Han anging, so  musste er hier und jetzt noch jemand ganz anderem ins Auge blicken …

 

Leia hatte die Hände in die Hüften gestemmt, als er sich zu ihr umdrehte, und das war nie ein gutes Zeichen.

 

„Das ist alles deine Schuld!“ sagte Han zu Chewie, halb weil er wirklich davon überzeugt war, halb in der Hoffnung, Leias unvermeidlichen Zornausbruch noch schnell auf ein anderes Ziel abzulenken.

 

Aber der Wookie gab nur ein selbstzufriedenes „Hrrrmpf!“ von sich und Leias Miene umwölkte sich eher noch mehr, wie Han feststellte, als er einen schnellen Seitenblick riskierte.

 

„Hör zu, Süße, ich habe doch nur …“

 

„Ihr seid alle vollkommen verrückt! VERRÜCKT!“ Leia machte auf dem Absatz kehrt und stürmte in Richtung Ewok–Dorf davon.

 

„Siehst du, was du angerichtet hast? Ich hoffe, du bist zufrieden!“ fauchte Han seinen ältesten Kumpel und Blitzableiter an und  nahm Leias Verfolgung auf, ohne eine Antwort abzuwarten.

 

Chewie rollte die Augen gen Himmel, stieß einen nachsichtigen kleinen Grunzer aus und trottete hinter diesen unlogischen, undankbaren, unbegreiflichen, aber paradoxerweise  trotzdem so liebenswerten Menschenwesen her, denen er sich nicht nur aufgrund seiner Wookie–Ehre auf  Lebenszeit  verpflichtet fühlte.

 

 

*

 

 

Ich hätte mich auch krankmelden sollen, dachte PKK 1237 trübsinnig, als er zum fünften Mal in dieser schier endlosen Nacht ein sanftes, aber nachdrückliches Rühren in seinem gequälten Innenleben verspürte. Ich hab mir bestimmt diesen verdammten Virus eingefangen, der den Captain flachgelegt hat. Oder hätte ich die zweite Doppelportion Kamzann doch lieber stehen lassen sollen? Aber das Zeug hat einfach verdammt gut geschmeckt  und du  weißt ja nie,  was für einen grässlichen Kantinenfraß sie dir  beim nächsten Mal auf den Teller klatschen – wenn es überhaupt ein nächstes Mal gibt. Jedes Futterfassen kann deine Henkersmahlzeit sein und ich  gebe lieber mit vollem Bauch den Löffel ab, soviel steht fest!

 

Leider waren die Verdauungsorgane von PKK 1237 anderer Meinung, was diesen Punkt anging. Nur wenige Minuten später sah sich der Scout dazu genötigt, erneut dem Ruf der Natur zu folgen, was er auch tat allerdings erst nachdem er sich sehr gründlich davon überzeugt hatte, dass das umliegende Gebüsch garantiert rebellenlos und  vor allem ganz und gar sithlordfrei  war.

 

Luke Skywalker, der seit ungefähr einer Viertelstunde in einer Astgabel direkt über dem Kopf des Scouts kauerte und darüber nachsann, wie man sich am besten gefangen nehmen ließ, ohne dabei rein aus Versehen erschossen zu werden, beschloss auf seinem unbequemen Sitzplatz zu verharren, bis sein künftiger Wächter die Verrichtung seines Geschäftes  beendet hatte. Höflichkeit war eine der vielen Tugenden, die von einem Jedi in Ehren gehalten werden sollten. Außerdem hielt  Luke es in Anbetracht der kitzligen Situation für ratsam, diesen Imperialen da unten nicht noch mehr aus dem Gleichgewicht zu bringen, als er es ohnehin schon war.

 

Und so kam es, dass PKK 1237 gerade jenen Zustand kontemplativer Gelassenheit erreicht hatte, der sich immer unmittelbar nach der Befriedigung dringender körperlicher Bedürfnisse einstellt,  als plötzlich und unerwartet eine ominöse schwarze Gestalt direkt vor seiner Nase aus dem Himmel fiel und laut „Hallooo!“ zu ihm sagte.

 

Luke hatte damit gerechnet, dass sein Auftritt eine kleine Panikattacke hervorrufen würde, aber er  war  irgendwie doch ein bisschen überrascht, als der Scout bei seinem Anblick ein Quieken von sich gab und vor lauter Schreck hintenüber fiel. Das war nicht unbedingt die imperiale Standardreaktion auf das unvermutete Auftauchen eines Rebellen schon  gar nicht, wenn besagter Rebell mit einem durchaus freundlichen Gruß seine friedlichen Absichten kundgetan hatte.

 

Aber da war nun einmal nichts zu machen und so wartete Luke geduldig (und höflich!), bis PKK 1237, der so hilflos dalag wie eine auf den Rücken gedrehte Schildkröte, sich wieder aufgerappelt hatte. Erst als der Mann hektisch nach seiner Blasterpistole griff, sagte er rasch: „Immer mit der Ruhe! Ich ergebe mich.“

 

Doch das beeindruckte den Scout herzlich wenig. „Keine Bewegung! Waffen hoch und Hände runter! Los, mach schon!“ kläffte er aufgeregt.

 

Luke tat sein Möglichstes, um diesen widersprüchlichen Anweisungen Folge zu leisten, aber leicht war es nicht.  Nachdem er betont  langsam sein Lichtschwert vor den Füßen des Scouts geparkt hatte, hob er die Arme hoch und versuchte dabei so ungefährlich auszusehen wie nur möglich. Doch der Scout war nicht von seiner vorgespiegelten Harmlosigkeit überzeugt. Sein Blaster zielte immer noch genau auf Lukes Kopf und so standen sie sich eine ganze Weile schweigend gegenüber, jeder in die stumme Betrachtung seines  möglicherweise todbringenden Feindes versunken ...

 

Erst als seine Armmuskeln vor Anspannung zu schmerzen begannen, ohne dass der Imperiale Anstalten machte, irgendetwas zu unternehmen,  kam es Luke in den Sinn, dass es an ihm war, die Initiative zu ergreifen. Der Imperiale schien mit der Situation  ein  klein wenig überfordert zu sein und  wenn Luke nicht  für immer und ewig in dieser Schachmatt–Position stehen bleiben wollte, dann musste er jetzt langsam etwas unternehmen.

 

„Ich will zu Lord Vader. Können Sie mich zu ihm bringen?“

 

Aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund versetzte diese Frage den Scout  endgültig in einen Zustand der Lähmung. 

 

Luke wartete noch einen Augenblick, dann sagte er: „Wie wäre es, wenn Sie einfach Ihren Vorgesetzten herrufen?“

 

Doch der Imperiale reagierte ausgesprochen ungnädig auf diesen gutgemeinten Vorschlag. „Schnauze!“

 

Luke versuchte konstruktiv zu bleiben. „Sie haben doch bestimmt einen Kommunikator dabei, oder?“

 

„Schnauze!“

 

Luke überlegte bereits, ob das Schicksal ihm einen üblen Streich gespielt hatte, indem es zugelassen hatte, dass er sich ausgerechnet einem Imperialen ergab, dessen Intelligenzquotient offensichtlich genauso begrenzt war wie sein Wortschatz. Er konnte ja nicht wissen, dass sich PKK 1237 gerade in einer schrecklichen Zwickmühle befand.

 

Natürlich hatte der Scout einen Kommunikator dabei und natürlich hätte er damit jederzeit einen Vorgesetzten herbeirufen können tatsächlich hätte er das längst tun müssen. Aber es gab da ein kleines Problem ...  nein, eigentlich war es ein ziemlich großes Problem. Wenn er seinen Gefangenen nämlich ablieferte,  dann kam es wahrscheinlich ziemlich schnell ans Tageslicht, unter welch peinlichen Begleitumständen diese doch eher ungewöhnliche Verhaftung zustande gekommen war und das war gar nicht gut. Es verstieß gegen alle Vorschriften, während der Wache seinen Posten zu verlassen und genau das hatte PKK 1237 heute schon mehrfach getan natürlich nicht aus Pflichtvergessenheit, sondern aus reiner Not, aber wen zum Teufel kümmerte das schon?  Und  dann war er zwischendurch auch noch von Lord Vader höchstpersönlich buchstäblich auf frischer Tat ertappt  worden! (Ein Abenteuer, das PKK 1237 übrigens bald seinen Kameraden und in späteren Jahren noch seinen Kindern und Kindeskindern wieder und wieder in allen farbenprächtigen Einzelheiten schildern würde und jedes Mal würde der sagenhafte Tobsuchtsanfall des Sith noch haarsträubender und die aufrechte Haltung seines Beinahe–Opfers noch mannhafter sein.) Das war schlimm, das war sehr, sehr schlimm  der Scout wunderte sich selbst darüber, wie knapp er dem sicheren Tod entronnen war. 

 

Und was jetzt? Konnte er es sich nach diesem furchtbaren Vorfall überhaupt noch leisten,  dass irgendjemand von seiner wiederholten Pflichtverletzung erfuhr? Konnte er  es etwa zulassen, dass die Sache  womöglich Lord Vader selbst zu Ohren kam, was vermutlich spätestens dann der Fall sein würde, wenn er diesem dreimal verdammten Rebellen bei einem Verhör das Fell über die Ohren zog? Würde Lord Vader nicht gleich anschließend ihm das Fell über die Ohren ziehen?

 

PKK 1237 begann unter seinem Helm zu schwitzen, was sein allgemeines Elend noch verstärkte. „Oh SHIT!“ sagte er unglücklich, womit er den Nagel zweifellos auf den Kopf traf.

 

Luke ging allmählich auf, dass hier ein Dilemma unbekannter Größenordnung vorlag. Außerdem konnte er deutlich fühlen, dass der Aggressionspegel des Imperialen sprunghaft anstieg, von seiner Gewaltbereitschaft ganz zu schweigen. Tatsächlich erwog PKK 1237 in seiner Verzweiflung gerade, auch dem Damoklesschwert, das neuerdings über seinem Haupt schwebte, zu entrinnen, indem er diesen ausgesprochen lästigen freiwilligen Kriegsgefangenen einfach über den Haufen schoss. 

 

Lieber dieser total beknackte Rebellenbengel als ich  ... der  ist sowieso schon so gut wie hinüber! Lord Vader wird es nie erfahren – und was er nicht weiß, das macht ihn nicht heiß.

 

So standen also die Aktien und wer weiß, wie sich das Schicksal der Galaxis weiter entwickelt hätte, wenn Luke nicht ganz spontan auf die Idee verfallen wäre, seine kleine Jedi–Trickkiste aufzumachen (Han im Originalton!) und erneut das  auszuprobieren, was ihm in jüngster Vergangenheit schon einmal dabei geholfen hatte, ein unerwartetes Hindernis schmerzlos aus dem Weg zu räumen.

 

Er sah dem Imperialen zwingend in die Augen – oder zumindest in die getönten Sichtscheiben seines Helmes – und säuselte mit der samtigen Singsangstimme eines Hypnotiseurs, den er vor Jahren bei einer Zirkusshow in Mos Espa bewundert hatte: „Ich werde jetzt sofort meinen Kommunikator nehmen ...“

 

Der Scout zögerte zwei Herzschläge lang, dann leierte er gehorsam: „Ich werde jetzt sofort meinen Kommunikator nehmen ...“

 

Luke war selbst beeindruckt von seiner Suggestionskraft und seinem Imitationstalent. „... und meinen Vorgesetzten darüber informieren, dass ich den wichtigsten Rebellen  von allen geschnappt habe“, intonierte er ganz ohne falsche Bescheidenheit.

 

„... und meinen Vorgesetzten darüber informieren, dass ... He, was soll der Quatsch?“  rief PKK 1237, abrupt aus seinem Trancezustand erwachend. Er beäugte den  Rebellen mit neuem Argwohn. „Bist du etwa  ein Jedi oder so was in der Art?“

 

„Irgendwann schon“, erwiderte Luke mit einem säuerlichen kleinen Lächeln, das allein seinem leicht voreiligen Selbstvertrauen galt.

 

PKK 1237 warf einen bestürzten Blick auf den geheimnisvollen Metallzylinder, den der Rebell vor seinen Füßen abgelegt hatte. Erst jetzt begriff er, dass das Ding kein brandneues Handgranaten–Modell war, wie er zuerst angenommen hatte, sondern etwas viel Unheimlicheres. Etwas, das sogar so unheimlich war, dass der Scout sich dazu veranlasst sah, aus dem Stand heraus einen Hechtsprung zu machen, der ihn auf den untersten Ast des nächstbesten Baumes beförderte.

 

„Wow! Ganz schön sportlich“,  sagte Luke trocken.

 

Das gab PKK 1237 den Rest. Er zerrte in Windeseile seinen Kommunikator heraus und drückte auf die Taste, die den Notrufkanal öffnete. Er schrie nur ein einziges Wort, als sein Commander sich endlich meldete, aber das so laut,  dass dem armen Mann fast das Trommelfell platzte.

 

„HIIILFEEE!!!“

 

*

 

„Was für ein Theater!“ Tyrell betastete mürrisch sein Ohr, das nach dem stimmgewaltigen Anruf, mit dem es vor kurzem malträtiert worden war, immer noch ein wenig summte. „Und der ganze Radau nur wegen diesem Jungen?“

 

Er begutachtete verdrossen den Gefangenen, dem  gerade ein Paar Handschellen verpasst wurden. Zwischen den ziemlich kompakt gebauten Sturmtruppensoldaten, die ihn einkreisten, sah der Rebell ungefähr so bedrohlich aus wie ein von Kampfhunden umzingelter Zwergpinscher.

 

„Der Scout hat gesagt, er ist ein Jedi.“ Auch Lieutenant Draffco inspizierte die Beute voller Interesse, hielt dabei allerdings den größtmöglichen Sicherheitsabstand ein –  man konnte schließlich nie wissen.

 

„Blödsinn! Also wirklich, langsam drehen die Männer ein bisschen durch. Die brauchen endlich Action – diese ewige Warterei hält man ja im Kopf nicht aus!“ Tyrell, der sich ebenfalls nach ein bisschen Action sehnte, obwohl er niemals durchdrehte – oder jedenfalls nicht sehr oft –, wandte sich zum ersten Mal an den Rebellen direkt. „Wo sind die anderen, hm?“

 

 

Luke setzte sofort die sehr überzeugende Unschuldsmiene auf, an der schon bärbeißige Onkel, aufgebrachte Lehrer, strafzettelsüchtige Verkehrspolizisten und ähnlich grimmig veranlagte Autoritätspersonen gescheitert waren. „Welche anderen?“

 

Tyrell schnaubte. Dieser Fratz hatte wirklich Nerven! „Nicht mit mir, Junge. Wir wissen ganz genau, dass du nicht alleine bist. Komm schon, wo verstecken sich deine Freunde? Was habt ihr mit unserer Fähre angestellt? Was wollt ihr eigentlich hier? Was willst du eigentlich hier?“

 

Der Rebell richtete große arglose blaue Augen auf ihn und sagte mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre sein Wunsch das Natürlichste von der Welt: „Ich will zu Lord Vader. Sofort.“

 

Das sorgte für eine gewisse Belustigung unter den Soldaten: „Jetzt seht euch den an. Der kann’s ja kaum noch erwarten“,  „Du wirst schon noch zu Lord Vader kommen, Kleiner, schneller als dir lieb ist“  und  andere witzige Kommentare mehr. 

 

„Ruhe!“ bellte Tyrell. Alles verstummte. „Hör mal, Junge, es wäre wirklich viel besser für dich, wenn du ein bisschen mehr kooperieren würdest. Sag mir, was ich wissen will, und ich sorge dafür, dass du anständig behandelt wirst. Wenn du schön brav bist,  lassen wir dich vielleicht irgendwann sogar wieder laufen. Ich glaube nicht, dass du von Lord Vader dasselbe Angebot bekommst.“

 

Luke heftete einen müden Blick auf die weite Himmelskuppel, die immer heller wurde. Die Sterne verblassten bereits in dem fahlen Silberschein des anbrechenden Morgens. Luke hatte einen harten Tag und eine lange, lange Nacht voller Kommunikationsprobleme hinter sich und  der nächste Tag, der noch viel härter zu werden versprach,  stand schon in den Startlöchern, während er hier festgehalten und noch mehr kostbare Zeit vergeudet wurde. Widerspenstige Schwestern, eigensinnige Freunde, dickköpfige Imperiale – hatte sich denn alles gegen ihn verschworen? 

 

„Und ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Lord Vader erwartet mich.“ 

 

„Ach ja? Dann frage ich mich, warum er nicht ein Wort darüber verloren hat, als ich  ihn  das letzte Mal gesehen habe.“

 

Gute Frage. Du hättest es mir wirklich ein bisschen leichter machen können, Darth Heimlichtuer, dachte Luke. Hatte sein Vater ihm diesen Weg mit Absicht nicht geebnet? War das hier ein Test?

 

Das kantige Gesicht des imperialen Commanders wurde noch ein wenig härter, seine scharfen grauen Augen waren voller Misstrauen. „Na, was ist? Kann es sein, dass Lord Vader gar nichts von seinem  kleinen Rendezvous mit dir weiß?“

 

Konnte es sein? Luke war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, dass er tatsächlich erwartet wurde.  Also wenn das alles umsonst war, dann … Er wusste nicht, was er dann tun würde. Lachen? Weinen? Schreien?

 

Auch Tyrell wusste langsam nicht mehr, was er denken sollte. Man konnte von Lord Vader halten, was man wollte, aber als Kommandant war er die Zuverlässigkeit in Person. Alle seine Befehle waren unmissverständlich klar – wehe dem Pechvogel,  der sie zu interpretieren wagte! – und es war noch nie vorgekommen, dass er eine Anweisung einfach vergessen hatte. Tyrell konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Vader überhaupt jemals irgendetwas vergaß.

 

Umso mysteriöser war die ganze Angelegenheit hier. Wenn Vader eine Verabredung mit diesem Jungen hatte, warum hatte er dann niemandem etwas davon gesagt? Überläufer hin oder her, es war ein gewaltiges Risiko für diesen Rebellen gewesen, unangekündigt durch einen Wald voller Soldaten zu schleichen, die bereit waren, auf alles zu schießen, was keine imperiale Uniform trug.

 

Und wenn der Junge einfach log? Wer konnte schon wissen, was in den verdrehten  Köpfen dieser Rebellen vor sich ging? Vielleicht war das hier alles nur ein Trick, um Verwirrung zu stiften oder … oder um ein Attentat auf Lord Vader zu verüben!

 

Tyrells Hände schossen vor und packten den Möchtegern–Deserteur oder vielleicht auch Möchtegern–Meuchelmörder sehr fest am Kragen seines in Tarnfarben gehaltenen Capes. „Egal, was du vorhast, Junge, du solltest noch einmal gut darüber nachdenken, bevor es zu spät ist!“ knurrte er.

 

Luke gab durch ein diskretes Hüsteln zu erkennen, dass ihm gerade ein ganz klein wenig die Luft abgeschnürt wurde. „Ich fürchte, das ist es schon.“

 

Tyrell ließ den Rebellen nur widerstrebend los, obwohl die Misshandlung von Gefangenen eigentlich gegen seine Prinzipien verstieß.  Er tröstete sich damit,  dass die ganze Sache ab jetzt sowieso nicht mehr in seinen Händen lag. „Na schön, Junge, wie du willst. Dann verfrachten wir dich jetzt am besten zu Lord Vader – ja,  jetzt sofort. Dann werden wir ja sehen, was passiert. Aber eines sage ich dir: Wer oder was auch immer du bist, Lord Vader wird schon mit dir fertig!“

 

Dieses Gefühl hatte Luke leider auch …

 

Tyrell brachte seine Sturmtruppensoldaten mit einem ungeduldigen Fingerschnippen  wieder auf Trab. „Schafft den Burschen an Bord. Lasst ihn nicht aus den Augen“, rief er hinter ihnen her, als sie abmarschierten. „Und durchsucht ihn noch einmal – gründlich! Wenn sich nachher herausstellen sollte, dass ihr irgendetwas übersehen habt,  einen Miniblaster, ein Messer, eine Giftnadel oder sonst was, dann hänge ich euch Mutanten irgendwo da draußen an euren Daumen auf – und zwar direkt vor einer Höhle voller  hungriger Tharks! Habe ich mich klar ausgedrückt, ihr Tränentiere?“

 

Er hatte sich klar genug ausgedrückt, das merkte Luke schon an der recht unsanften Art und Weise, in der die Soldaten ihn  zu dem AT–AT hinüberzerrten, mit dem sie gekommen waren. 

 

Als die Männer ihn mit unnötigem Kraftaufwand die steile Einstiegsrampe hinaufschleiften, hob Luke den Kopf und pfiff leise durch die Zähne. Er war immer wieder überwältigt von der  schieren Größe dieser Kombination aus  Truppentransporter und Panzer. Der Spitzname „Gehkoloss“ passte wirklich gut zu dieser erstaunlichen Maschine, die sich auf säulenartigen Beinen majestätisch wie ein metallener Dinosaurier hoch über sie erhob und trotz ihrer scheinbaren Unbeholfenheit für den Einsatz in jedem nur denkbaren  Gelände geeignet war.  Eines musste man den Imperialen lassen: Sie verstanden sich darauf, imposante Waffen zu bauen.

 

Gleich darauf wurde Luke in eine große Passagierkabine hineingeschubst, die auch die einzige zu sein schien, über die der AT–AT verfügte, denn die beiden Offiziere nahmen sofort auf den beiden vordersten Polstersitzen Platz, während ihr Gefangener tatsächlich einer zweiten und sehr viel eingehenderen Durchsuchung unterzogen wurde. Die Sturmtruppensoldaten waren wirklich sehr, sehr gründlich und sehr, sehr grob. Luke wusste nicht, was Tharks waren oder ob dieser Commander Tyrell wirklich dazu fähig war, irgendjemanden an seinen Daumen aufhängen zu lassen,  aber die Soldaten wussten es dafür umso besser, das war nicht zu übersehen.

 

Tyrell besaß trotz seines barschen Auftretens immerhin den Anstand, während der ganzen Operation starr geradeaus zu blicken, aber der junge Lieutenant mit dem Bürstenhaarschnitt drehte sich auf seinem Sitz halb um und sah zu. Er schien  vor allem die etwas demütigenderen Details sehr unterhaltsam zu finden. 

 

Als die unerfreuliche Prozedur endlich überstanden war und Luke sich wieder anziehen durfte, hörte er, wie der Lieutenant leicht enttäuscht fragte: „Wollen wir ihn denn unterwegs gar nicht verhören? Nicht mal ein ganz kleines bisschen?“

 

Daraufhin bedachte Tyrell seinen jüngeren Kollegen mit einem so giftigen Blick und einem so schroff herausgefauchten „Nein, wollen wir nicht!“, dass Luke ihm die entwürdigende Behandlung beinahe verzieh. Beinahe …

 

Der AT–AT hatte sich mittlerweile in Bewegung gesetzt. Luke, jetzt an die Armlehne seines eigenen Sitzes gefesselt, aber trotz dieser Sicherheitsvorkehrung immer noch im Brennpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, nutzte die Gelegenheit für eine kleine Meditation. Das war zwar nicht ganz so erholsam wie Schlaf, hatte aber doch eine  halbwegs  erfrischende Wirkung auf ihn.

 

Als er die Augen wieder öffnete, zischte ihm einer der Sturmtruppensoldaten gehässig zu: „Na, haben wir unser  Nickerchen schon beendet? An deiner Stelle würde ich jetzt lieber hellwach bleiben, Kleiner –  wäre doch wirklich Pech, wenn du noch einen hässlichen Unfall hast, bevor Lord Vader dich so richtig in die Mangel nimmt!“

 

Angesichts der feindseligen Stimmung ringsum verzichtete Luke lieber auf eine passende  Antwort. Außerdem hielt er es für sinnlos, seine Kräfte in einer ebenso überflüssigen wie unbedeutenden Konfrontation zu vergeuden. Aber den Rest der kurzen Reise verbrachte er in tief schürfenden Betrachtungen über das Seelenleben des Durchschnittssoldaten und den ausgesprochen negativen Einfluss, den imperiale Offiziere durch Beleidigungen und Drohungen auf den Gemütszustand ihrer Untergebenen  ausübten.

 

 Luke musste in diesem Zusammenhang  unwillkürlich an General Madine denken, der eine beklagenswert lange und fruchtbare Karriere in der imperialen Armee hinter sich gebracht hatte, bevor er nach einem plötzlichen Sinneswandel praktisch von einem Tag auf den anderen die Fronten gewechselt hatte. Madine war zweifellos ein hervorragender Offizier, er war ein brillanter Stratege und beinahe beängstigend kompetent in allen organisatorischen Angelegenheiten.  Leia, Mon Mothma und Admiral Ackbar, der Calamari-Kommandant der Rebellen-Flotte, hielten große Stücke auf ihn, aber die anderen Mitglieder des Oberkommandos waren nicht ganz so begeistert von Madine, der trotz all seiner Verdienste ein ziemlich schwer verdaulicher Brocken war, was von Zeit zu Zeit durchaus für Zündstoff sorgte.

 

Die Allianz war trotz vieler kampferprobter Jahre immer noch ein paramilitärischer Verband, alles war sehr improvisiert und manchmal sogar ein bisschen chaotisch.  Geldmangel war ein ständiges Problem, die ganze Ausrüstung war grundsätzlich aus zweiter oder sogar dritter Hand und nichts funktionierte ganz so, wie es sollte.

 

Mit der  Einstellung der Leute verhielt es sich ungefähr genauso: Die meisten von ihnen waren Zivilisten aus allen nur denkbaren Berufen und sozialen Schichten gewesen, bevor sie sich unter dem Banner der Allianz versammelt hatten. Jetzt waren sie Rebellen und natürlich waren sie mit Leib und Seele bei der Sache, aber herumkommandieren ließen sie sich trotzdem nicht besonders gerne. Sie schätzten es, wenn man locker mit ihnen umging und hier und da ein Auge zudrückte.  Auf Drill und Drängelei dagegen reagierten viele bei allem Enthusiasmus für Freiheit und Gerechtigkeit empfindlich. Sie sahen sich als Freiwillige, die  jeden Tag ihr Leben im Kampf gegen das Imperium riskierten und das auch noch praktisch umsonst. Natürlich bezahlte die Allianz ihre Leute auch,  aber die Beträge waren so geringfügig,  dass es  sich dabei eher um eine gut gemeinte Geste handelte als um einen richtigen Sold.

 

Auch die Versorgung ließ oft zu wünschen übrig: Das medizinische Equipment reichte  grundsätzlich nie ganz aus und wenn es den Imperialen gelungen war, einen  einzelnen Frachterkonvoi abzufangen oder sogar eine ganze Nachschublinie stillzulegen, dann bestanden die Mahlzeiten auf einem Rebellenstützpunkt über Wochen hinweg nur aus Proteinriegeln, Vitamintabletten und ähnlich gaumenfeindlichen Notrationen. Wenn das der Fall war, dann erreichte die Moral der Leute wenigstens kurzfristig einen Tiefpunkt und unter diesen Umständen war es wahrhaftig kein Wunder, dass sie nicht gerade vor Freude den nicht vorhandenen Teppich durchtanzten, wenn jemand wie Madine  auftauchte und heftig an den Zügeln zerrte.

 

Denn Madine, der jede Form von Chaos als persönlichen Affront betrachtete, kam, sah, schlug die Hände über dem Kopf zusammen vor Entsetzen über den vermeintlichen Schlendrian und versuchte sofort, alles und jeden auf Zack zu bringen. Er war  ein Perfektionist und unbestreitbar ein großes Talent, wenn es darum ging, kleinste Fehler aufzuspüren. Aber seine Intoleranz gegen jede noch so harmlose Schlamperei, seine Strenge und seine Distanziertheit machten ihn unbeliebt bei seinen Untergebenen und seine kühle, immer ein wenig herablassende Art sorgte bei seinen Kollegen im Oberkommando oft genug für gesträubtes Gefieder. Er war in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von General Riiekan, der jedermanns Liebling war, besonders dann, wenn wieder mal Notrationen angesagt waren.

 

 

Riiekan, ein leidenschaftlicher Liebhaber von Katzen, Kammermusik, Schlagballspielen und Schokolade in allen Variationen, verstand sich darauf, die vielen gänzlich verschiedenen Leute unter seinem Kommando mit leichter Hand zu führen. Auch er sorgte dafür, dass die Allianz in einem Stück blieb, aber er tat es auf seine Weise. Er versuchte es mit Menschlichkeit und hatte Erfolg damit  – im Gegensatz zu Madine.

 

Naturgemäß kamen die beiden Männer überhaupt nicht miteinander aus – sie verkörperten zwei Gegenpole, wie sie extremer kaum sein konnten. Luke hatte bei mehr als einer Gelegenheit miterlebt, wie sich Madine, blass vor eisigem Zorn, über diesen „disziplinlosen Sauhaufen“ ereiferte, in den er Ordnung hineinbringen wollte und musste, während sich Riiekan, rot vor ungezügelter Rage, über diesen „sturen imperialen Kommisskopf“ aufregte. Bei diesen Streitereien waren alle anderen Anwesenden immer sehr dankbar für Mon Mothmas diplomatische Qualitäten, denn sie schaffte es  regelmäßig  mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem kühlen „Aber, aber, meine Herren!“ die Kampfhähne wieder auseinander zu treiben, bevor es zu Handgreiflichkeiten kam. Auch wenn es um Entscheidungen ging, lenkte Mon Mothma das zerbrechliche Schiffchen der Allianz stets mit großem Geschick zwischen den Klippen von zwei konträren Anschauungen dahin, ohne dabei je zu stranden. Sie wog  einfach die Vor- und Nachteile von beiden Standpunkten gegeneinander ab und zog so im Endeffekt den größtmöglichen Nutzen aus Madines und Rieekans kombinierten Fähigkeiten, ohne jemals ihre Neutralität zu verlieren.

 

Das war bewundernswert, aber was Luke anging, so hielt er es eindeutig mit Riiekans Methode. Eine solide Dosis Verständnis und Mitgefühl konnte nie schaden und der auf  Vertrauen basierende Respekt, den man sich damit erwarb, war seiner Meinung nach wertvoller und beständiger als alle Disziplin der Welt. Es war so bezeichnend für Madine, dass er das einfach nicht einsehen konnte. Es war so bezeichnend für alle Imperialen ...

 

Luke wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein leichter Ruck durch den AT–AT ging, gefolgt von einem hallenden metallischen Dröhnen. Einen Augenblick später öffnete sich am anderen Ende der Passagierkabine eine runde Luke, die offenbar in das Cockpit des AT-ATs führte. Eine behelmte Gestalt kletterte heraus, salutierte zackig vor Tyrell und schnarrte: „Andockmanöver  ausgeführt, Sir.“

 

Tyrell stand sofort auf. „In Ordnung, Pilot, wegtreten.“ Er drehte sich zu seinen Soldaten um. „Du da, mach den Jungen los. Du und du und ihr zwei da drüben, ihr kommt mit mir. Die anderen bleiben hier.“

 

„Und was ist mit mir?“ schmollte Draffco, der sich  übergangen fühlte.

 

"Sie tragen die Verantwortung, so lange ich weg bin – das können Sie ja so gut“, schnappte Tyrell. Er griff nach Lukes Lichtschwert, das er in Verwahrung genommen hatte, und klemmte es sich unter den Arm wie einen Regenschirm – eine Fahrlässigkeit, die den Besitzer schmerzlich zusammenzucken ließ.

 

 

Luke war gerade im Begriff, Tyrell davor zu warnen, dass er Gefahr lief, sich bei einer unbedachten Bewegung mit einer achtzig Zentimeter langen Laserklinge zu durchbohren, als sein Lieblingswächter ihm einen harten Stoß in den Rücken gab und  ihn ankeifte: „Vorwärts, du dreckiger Rebell! Worauf wartest du noch – brauchst du eine schriftliche Einladung?“

 

Luke  brauchte eine ganze Menge Dinge – unter anderem etwas mehr Zuversicht –, aber eine schriftliche  Einladung stand nicht auf seiner Wunschliste. Er verkniff sich alle Warnungen und sonstigen Kommentare und ließ sich von seinen Wachhunden hinaustreiben.

 

Er hatte erwartet (oder im Hinblick auf den angedrohten Unfall eher befürchtet), dass der Ausstieg über dieselbe abschüssige Rampe stattfinden würde, die ihn in den AT-AT hineingeführt hatte. Aber stattdessen traten sie jetzt durch eine Schleuse in einen schmalen Laufgang, dessen Boden aus Stahlträgern bestand, während Decke und Wände durch Panzerglasscheiben gebildet wurden. Durch dieses Rundumfenster hatte man einen  fantastischen Panoramablick auf  den allgegenwärtigen Wald, der sich wie eine in tausend Grüntönen schattierte Woge aufzubäumen schien, nur um machtlos an die Eckpunkte der imperialen Basis zu branden wie gegen einen unsichtbaren Wellenbrecher. Schräg über ihnen türmte sich eine Landeplattform auf,  im Hintergrund schraubte sich die Kuppel des Schutzschildgenerators wie ein gewaltiger Parabolspiegel in den errötenden Himmel hinein.

 

Luke starrte auf den Generator, von dessen Zerstörung so viele Leben abhingen. In wenigen Stunden würden Han und Leia mit ihrem Einsatzteam hier anrücken – nur Minuten, bevor alle Schiffe der Allianz aus dem Hyperraum sprangen, um sich sofort  in einen Großangriff auf den Todesstern zu stürzen. Luke war sich von Anfang an darüber im Klaren gewesen, wie knapp, wie waghalsig ihr Zeitplan war. Aber erst jetzt begriff er wirklich, wie selbstmörderisch er war. Er konnte seinen Blick nicht von dieser gigantischen, nach hinten gekippten Schüssel lösen, bis sich plötzlich ein Feuerbogen über ihren Rand schob und ihn blendete. Er kniff die Augen zusammen vor dem unerträglichen Gleißen der aufgehenden Sonne.

 

Irgendwo neben ihm sagte die Stimme von Tyrell: „Das ist der Rebell, der sich uns ergeben hat, Mylord.“

 

Luke spielte mit dem Gedanken, seine selbst auferlegte Blindheit wenigstens noch für ein paar kostbare Sekunden aufrechtzuerhalten, ungefähr wie ein Kind, das sich die Augen zuhielt („Wenn ich ihn nicht sehe, dann sieht er mich auch nicht!“), aber das rhythmische Zischen der Atemzüge, die jetzt überdeutlich zu hören waren, bedrängte ihn, gönnte ihm keine Gnadenfrist. Er blinzelte zwischen halbgeschlossenen Wimpern hindurch und sah nichts als Schwärze. Er hob die Lider und sein Herz tat einen kleinen Sprung – direkt vor ihm, keine zwei Schritte entfernt, stand Vader ...

 

 

*

Kapitel 2 

CockpitLadelukeGeschützstand Erste-Hilfe-KastenSchiffs-IDFunkkontakt und andere Connections SchmugglereckeDas Universum nebenanÜber mich
© by Nangijala - 24.06.2012